[257] 88. Die Geschichte von Spadònia.

In einem Punkte stimmt die in diesem M. erzählte Fahrt in's Jenseits mit Märchen andrer Völker, in denen ebenfalls eine solche Fahrt erzählt wird, überein,[257] am meisten mit einem litauischen (Schleicher S. 71). Wie im sicilian. M. Peppe magere Ochsen auf trefflicher, grasreicher Weide und fette Ochsen auf einer Weide mit spärlichem und schlechtem Gras sieht, und wie ihm dann von Christus erklärt wird, die mageren Ochsen seien die Wucherer, die Gut und Blut der Armen aussaugen und doch niemals genug haben, und die fetten Ochsen seien die Armen, die auf Gott vertrauen und die bei dürftiger Nahrung durch Gottes Segen gedeihen, so sieht im litauischen M. der Fischer auf dem Weg zum Himmel schönes Vieh auf kahler, schwarzer und mageres auf schöner, grüner Weide, und Gott sagt ihm dann, die magern Rinder seien die Seelen unbarmherziger Reicher, die fetten die Seelen solcher Leute, die viel Gutes gethan und besonders den Armen viel Wolthaten erwiesen hätten. In einem dänischen M. (Grundtvig I, 7) trifft einer, der seinen todten Freund in's Jenseits begleitet, zwei magere Kühe bei schönstem Gras und zwei fette bei schlechtem Gras, und der Todte sagt ihm, die magern Kühe seien ein reiches, aber uneiniges Ehepaar, die fetten ein armes, aber einträchtiges Ehepaar gewesen. In einem isländischen M. (Arnason II, 35 = Powell II, 40, auch bei Maurer S. 199) sieht ein Pfarrer auf der Fahrt in's Jenseits auf einem schönen Grasplatz zwei ausgehungerte und mit einander streitende Schafe und auf einer Haide mit spärlichem Gras zwei fette und friedlich bei einander liegende Schafe, und sein Begleiter sagt ihm, die magern Schafe seien die habsüchtigen und nie zufriedenen Reichen, die fetten die guten und zufriedenen Armen. In einem südfranzösischen M. in der demnächst erscheinenden Sammlung von J.F. Bladé »Contes populaires recueillis en l'Agenais« (S. 56) kömmt der jüngste Bruder auf seiner Fahrt mit dem Mann mit roten Zähnen zu Wiesen, »si maigres qu'on eût pu y ramasser du sel,« aber mit speckfetten Rindern, dann zu Wiesen mit zwei Fuß hohem Gras, aber mit ganz magern Rindern, endlich zu gewöhnlichen Wiesen mit Ziegen, die weder fett noch mager sind. Die magern Wiesen sind das Paradies mit den Seligen, die üppigen Wiesen die Hölle mit den Verdammten, die gewöhnlichen Wiesen das Fegfeuer. In dem M. in Bladé's Sammlung aus Armagnac (S. 59) trifft der von »bon Dieu« zum Schloß der Mutter Gottes geschickte Jüngling unterwegs eine Wiese, wo man hätte Gras schneiden können, mit magerem dürren Vieh, und eine Wiese, wo man hätte Salz aufhäufen können, mit fettem Vieh. Die Mutter Gottes erklärt ihm nachher, jenes seien die schlechten, dieses die guten Kräuter (las machantos herbetos, las bounos herbetos). Endlich in einer tatarischen Heldensage (A. Castrén, Ethnologische Vorlesungen über die Altaischen Völker nebst samojedischen Märchen und tatarischen Heldensagen, St. Petersburg 1857, S. 244 f. und 251, Schiefner, Heldensagen der Minussinschen Tataren, St. Petersburg 1859, S. 407 und 419) sieht Kubaiko, die Schwester Komdai Mirgän's, in der Unterwelt ein sehr fettes Roß[258] auf einer wasser- und graslosen Sandfläche und dann ein sehr mageres Roß in kniehohem Gras neben einem rinnenden Bach. Die Irle-Chane erklären später dem Mädchen: »Das fette Roß erinnert an einen Mann, der sich um sein Roß kümmert und es stets in Stand erhält, wie groß auch der Mangel an Weide und Wasser sein mag, während dagegen das magere ein Beweis davon ist, daß ein Roß nicht einmal bei der besten Weide gedeihen kann, wenn der Hauswirt nicht nachsieht und sich desselben annimmt.«

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 257-259.
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