[280] 41. Vom tapfern Schuster.

Es war einmal ein Schuster, der arbeitete den ganzen Tag, und konnte doch nicht genug verdienen um sorgenfrei zu leben. Eines Tages nun hatte er vier Grani verdient; da kam Einer vorbei und rief: »Was ich für schöne Ricotta1 habe! Schöne, süße Ricotta!« »Ei,« dachte Meister Joseph2, »ich könnte mir wohl für drei Grani Ricotta kaufen. Wenn ich dann noch einen Grani verdiene, so kaufe ich mir für zwei Grani Brod, und halte ein herrliches Mittagsessen.« Also kaufte er für drei Grani Ricotta, und legte sie vor sich auf den Tisch, während er weiter arbeitete.

Es war aber ein sehr heißer Tag, und die Fliegen setzten sich in Schaaren auf die weiße Ricotta. Da nahm Meister Joseph ein Stück Leder, schlug mit aller Macht auf die Ricotta und erschlug eine Menge Fliegen. »Ei,« dachte er, »ich bin doch ein tapferer Schuster; nun will ich in die weite Welt ziehen, und mein Glück versuchen.« Nun nahm er einige Zettel Papier und schrieb darauf: »Fünfhundert Todte und dreihundert[280] Verwundete,« steckte diese Zettel zu sich, nahm auch die Ricotta mit, und wanderte fort. Wenn er nun in eine Stadt kam, so klebte er seine Zettel an den Straßenecken fest, und alle Leute verwunderten sich über den tapfern Schuster.

Nun begab es sich, daß es auch dem König zu Ohren kam, der dachte: »Ein so tapfrer Mann könnte dir wohl nützen,« und ließ ihn vor sich kommen. »Bist du derjenige, der Fünfhundert getödtet und Dreihundert verwundet hat?« frug er ihn. »Ja wohl, königliche Majestät,« sprach der Schuster. »Wenn du denn so tapfer bist, so mußt du mir einen Dienst erweisen,« sagte der König. »Sieh, in jenem Walde haust ein furchtbarer, wilder Riese, dem müssen wir jedes Jahr einen Menschen opfern, daß er ihn fressen kann, sonst kommt er in die Städte, und ermordet uns Alle. Geh hin und tödte den Riesen, sonst lasse ich dir den Kopf abhauen.« »Ach, ich armer Mann,« dachte Meister Joseph, »jetzt bin ich gewiß verloren. Entweder frißt mich der Riese, oder der König läßt mir den Kopf abhauen.« Weil er aber schlau und listig war, so verlor er dennoch nicht den Muth, sondern kaufte etwas Gyps, und machte sich auf den Weg in den Wald. Unterwegs aber knetete er sich Kugeln aus Gyps und Ricotta, und steckte die Kugeln in die Tasche. Als er nun ein gutes Stück weit in den Wald hinein gewandert war, hörte er auf einmal einen großen Lärm, als ob jemand starke Aeste abbreche. »Aha,« dachte er, »da ist wohl der Riese,« und kletterte behende auf einen Baum. Nicht lange, so kam der Riese heran, der war furchtbar anzusehen, und brummte nur immer: »Ich rieche Menschenfleisch, ich rieche Menschenfleisch!« Als er nun die Augen aufhob, und Meister Joseph auf dem Baum sitzen sah, sprach er: »So, du bist es; komm doch herunter, ich habe dir etwas zu sagen.« »Geh fort,« rief der Schuster, »denn wenn du mich nicht in Ruhe lässest, so drehe ich dir den Hals um.« »Du kleiner Wicht,« rief der Riese und lachte, »du Zwerg, wie willst du das anfangen?« »O,« sprach Meister Joseph, »du weißt gar nicht, wie stark ich bin. Sieh einmal diese Marmorkugeln, die zerdrücke ich mit meinen Fingern zu Mehl.« Damit nahm er seine Gypskugeln,[281] zerdrückte sie mit seinen Fingern, und streute das Mehl auf den Boden. Der Riese aber glaubte wirklich, es seien Marmorkugeln, und war über die Kraft des kleinen Menschen ganz entsetzt. »Komm herunter, Gevatter,« sprach er, »und bleibe bei mir. Wenn zwei so starke Menschen, wie wir Beide sind, sich vereinigen, dann kann ihnen ja nichts widerstehen.« Als nun der Schuster hörte, daß ihn der Riese Gevatter3 nannte, kletterte er ganz vergnügt herunter, und sprach: »Gut, wir wollen bei einander bleiben; führe mich in deine Hütte.« Da führte ihn der Riese in seine Hütte und sagte: »Jetzt wollen wir uns in die Haushaltungsgeschäfte theilen. Geh du an den Brunnen und hole Wasser, so will ich unterdessen Feuer anmachen. Dort steht der Krug.« Da zeigte er ihm einen Krug, den der kleine Meister Joseph nicht einmal aufheben konnte. »Ach was,« sprach der listige Schuster, »gib mir lieber einen recht starken, langen Strick, so bringe ich dir gleich den ganzen Brunnen mit; sonst muß ich ja jeden Tag zum Brunnen laufen.« Als der Riese das hörte, erschrak er noch mehr, und dachte: »Nein, was ist das für ein starker Mann! Nun, laß es nur gut sein,« sprach er dann, »ich will lieber selbst mit dem Kruge gehen.« Also nahm er den Krug und ging zum Brunnen, und unterdessen saß Meister Joseph behaglich in der Hütte, und ließ es sich wohl sein.

Als nun der Riese mit dem Wasser kam, sprach er: »Du könntest aber doch wenigstens im Wald etwas Holz suchen, sonst langt es nicht; dort ist die Axt.« Das war aber eine so große schwere Axt, daß Meister Joseph sie gar nicht vom Fleck bringen konnte. »Ach was,« sprach er,[282] »gib mir doch lieber einen starken, langen Strick, so binde ich gleich einen ganzen Baum an, und schleppe ihn hierher, so haben wir auf lange Zeit genug.« »Nein, was ist der Mann stark,« dachte der Riese, und ging lieber selbst, das Holz zu suchen; denn er fürchtete sich vor dem starken Schuster. Meister Joseph aber blieb vergnügt sitzen, und ruhte aus. Als der Riese nun mit dem Holze nach Hause kam, setzte er einen großen Kessel aufs Feuer, und kochte sein Abendessen.

Nachdem sie nun gegessen hatten, holte er eine große, dicke, eiserne Stange hervor, und sprach: »Wir wollen jetzt noch ein Spielchen machen. Wir wollen einmal sehen, wer diese Stange am längsten herumtragen kann.« »Gut,« sprach der Schuster, »zuerst aber mußt du das dicke Ende recht tüchtig umwickeln, denn wenn ich mit der Stange ein Rad schlage, so geht das so schnell, daß ich nicht sehen kann, wohin ich treffe, und ich könnte dir dann mit der Stange den Schädel einschlagen.« Da bekam der Riese einen solchen Schrecken, daß er sprach: »Nein, dann wollen wir lieber nicht spielen; komm, wir wollen zu Bette gehen.« »Wo soll ich denn schlafen?« frug der Schuster. »Komm nur,« sprach der Riese, »in meinem Bett ist für uns Beide Platz.« Da legten sich Beide in des Riesen Bett, und bald schnarchte der Riese, daß es eine Art hatte. Der Schuster aber hatte doch immer Angst vor dem Riesen, also kroch er leise aus dem Bette, und legte einen großen Kürbis an die Stelle, wo sein Kopf gewesen war; sich selbst aber versteckte er unters Bett.

Nicht lange, so wachte der Riese auf, und weil er sich vor dem starken Schuster fürchtete, so dachte er: »Jetzt schläft der kleine Mensch; jetzt ist der Augenblick, ihn zu tödten. Wer weiß, er bringt mich sonst noch vielleicht um.« Also stand er auf, nahm die schwere, eiserne Stange, und weil er den Kürbis für den Kopf des Schusters hielt, so schlug er mit aller Macht darauf, daß der Kürbis ganz zerquetscht wurde. In demselben Augenblick aber seufzte Meister Joseph unter dem Bett laut auf. »Was ist dir?« frug der Riese ganz erschrocken. »Ach, es hat mich eben ein Floh tüchtig ins Ohr gebissen!« antwortete Meister Joseph. Nun erschrak der Riese noch viel mehr, und legte sich ganz stille zu Bett.[283] Meister Joseph aber kroch unter dem Bett hervor, warf den zerquetschten Kürbis unters Bett, und legte sich selbst leise nieder. Er sann aber fortwährend nach, auf welche Weise er den Riesen ums Leben bringen könne, denn er dachte: »Ich kann doch nicht immer hier bleiben, und wenn ich unverrichteter Sache heimkehre, so läßt mir der König den Kopf abhauen.« Höret also, was er that.

Am nächsten Morgen sprach er zum Riesen: »Heute wollen wir uns einmal an Maccaroni gütlich thun; koche deßhalb einen großen Kessel voll. Wenn wir dann fertig sind mit Essen, so schneide ich mir zuerst den Bauch auf, damit du siehst, daß ich meine Maccaroni essen kann, ohne sie zu zerkauen, und nachher mußt du dir auch den Bauch aufschneiden, damit ich sehen kann, wie deine Maccaroni aussehen.« Der Riese war es zufrieden, denn er war eben sehr dumm, und setzte einen mächtigen Kessel mit Wasser auf, um eine ganz große Schüssel Maccaroni zu kochen. Unterdessen aber ging der Schuster ein wenig abseits in den Wald, und band sich unter dem Hals einen großen Sack fest, der ihm bis an den Bauch reichte. Als er nun wieder kam, sprach der Riese: »Die Maccaroni sind fertig; nun wollen mir auch sehen, wer am meisten davon ißt.« »Gut, das wollen wir,« sprach der Schuster, und sie machten sich Beide daran. Der Riese aß sehr schnell, Meister Joseph aber warf seine Maccaroni alle in den Sack hinein, und sagte dabei immer: »Mach doch zu, siehst du nicht, daß ich viel schneller esse als du?« Endlich waren die Maccaroni alle aufgegessen, da sprach Meister Joseph: »So, jetzt gib mir ein Messer, jetzt wollen wir einmal nachsehen, wie die Maccaroni aussehen, und ich will den Anfang machen.« Da gab ihm der Riese ein großes Messer, und Meister Joseph schnitt mit einem kräftigen Schnitte den Sack auf, daß die Maccaroni alle auf den Boden fielen. »Siehst du, ich esse meine Maccaroni ohne sie zu kauen; jetzt ist die Reihe an dir,« sprach er, und reichte dem Riesen das Messer. Der setzte kräftig an, und schnitt sich den Bauch auf, daß die Eingeweide herausfielen, und er brüllend zu Boden sank. »So recht,« sprach der tapfre Schuster, »jetzt hast du mir die Mühe erspart, dich umzubringen.« Da nun der Riese[284] gestorben war, trat Meister Joseph hinzu, und schnitt ihm in aller Ruhe den Kopf ab. Den brachte er dem König, und sprach: »Königliche Majestät, hier ist des Riesen Kopf. Es ist ein heißer Kampf gewesen, aber endlich ist es mir doch gelungen, ihn zu besiegen.« Da wurde der König hoch erfreut, und da er eine sehr schöne Tochter hatte, so gab er sie dem Schuster zur Frau, und Meister Joseph führte nun ein herrliches Leben, und als der König starb, wurde er König, und lebte glücklich und zufrieden, wir aber haben das Nachsehen.

1

Weicher Käse aus geronnener Milch.

2

Mastro Giuseppe.

3

Durch diese Bezeichnung versicherte ihn der Riese seines Lebens. Das Verhältniß der Gevatterschaft gilt in Sicilien für eben so heilig als die Bande des Blutes; ihr besonderer Schutzpatron ist der St. Giovanni, und man hört häufig die Bezeichnung: siamo compari di St. Giovanni. In Messina trug sich vor Kurzem folgender Fall zu: Zwischen zwei berüchtigten Camorristen (coltellatori) hatte eine Versöhnung stattgefunden nach jahrelanger Feindschaft, und zur Besiegelung hatte der Eine derselben den Andern zum Gevatter gebeten; dieser aber die Aufforderung nicht angenommen. Dadurch hielt sich jener für überzeugt, daß ihm der Andre doch nach dem Leben trachten werde, und um ihm zuvorzukommen, schoß er ihn eines Abends nieder.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CCLXXX280-CCLXXXV285.
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