[202] 37. Der Königssohn und der Bartlose.

Es war einmal ein König, der war schon zwölf Jahre verheiratet, ohne Kinder zu bekommen; nach zwölf Jahren aber wurde der Leib seiner Frau gesegnet, und als er dies erfuhr, sprach er zu ihr: »weil ich verreisen muß, so sollst du mir, wenn du einen Knaben bekommst, diesen schicken, sobald er sechszehn Jahr alt ist, und sieh dich[202] dann vor, daß du ihm keinen Bartlosen zum Führer giebst; wenn du aber eine Tochter bekommst, so mag sie bei dir bleiben und du kannst sie verheiraten, wie es dir gut scheint.« Darauf reiste er ab.

Die Königin bekam aber einen Knaben, und als er heranwuchs, schickte sie ihn in die Schule, und dort nannten ihn die Kinder Bastard. Da fragte er eines Tages seine Mutter: »sage mir, Mutter, warum rufen mich die Kinder Bastard? habe ich denn keinen Vater?« und diese antwortete ihm: »ja wohl hast du einen, mein Kind, und das ist sogar ein König; wenn du groß bist, so werde ich dich zu ihm schicken.« Als das der Knabe hörte, sagte er: »schicke mich nur gleich zu ihm, denn hier halte ich es nicht länger aus«, und setzte seiner Mutter so lange zu, bis diese sich entschloß, ihm den Willen zu tun, und auf den Markt ging, um einen Pferdetreiber zu suchen, mit dem er zu seinem Vater reisen könne. Sie fand aber dort nur einen bartlosen Treiber, der in die Stadt wollte, wo sich der König aufhielt, und da sie sich erinnerte, daß ihr der König aufgetragen hatte, den Knaben nicht mit einem Bartlosen zu schicken, so ging sie wieder nach Hause. Am zweiten Tage ging es ihr grade so, sie fand wieder nur einen bartlosen Pferdetreiber; und als sie am dritten Tage wieder ausging, um nach einer Gelegenheit zu suchen, da fand sich wieder nur der eine und der Treiber war wieder bartlos. Weil ihr aber der Knabe mit seiner Ungeduld keine Ruhe mehr ließ, so entschloß sie sich, ihn in Gottes Namen mit einem Bartlosen gehn zu lassen. Sie machte nun alles für die Reise Nötige zurecht und schickte ihn zum Vater.

Unterwegs bekam der Prinz Durst und verlangte von dem Pferdetreiber Wasser. Dieser aber vertröstete ihn, daß sie weiter vorn an einen Brunnen kommen würden. Nach[203] einer Weile rief der Prinz wieder: »ich sterbe vor Durst«, und der Bartlose antwortete: »wir werden gleich an dem Brunnen sein.« Als sie endlich bei dem Brunnen ankamen, ließ er den Prinzen an einem Seile herunter, damit er Wasser trinken können, und nachdem dieser sich satt getrunken, rief er dem Bartlosen zu: »zieh mich herauf.« Der aber erwiderte: »ich ziehe dich nicht eher herauf, als bis du mir versprichst, daß du mir deine Kleider geben und die meinigen anziehen willst, daß du mich auf dem Pferde reiten lassest und hinter mir als Treiber hergehst und daß du mich überall für den Königssohn ausgiebst, und wenn dir das nicht Recht ist, so magst du unten bleiben.« Was wollte der Prinz machen? er mußte endlich nachgeben und versprechen, was jener verlangte. Der war aber mit dem bloßen Versprechen nicht zufrieden, sondern verlangte einen Eidschwur, und da schwor denn der Prinz, daß er ihn erst dann verraten wolle, wenn er gestorben und von den Toten wieder auferstanden wäre. Darauf zog ihn der Bartlose heraus, nahm ihm seine schönen Kleider, setzte sich auf das Pferd und ließ den Prinzen als Treiber hinterher gehn, und so kamen sie zum König. Dieser empfing sie mit großem Pompe und schickte ihnen seine Pauker und Trompeter und viele Hofbeamte entgegen. Als er aber den Bartlosen erblickte, da wollte es ihm nicht recht in den Sinn, daß dies sein Sohn sei, und der junge Pferdetreiber sah ihm viel mehr danach aus, doch da er glaubte, daß es einmal nicht anders sein könne, so empfing er den Bartlosen wie seinen Sohn, und ließ ihm alle diesem zukommenden Ehren erweisen.

Der König hatte einen großen Garten, in dem hatte sich ein alter blinder Drache angesiedelt, und so oft der König darin spazieren gehn wollte, mußte man dem Drachen einen Menschen zu fressen geben. Als nun der[204] Prinz von dem Garten hörte, verlangte er hineingeführt zu werden.

Der König aber sagte ihm, daß er grade Niemanden habe, den er dem Drachen zu fressen geben könne. Da rief der Bartlose: »wir wollen meinen Pferdeknecht dazu nehmen.« Der König meinte freilich: »es wäre doch Schade um das junge Blut«, als aber der Bartlose darauf bestand, wollte er ihm nicht gleich von Anfang durch den Sinn fahren, und ließ ihm seinen Willen.

Was die beiden mit einander sprachen, hatte aber der Prinz mit angehört, er lief also in den Stall und versteckte sich dort weinend bei einem alten lahmen Pferde. Das fragte ihn: »warum weinst du, mein Sohn?« Er aber antwortete: »weil sie mich dem alten Drachen vorwerfen wollen.« Darauf sprach das Pferd: »fürchte dich nicht, sondern laufe zum Fleischer und hole dir dort drei Stücke Rinderfett, und wenn sie dich dem Drachen vorwerfen, so gieb ihm ein Stück nach dem andern zu fressen, und davon wird er wieder sehend werden, und aus Dankbarkeit wird er dich fragen, was er dir erweisen solle für die Wohltat, die du ihm erwiesen hast, und dann sollst du sagen: lehre mich die Sprache aller Tiere. Darauf wird er dich verschlucken und in seinem Bauche wirst du die Sprache aller Tiere lernen.«

Der Prinz machte es, wie ihm das alte Pferd gesagt hatte, und als der alte Drache das Rinderfett gefressen, wurde er wieder sehend. Darauf verschluckte er den Prinzen und lehrte ihm in seinem Bauche die Tiersprache; und als er ausgelernt hatte, spie er ihn wieder aus, verließ dann des Königs Garten und kroch in den Wald, weil er wieder sehen konnte.

Der Prinz kehrte nun an den Hof zurück, und der König freute sich, daß er wieder da war, aber der Bartlose[205] war sehr zornig darüber. Da geschah es einst, daß sich der König im Garten rasiren ließ, und daß der Bartlose und der Prinz zugegen waren. Während des Rasirens kamen zwei Vöglein und zwitscherten mit einander, und das eine sprach zum andern: »guten Tag, guten Tag, ich habe meine Eier gelegt und sie ausgebrütet und meine Jungen sind ausgekrochen.« Als das der wahre Prinz hörte, da lachte er, der Bartlose aber fragte ihn: »was hast du zu lachen, etwa darüber, daß sich mein Vater rasiren läßt?« »Nein«, antwortete der Prinz, »sondern weil ich zwei Vögel mit einander zwitschern hörte, deren Federn wie die Haare der Goldgelockten glänzten.« Der Bartlose aber sagte darauf: »wo hast du die Goldgelockte gesehen? geh gleich und hole sie her.«

Da ging der Prinz wiederum in den Pferdestall und weinte, und als ihn das alte einäugige Pferd weinen sah, fragte es ihn: »was fehlt dir, mein Sohn, und warum weinst du?« Der Prinz antwortete: »ich soll die Goldgelockte holen, und weiß doch nicht, wo sie ist und wie ich es anstellen soll.« Darauf sprach das Pferd: »sage nur, daß du gehen wollest, und wenn sie dir sagen, daß du dir ein Pferd für die Reise aus dem Marstalle wählen sollst, so wähle mich.«

Da erklärte sich der Prinz bereit, die Goldgelockte zu holen, und als ihm der König sagte, daß er sich zu dieser Reise ein Pferd aus seinem Marstalle aussuchen solle, wählte er jenes alte lahme Pferd, und machte sich mit ihm auf den Weg. Nachdem er eine Weile geritten war, stieß er auf einen großen Haufen Ameisen, welche nicht über einen Bach konnten. Da sprach das Pferd: »gehe hin und lege einen Zweig über den Bach, damit sie hinüber können, und wenn sie dich fragen, was sie dir für einen Dienst erweisen sollten für die Wohltat, die du[206] ihnen getan, dann verlange einen Ameisenflügel von ihnen und daß, wenn du ihn verbrennen würdest, sie alle kommen sollten.« Der Prinz tat, was ihm das Pferd gesagt hatte; er legte einen Zweig über den Bach, so daß alle hinüber konnten, und erhielt dafür einen Ameisenflügel von ihnen.

Als er wieder eine Strecke weiter geritten war, kam er zu einem Bienenstock, dessen Waben ein Bär verzehrte. Da sprach das Pferd: »töte den Bären und verlange auch von den Bienen einen Flügel«; und der Prinz ging hin, tötete den Bären, und als ihn die Bienen fragten, wie sie ihm für diese Wohltat vergelten könnten, so ließ er sich von ihnen einen Flügel geben und dabei versprechen, daß sie zu ihm kommen wollten, wenn er ihn verbrennen würde.

Als er wieder eine Strecke geritten war, kam er zu einem Rabenneste, bei dem saß eine Schlange und fraß die Jungen aus dem Neste, ohne daß es die Eltern wehren konnten. Auf den Rat des Pferdes tötete er die Schlange und ließ sich vom Rabenvater eine Feder geben und dabei versprechen, daß er zu ihm kommen wolle, sobald er die Feder anbrennen würde.

Endlich kam er bei der Goldgelockten an, und sagte, daß er gekommen sei, um sie zu werben, und diese antwortete: »ich will dich nehmen, wenn du im Stande bist, vier untereinander gemengte Pferdelasten Weizen, Gerste, Spelt und Mais in einem halben Tage auseinander zu lesen.« Er aber sprach: »das ist eine Kleinigkeit für mich.« Man sperrte ihn also mit dem vermengten Getreide in eine Stube ein, und als er allein war, verbrannte er den Ameisenflügel, und sogleich kamen alle Ameisen herbei und waren mit der ganzen Arbeit in einer Stunde fertig. Als die Ameisen abgezogen waren,[207] klopfte er an die Türe und ließ die Goldgelockte rufen, weil er mit der Arbeit fertig sei.

Darauf sagte der Vater der Goldgelockten: »ich werde meine Tochter nun mit allen Frauen der Stadt tanzen lassen und diese sollen alle verschleiert sein, und wenn du sie aus allen herausfinden kannst, so sollst du sie haben.« Da verbrannte der Prinz den Bienenflügel und sofort erschien der Weisel und sprach zu ihm: »ich werde um alle Frauen fliegen, und sobald ich mich auf eine setze, so mußt du sie packen.« Als nun die Frauen tanzten, da flog der Bienenweisel von der einen zur andern, und setzte sich endlich auf die Goldgelockte, und nun sprang der Prinz auf sie los und packte sie.

Darauf sagte sie zu ihm: »wenn du mir nun noch das Wasser des Lebens bringst, so sollst du mich ganz gewiß haben.« Da verbrannte der Prinz die Rabenfeder und sofort kam der Rabe angeflogen. Als er aber hörte, was der Prinz von ihm verlange, meinte er: »das ist kein leichtes Stück, denn der Berg, in dem die Quelle des Lebenswassers ist, öffnet sich nur für einen Augenblick und schnappt dann wieder zu, aber ich will es versuchen.« Er ließ sich darauf vom Prinzen eine Kürbisflasche geben und flog damit fort und nach einer kleinen Weile brachte er sie gefüllt zurück.

Darauf nahm der Prinz die Goldgelockte und brachte sie zu dem Könige. Dort wollte ihr der Bartlose aufwarten und ihr bei Tisch die Speisen reichen, aber die Goldgelockte sagte: »ich will nicht von deiner Hand essen, sondern von der Hand dessen, der mich hergebracht hat.« Der Prinz brachte ihr also jeden Tag die Speisen und sie ließ ihn dann mit sich essen. Darüber wurde der Bartlose so zornig, daß er nur darauf sann, wie er den Prinzen mit guter Art umbringen könne. Eines Tages[208] sagte er ihm daher: »komme, wir wollen in die Berge gehen und für die Goldgelockte Schnecken lesen«, und als sie an einen Abgrund kamen, sprach er zu ihm: »sieh einmal hinunter, ob Niemand unten ist«, und während der Prinz hinunter sah, gab er ihm einen solchen Stoß, daß er in den Abgrund stürzte und von dem Falle starb.

Darauf kochte der Bartlose die Schnecken auf das beste und trug sie zu der Goldgelockten, um sie mit ihr zu essen. Als sie den Bartlosen mit der Schüssel in der Hand sah, fragte sie ihn: »und wo ist der, welcher mich hierher gebracht hat?« Der Bartlose antwortete: »er ist beim Schneckensuchen vom Felsen gestürzt.« Da sagte sie: »gehe hin und hole mir seine Leiche, denn bevor ich die nicht gesehen habe, glaube ich es nicht, und esse auch nicht eher von den Speisen, die du mir bringst.« Da ging der Bartlose hin und brachte ihr die Stücke des Zerschmetterten. Die Goldgelockte aber setzte diese zusammen, bestrich sie mit dem Wasser des Lebens, und das machte alle Wunden heil und gab dem Körper wieder Leben.

Da stand der Prinz auf und ging sogleich vor den König; der hielt grade ein großes Fest, zu dem viele andere Könige und Große geladen waren, und die Gäste unterhielten sich grade damit, daß sie einander Geschichten erzählten. Drauf bat der Prinz den König um die Erlaubnis, auch eine Geschichte erzählen zu dürfen, und erzählte nun Alles was ihm von dem Bartlosen widerfahren war, und schloß damit, daß er sagte: »das ist meine eigene Geschichte, und ich darf sie jetzt erzählen, weil ich geschworen hatte, so lange zu schweigen, bis ich wieder vom Tode auferstehen würde.« Als das der König hörte, ließ er den Bartlosen greifen und in einem Kessel voll siedenden Öles zu Tode brühen. Den Prinzen[209] aber vermählte er mit der Goldgelockten und darauf lebten sie herrlich und in Freuden. – Dort war ich nicht, du brauchst es also auch nicht zu glauben.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 202-210.
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