[195] 36. Das goldene Huhn.

Es war einmal ein armes Ehepaar, das arbeitete den Tag über, und was es dabei verdiente, das verzehrte es am Abend. Eines Nachts träumte es dem Manne, daß eine alte Frau vor ihm stehe und zu ihm also spreche: »Geh an den und den Ort, dort wirst du dein Glück finden. Du mußt ihm ohne weiteres auf den Rücken springen und es bei den Haaren packen. Es wird dir dann[195] Millionen und Millionen versprechen, du aber mußt sagen, von alle dem will ich nichts, denn mein Sinn steht nach dem goldenen Huhne. Anfangs wird das Glück Schwierigkeiten machen und es dir nicht geben wollen, du aber halte es nur fest, und dann wird es am Ende schon nachgeben und dir das Huhn bringen.«

Der Mann machte es, wie ihm die Alte gesagt hatte; er ging hin, fing sein Glück und hielt es so lange fest, bis es ihm das goldene Huhn gegeben hatte. Dieses Huhn legte jeden Monat ein Ei, und als es bei dem Manne das erste Ei gelegt hatte, sagte dieser zu seinem ältesten Knaben: »da nimm dieses Ei und verkaufe es und kaufe Brot für das Geld, das du erlösest.«

Als der Knabe auf den Markt kam und sein Ei feil bot, trat ein Jude zu ihm und fragte: »Was verlangst du für dein Ei, mein Kind?« Da lachte der Knabe und sprach: »tausend Piaster.« Der Jude aber wußte, was es mit dem Huhne für eine Bewandtnis habe, er gab also dem Knaben die tausend Piaster und dieser brachte sie mit großer Freude seinem Vater, und als der das viele Geld sah, da freute er sich nicht weniger, und kaufte damit alles, was er für sein Haus brauchte.

Nach einem Monat legte das Huhn wieder ein Ei, und der Knabe trug es wieder auf den Markt, um es zu verkaufen. Da kam derselbe Jude zu ihm und fragte ihn: »wie viel willst du für dein Ei, mein Sohn?« Der Knabe lachte und sprach: »hunderttausend Piaster.« Der Jude aber versuchte auch diesmal nicht mit dem Knaben zu handeln, sondern gab ihm, was er verlangt hatte, und darauf nahm er das Ei und der Knabe das Geld; und wie es mit diesen zwei Eiern gegangen war, so ging es auch mit den andern, die das Huhn legte, der Knabe verlangte für jedes Ei immer mehr als für das vorhergehende und der[196] Jude gab ihm ohne Widerrede, was er verlangte; und so kam es, daß jenes arme Ehepaar einen Schatz von vielen Millionen aufhäufte. Als aber der Mann sein Haus mit allem ausgestattet hatte, was man nur wünschen konnte, wurde es ihm doch zu langweilig darin, und er machte sich auf, um die Welt zu sehn. Kaum hatte er das Haus verlassen, so kam der Jude zur Frau und spann einen Liebeshandel mit ihr an, und nach einer Weile sagte er zur Frau: »willst du mich nicht einmal bei dir zu Tisch laden?« »O! sehr gerne!« antwortete diese, und der Jude sagte darauf: »wenn du aber nicht jenes Huhn schlachtest, so komme ich nicht«, und die Frau erwiderte: »warum sollte ich dir zu Liebe nicht ein altes Huhn schlachten?« »Schlachte es also und schicke es zum Bäcker, und vergiß nicht, den Kopf, das Herz und die Leber dazu zu legen, denn die esse ich am liebsten.« Der Jude sprach aber so, weil er wußte, daß, wer den Kopf esse, der werde König, wer das Herz esse, der werde herzenskundig, und wer die Leber esse, der werde jeden Morgen tausend Piaster unter seinem Kopfkissen finden.

Die Frau tat dem Juden zu Liebe alles, was er ihr gesagt hatte, und als es Essenszeit war, schickte sie die Magd zum Bäcker, um das Huhn zu holen, und weil die Schule an dem Wege lag, so sagte sie ihr, daß sie zugleich die drei Kinder von dort holen solle. Da ging die Magd und holte das gebratene Huhn vom Bäcker und die Kinder aus der Schule, und diese, hungrig wie sie waren, stürzten sich nach Kinderweise auf die Magd und das eine nahm ihr den Kopf des Huhns, das andere das Herz, und das dritte die Leber, und jedes aß, was es genommen hatte. Als nun der Jude zum Essen kam, und nach dem Kopfe, dem Herzen und der Leber des Huhnes aussah und sie nicht fand, fragte er, was daraus[197] geworden wäre, und nun erzählte die Magd, wie es damit gegangen sei. Da geriet der Jude in großen Zorn, er schlug sich an den Kopf, schrie und tobte, aber es half ihm nichts, und endlich ging er ungegessen nach Hause.

Die Frau aber liebte ihn so sehr, daß sie alles mögliche versuchte, um ihn wieder zu versöhnen; doch er sagte: »wenn du nicht deine Kinder umbringst, so komme ich dir nicht mehr ins Haus.« – »Wie soll ich das aber anfangen?« – »Du mußt ihnen Gift geben.« – »In Gottes Namen!« sagte die Frau, »denn ich kann ohne dich nicht leben.« Darauf tat sie Gift in das Essen der Kinder. Der Knabe aber, der das Herz des Huhnes gegessen hatte, wußte, was geschehen würde, und sagte also zu seinen Brüdern: »hört, heute Abend wird das Essen, das uns die Mutter vorsetzt, vergiftet sein; aber wir haben ja Geld genug und wollen uns also satt essen, bevor wir nach Hause gehn.« Da ging der, welcher die Leber gegessen hatte, auf den Markt und holte, was sie brauchten, und als sie am Abend nach Hause kamen und ihnen die Mutter sagte: »kommt zum Essen, Kinder, damit ihr euch dann schlafen legen könnt«, da antworteten sie: »wir sind nicht hungrig, denn wir haben schon gegessen«, und so behielten die Kinder an jenem Abend das Leben.

Am andern Morgen sagte der Jude zu der Mutter, sie solle in die Betten der Kinder Rasiermesser stecken, damit sie sich daran schnitten und verbluteten, wenn sie sich hineinlegten, und die Mutter befolgte den Rat. Der Herzenskundige aber sagte zu seinen Brüdern: »die Mutter hat Rasiermesser in unsere Betten getan, an denen wir uns schneiden und verbluten sollen, wir wollen also in ein anderes Zimmer gehn und dort schlafen.«[198] Nachdem sie zu Abend gegessen, holten sie sich eine Matte und legten sich darauf in einem andern Zimmer schlafen. Da kam ihre Mutter zu ihnen und sagte: »so geht doch in eure weichen Betten, und schlaft nicht auf der alten Matte.« »Nein, Mutter«, antworteten die Knaben, »heute Nacht wollen wir einmal nach Bauernweise schlafen.«

Am andern Tage machte der Jude mit der Mutter aus, daß nun nichts übrig bleibe, als die Kinder selbst zu schlachten. Der Herzenskundige aber sprach zu seinen Brüdern: »hört ihr Brüder, so eben hat die Mutter mit dem Juden ausgemacht, daß sie uns heute selber schlachten wollten, jetzt müssen wir fort von hier.« Da machten sich die drei Knaben auf und liefen in die Welt. Als sie so des Weges zogen, sprach der Herzenskundige zu dem von seinen Brüdern, welcher den Kopf des Huhns gegessen hatte: »du wirst König werden, und ich wünsche nur, daß du dich unserer dann erinnern mögest.«

Nachdem sie noch eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie in eine Stadt, deren König gestorben war, und die Einwohner hatten unter sich ausgemacht, daß derjenige König werden solle, welcher am nächsten Morgen zuerst an dem Pallast vorübergehn würde. Da traf es sich, daß an jenem Morgen grade die drei Brüder zuerst an dem Pallaste vorüberzogen, und daß jener, welcher den Kopf des Huhnes gegessen hatte, den andern voranging. »So«, rief der Herzenskundige, »nun bist du König geworden, und ich wünsche nur, daß du dich auch unserer dann und wann erinnern mögest.« Darauf kamen die Stadtältesten heran und begrüßten ihn als ihren König, führten ihn in den Pallast und setzten ihn auf den Thron; der Herzenskundige aber sprach zu dem andern Bruder: »komm, nun wollen wir weiter ziehen und auch unser[199] Glück suchen, vorher aber wollen wir drei jeder dem andern eine Rose geben, und wenn einer sieht, daß die Rose des andern welkt, so soll er sich aufmachen und ihn aufsuchen.« Als das geschehen war, nahmen die Brüder Abschied von dem neuen König und zogen aus, um ihr Glück zu suchen.

Nachdem sie eine Weile gewandert waren, sagte der Herzenskundige zu seinem Bruder: »du wirst auch König werden, und wenn das geschieht, so vergiß mich nicht.« Darauf kamen sie in eine andere Stadt, deren König auch gestorben war und wo die Bürger denselben Beschluß gefaßt hatten, wie in der ersten. Als nun der Bruder des Herzenskundigen an dem bestimmten Morgen zuerst am Pallaste vorüberging, da nahmen sie ihn zu ihrem König an. Darauf sprach der Herzenskundige zu dem neuen König: »jetzt will ich weiter ziehn und mein eignes Glück suchen; nimm aber diese Rose, und wenn die zu welken anfängt, so denke an mich und mache dich auf, und komme zu mir.« Darauf gab ihm der neue König auch eine Rose und bat ihn, daß er es ebenso machen solle.

Nach einer Weile verheiratete sich der zweite Bruder mit einer Königstochter, und als die sah, daß an jedem Morgen tausend Goldstücke unter dem Kopfkissen des Mannes lagen, bat sie ihn so lange, ihr zu sagen, von wo ihm dieses Geld käme, bis er es ihr in einer schwachen Stunde anvertraute. Als nun eines Tags der König krank wurde, da gab ihm seine Frau ein Brechmittel, und als er das genommen hatte, brach er auch die Leber des Huhnes aus, und diese nahm seine Frau, ohne daß er es merkte, und verschluckte sie. Von da an fanden sich die Goldstücke unter dem Kopfkissen der Königin. Am ersten Morgen glaubte er, daß sie seine Frau ihm unter dem Kopfkissen[200] weggezogen, als er es aber am andern Morgen ebenso fand, da fing er an mit seiner Frau zu hadern, doch diese machte wenig Umstände und jagte ihn fort.

Da sahen seine Brüder, daß seine Rose zu welken anfing; sie machten sich also auf, um ihn aufzusuchen, und fanden ihn im größten Elende. Er erzählte ihnen, wie es ihm ergangen sei, und sie nahmen ihn mit sich. Kurz darauf erkrankte die Königin und ihre Krankheit wurde so schwer, daß ihr kein Arzt helfen konnte; da meldete sich auch der Herzenskundige als Arzt bei ihr; die Königin nahm ihn an, und sagte ihm, daß sie gerne alle Arzenei nehmen wolle, die er ihr geben würde, daß es aber nur kein Brechmittel sein dürfe. Doch dieser sprach: »wenn du nicht ohne Widerrede die Arzenei nehmen willst, die ich dir für deine Krankheit gebe, so kannst du auch nicht gesund werden«, und tat dabei, als ob er weggehen wollte. Da rief ihn die Königin zurück und nahm die Arzenei, die er ihr gab. Das war aber ein starkes Brechmittel, von dem sie auch die Leber des Huhns ausbrach; der Herzenskundige nahm sie heimlich weg und brachte sie seinem Bruder, der sie sogleich verschluckte. Der Königin aber vergalt der Herzenskundige Böses mit Guten und gab ihr ein anderes Mittel, das sie vollkommen gesund machte.

Darauf gingen die drei Brüder mit einander in das Königreich des ersten, und dieser regierte als König, die beiden andern aber standen unter ihm und richteten über das Volk mit großer Gerechtigkeit und Weisheit, so daß sie den Namen »die gerechten Richter« erhielten.

Doch nun wollen wir die drei Brüder verlassen und uns nach deren Eltern umsehn.

Nachdem ihr Vater die Welt durchreist hatte, sehnte er sich nach Frau und Kind und ging heim. Er fand aber[201] sein Haus ganz verfallen und niemand darin als seine Frau. Da fragte er sie, »was aus ihren Kindern und ihren Reichtümern geworden sei.« Sie antwortete: »das Geld haben unsere Gläubiger genommen und die haben auch die Häuser zerstört, die Kinder aber sind gestorben.« »Was sagst du?« rief da der Mann, »daß dich die Schlange bisse! komm mit vor die gerechten Richter, die sollen unsere Sache richten.« »Gut, laß uns gehn«, antwortete die Frau.

Sie machten sich also auf und erschienen vor den gerechten Richtern; doch der Herzenskundige erkannte sie sogleich und sagte seinen Brüdern: »das sind unsere Eltern, laßt euch aber nichts merken.« Darauf fragten sie dieselben, »was sie wollten«, und nun fing der Mann an und erzählte alles, was ihm begegnet sei. Dann fragten sie die Mutter, »was sie mit ihren Kindern angefangen habe?« sie blieb aber dabei, »daß sie gestorben wären.« Da begann der Herzenskundige und sprach: »hast du es nicht so und so mit deinen Kindern gemacht?« Doch sie antwortete, »daß sie von dem allem nichts wisse.« Da riefen die Brüder: »siehe uns an, wir sind deine Söhne«, und dann befahlen sie den Henkern, sie wegzuführen und hinzurichten; ihren Vater aber behielten sie bei sich.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 195-202.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon