[177] 31. Schlangenkind.

Es war einmal eine Frau, der schenkte Gott keine Kinder, und sie war deßwegen so betrübt, daß sie eines Tages ausrief: »lieber Gott, schenke mir ein Kind und wenn es auch eine Schlange wäre.« Bald darauf merkte sie, daß sie gesegneten Leibes sei, und als ihre Zeit kam, brachte sie eine Schlange zur Welt. Die Frau hatte nun, was sie wünschte, und pflegte die Schlange wie ihr Kind. Sie legte sie anfangs in eine Mulde, aber sie wurde bald so groß, daß sie keinen Platz darin hatte, und wurde immer größer und größer, so daß sie beinahe das große Gährfaß ausfüllte, in das der Most sammt den Träbern geschüttet wird.

Als die Schlange ausgewachsen war, sagte sie zu ihrer Mutter: »Mutter, ich will eine Frau haben.« Diese aber antwortete: »wer wird eine Schlange heiraten wollen?« Darüber wurde die Schlange zornig und rief: »wenn du mir keine Frau verschaffst, so fresse ich dich.«

Übel oder wohl, ging also die Frau in die Kirche und[177] sagte zu den dort versammelten Frauen: »ich suche eine Schwiegertochter für meinen Sohn, denn er wünscht sich zu verheiraten.« Als das die Weiber hörten, lachten sie, aber unter ihnen war auch eine Stiefmutter, und diese sprach: »ich gebe dir meine Stieftochter.« »Wenn sie aber gefressen wird?« fragte die Schlangenmutter. »So liegt mir auch nichts dran«, sagte die Stiefmutter, und somit machten sie die Sache fest.

Als die Stieftochter hörte, daß sie eine Schlange heiraten sollte, wurde sie sehr traurig, ging weinend zu dem Grabe ihrer Mutter, und weinte dort so lange, bis sie darüber einschlief. Da sah sie im Traume, daß ihre Mutter aus dem Grabe stieg und zu ihr sagte: »fürchte dich nicht vor der Schlange, denn es ist ein schöner Jüngling, und du mußt nur auf ein Mittel denken, seine Schlangenhaut zu verbrennen, wenn er sie ausgezogen hat, damit er nicht mehr in dieselbe hineinschlüpfen kann.« Darauf erwachte das Mädchen und ging getröstet heim, und als sie mit der Schlange verheiratet wurde, wunderten sich die Leute, wie ruhig sie sich in ihr Schicksal fügte.

Am Morgen nach der Hochzeit fragte sie die Schwiegermutter, ob die Schlange bei Nacht ebenso wäre wie bei Tage, und darauf erwiderte sie: »ach nein! mein Mann ist keine Schlange, sondern ein schöner Jüngling, der nur in einer Schlangenhaut steckt, und wenn er diese auszieht, so strahlt er, als ob er ein Kind der Sonne wäre.« Da sagte die Schwiegermutter: »heute Abend wollen wir den Backofen heizen, und wenn du mit ihm zu Bette gegangen bist, und merkst, daß er eingeschlafen ist, so will ich dir den Schürhaken in das Gährfaß hinunter reichen, und dann mußt du seine Schlangenhaut daran hängen und ich werde sie heraufziehen und in den[178] Backofen werfen, damit sie verbrennt.« Der jungen Frau gefiel der Anschlag, und als sie mit ihrem Manne zu Bette gegangen und dieser eingeschlafen war, da hängte sie seine Schlangenhaut an den Schürhaken, den ihr die Schwiegermutter in das Faß hinabreichte, und diese zog sie hinauf und warf sie in den brennenden Backofen. Während die Haut darin verbrannte, erwachte der junge Mann von dem brenzlichen Geruche und sagte zu seiner Frau: »es riecht, als ob meine Schlangenhaut verbrannt würde.« »Dummes Zeug!« erwiderte diese, »schweig' still und schlafe weiter.«

Als er nun am andern Morgen die Haut nicht mehr fand, um hineinzukriechen, da stieg er aus dem Gährfasse, und lebte von da an in seinem Hause wie die anderen Menschen. Bald darauf wurde seine Frau gesegneten Leibes und gebar einen Knaben, und um diese Zeit wurde er zu einem Feldzuge aufgeboten und mußte in den Krieg ziehen.

Die Stiefmutter aber hatte seit langem ihre Stieftochter um ihr Glück beneidet, und sich darüber geärgert, daß sie den schönen Mann nicht ihrer eigenen Tochter gegeben habe. Als daher dieser in den Krieg gezogen war, da ging sie eines Nachts heimlich in die Kammer der Kindbetterin, nahm diese aus dem Bette, trug sie in eine Einöde, und legte ihre eigene Tochter an ihrer Statt ins Bett. Diese stellte sich, als ob sie krank wäre und ihr Kind nicht säugen könne, und man nahm also eine Amme an, um es zu ernähren.

Als die Stieftochter merkte, daß sie in der Einöde sei, da fing sie an so sehr zu weinen, daß ihre Tränen in die Erde drangen und einen Menschen benetzten, den man lebendig begraben hatte, und der Kyrikos (Herold) hieß. Als diesen die Tränen berührten, erwachte er davon, stand[179] aus dem Grabe auf und fragte die junge Frau, warum sie weine; sie aber erzählte ihm, wie es ihr ergangen sei. Darauf fragte er sie, ob sie mit ihm in sein Haus kommen wolle. Sie war es zufrieden und stieg mit ihm in seine Grube, und es dauerte nicht lange, so wurde sie abermals schwanger und gebar einen Knaben. Endlich wurde dem Kyrikos in seiner Grube die Zeit lang und er machte sich mit Weib und Kind auf und kehrte in seine Heimat zurück, wo man ihn zwanzig Jahre lang als tot betrauert hatte, und seine Mutter und Schwester empfingen ihn mit großer Freude.

Als das Schlangenkind aus dem Kriege heimkam, da sah er seine Schwägerin an der Stelle seiner Frau und fragte seine Mutter: »wo ist denn deine Schwiegertochter?« und sie antwortete: »diese ist es, mein Sohn«, denn sie glaubte nicht anders, als daß sich ihre Schnur durch das Kindbett so verändert habe. »Ei was«, rief jener, »ich sollte etwa meine Schwägerin nicht kennen? Meine Frau ist wohl gestorben und ihr wollt es mir nicht sagen?« Da rief seine Schwägerin: »nein ich bin es, warum willst du mich nicht wiedererkennen?« Er aber blieb dabei und behandelte sie nicht wie seine Frau.

Ein glücklicher Zufall führte ihn eines Tages in das Dorf des Kyrikos, und dort erblickte er seine Frau und erkannte sie sogleich und auch sie erkannte ihn wieder. Da umarmten und küßten sie sich, und als er erfuhr, daß sie mit einem andern Manne verheiratet sei, so verklagte er den Kyrikos vor Gericht und forderte von ihm seine Frau zurück. Da fragte sie der Richter: »welchen von beiden willst du zum Manne?« und sie antwortete: »sie sind mir beide gleich lieb, denn sie waren beide gut mit mir.« Darauf entschied der Richter, daß die beiden Männer auf einen Berg steigen, die Frau aber unten[180] bleiben solle, und wenn sie oben angekommen wären, dann sollten sie rufen: »mich hungert und dürstet«, und die Frau ihnen antworten: »komme, ich will dir Essen und Trinken geben.« Dann sollten sie um die Wette herunterlaufen, und wer zuerst bei der Frau ankomme, der solle sie behalten. Da machten sie es wie ihnen der Richter gesagt, und beim Wettlauf überholte das Schlangenkind den Kyrikos und schloß sie in seine Arme. Als das der Kyrikos sah, sprach er: »lebe wohl, liebe Frau, denn ich kehre dahin zurück, wo ich früher war«, und damit trennten sie sich.

Das Schlangenkind aber kehrte mit seiner Frau nach Hause zurück, schlug seine Schwägerin tot und lebte von nun an mit seiner Frau glücklich und zufrieden.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 177-181.
Lizenz:
Kategorien: