[170] 88. Die Geschichte vom Spadònia.

[170] Es war einmal ein König, der war fromm und gottesfürchtig, und hatte eine besondere Verehrung für die heiligen Seelen im Fegefeuer. Um ihnen nun etwas Gutes zu erweisen, ließ er jeden Morgen einen großen Backofen voll frischen Brotes backen; der Herr aber sandte ihm jeden Morgen ein Eselchen mit zwei Körben aus Bast1, darein packte der König das Brot, und das Eselchen brachte es zu den heiligen Seelen im Fegefeuer. Als aber seine Zeit um war, wurde der König krank, und da er fühlte, daß es mit ihm zum Sterben ging, rief er seinen einzigen Sohn Spadònia herbei und sprach zu ihm: »Lieber Sohn, ich muß nun sterben, versprich mir, daß du dasselbe thun willst, was ich so lange gethan habe. Jeden Morgen mußt du das Brot für die armen Seelen im Fegefeuer backen lassen, und es dem Eselchen aufladen.«

Spadònia versprach Alles, und der König starb; der Sohn aber ließ auch ferner jeden Morgen das Brot backen, und der Herr sandte ihm das Eselchen, und er schickte mit demselben das Brot zu den armen Seelen im Fegefeuer.

Eines Tages aber dachte Spadònia: »Hier lade ich nun schon seit so langer Zeit dem Eselchen das Brot auf, und weiß doch eigentlich nicht, ob ich damit etwas Gutes oder Schlimmes thue«2. Also rief er seinen vertrauten Diener herbei, und sprach zu ihm: »Peppe, du mußt mir einen Dienst leisten. Morgen früh, wenn das Eselchen kommt, mußt du dich darauf setzen, und hinreiten, wo es dich hinbringt, um zu erfahren, ob ich etwas Gutes oder etwas Schlimmes damit thue, daß ich jeden Morgen das Brot backen lasse. Am andern Morgen, wenn es dann wiederkommt, kehrst auch du zurück, und erzählst mir Alles, was du gesehn und gehört hast.«[171]

Am nächsten Morgen, als das Eselchen kam, um das Brot in Empfang zu nehmen, setzte sich der Diener auf und ritt, wohin das Eselchen ihn trug. Auf dem Wege kam er zuerst an ein klares Wasser, das floß so rein und hell, daß es eine Freude war. Er ritt darüber, und bald kam er an einen Strom, der floß von lauter Milch. Wieder nach einem Weilchen kam er an einen andern Strom, der floß von lauter Blut. Als er noch ein wenig weiter geritten war, sah er ein schönes, grünes Stück Land, auf dem das prächtigste Gras wuchs; die Ochsen aber, die darauf weideten, waren mager und armselig. Gleich darauf aber kam er an ein anderes Stück Land, auf dem wuchs nur spärlich etwas schlechtes, verdorrtes Gras, die Ochsen aber, die darauf weideten, waren prächtige und fette Thiere. Endlich kam er an einen Wald, darinnen standen viele Bäume, kleine und große, alle durcheinander. Ein schöner Jüngling aber stand mitten dazwischen, und hieb mit einer blanken Axt die Bäume um, bald einen großen, bald einen kleinen, und mit jedem Streich fiel ein Baum. Als er nun noch ein Weilchen geritten war, kam er an ein großes Thor, das öffnete sich vor ihm, und das Eselchen ging hinein. Da sah der Diener den heiligen Joseph und den heiligen Petrus und alle die lieben Heiligen, und unter ihnen den ewigen Vater3. Und er sprach zu ihm: »Ach, ewiger Vater, mein Herr hat mich hergesandt, und möchte gern wissen, ob er etwas Gutes oder etwas Schlimmes thut, indem er jeden Morgen dem Eselchen das Brot auflädt.« »Geh nur weiter,« antwortete der ewige Vater, »du wirst deine Antwort bekommen.« Da ritt der Knecht weiter, und sah viele Heilige, und unter ihnen auch den König und die Königin, die Eltern des Spadònia. Die riefen ihn und sprachen: »O, Peppe! bist du es? Wie kommst du denn hierher?« »Euer Sohn hat mich hergesandt,« antwortete Peppe, »und möchte gerne wissen, ob er etwas Gutes oder etwas Schlimmes damit thut, daß er jeden Morgen das Brot backen läßt.« »Hab ich es ihm nicht befohlen?« sprach der König: »jedoch reite[172] nur weiter, du wirst deine Antwort bekommen.« So ritt der Diener weiter, und kam endlich zu unserm Heiland, der saß mit der schönen Mutter4 auf einem Thron, und das war der Höchste und Schönste im Himmelreich. Da kniete Peppe nieder und sprach: »O, lieber Heiland, mein Herr hat mich hergesandt, und möchte gerne wissen, ob er etwas Gutes oder etwas Schlimmes damit thut, daß er jeden Morgen dem Eselchen das Brot mitgibt.« Der Heiland antwortete: »Er thut etwas Gutes, denn er erweist ja den armen Seelen im Fegefeuer eine Wohlthat. Sage deinem Herrn auch, er solle nun heirathen; ich befehle ihm aber, ein Mädchen zur Frau zu nehmen, welches Sècula heißt. Und wenn er verheirathet ist, soll er ein Wirthshaus bauen, und darin soll Jeder so lange umsonst essen und wohnen dürfen, als es ihm beliebt. Empfange nun auch noch einen heiligen Segen, für ihn und für dich.« »Ach, Herr Jesus Christus,« sprach der Diener, »wollet mir noch eine Frage erlauben; auf dem Wege hierher kam ich an einem klaren Wasser vorbei, was war das?« »Das waren alle die Wohlthaten der Menschen, die den armen Seelen im Fegefeuer zu Gute kommen und sie erfrischen.« »Dann kam ich auch an einen Strom, der floß von lauter Milch,« frug Peppe weiter, »ach Herr, saget mir doch an, was war das?« »Das ist die Milch, mit der die schöne Mutter das Christuskind genährt hat.« »Dann kam ich auch an einen Strom, der von lauter Blut floß, was war das?« »Das ist das Blut, das ich für euch Sünder vergossen habe.« »Ach, Herr, beantwortet mir noch eine Frage. Nach dem Blutstrom sah ich ein prächtiges Stück Land, darauf weideten gar magere und armselige Ochsen?« »Das sind die Wucherer, die Gut und Blut der Armen aussaugen, und doch niemals genug haben.« »Dann sah ich auch ein andres Stück Land, das war das gerade Gegentheil vom ersten, denn der Boden war nur mit schlechtem Gras bedeckt; die Ochsen aber, die darauf weideten, waren fett und wohlgenährt?« »Das sind die Armen, die nur wenige und schlechte Nahrung haben können; aber sie vertrauen auf Gott, und Gott[173] gesegnet es ihnen, daß sie dabei gedeihen.« »Endlich sah ich auch einen schönen Jüngling, der mit einer blanken Axt in einem Walde stand und die Bäume umhieb, bald große, bald kleine, was war das wohl?« »Das ist der Tod, der ohne Unterschied die Jungen und die Alten abruft, wenn ihre Zeit gekommen ist. Hast du noch etwas zu fragen?« »Nein,« antwortete der Diener, und der Herr segnete ihn noch einmal, und so ritt er wieder zu seinem Gebieter zurück.

Als Spadònia ihn kommen sah, rief er: »Nun, was hast du gesehn?« Da erzählte ihm der Diener Alles, was er gesehn hatte, und was der Herr zu ihm gesagt. Nun wollte Spadònia zwar nicht gern heirathen, weil es ihm aber der Herr geboten hatte, ließ er im ganzen Land verkünden, wo ein Mädchen mit Namen Sècula sei, das solle kommen, denn er werde es zu seiner Gemahlin machen. Es meldete sich aber kein einziges Mädchen. »Ach,« dachte Spadònia, »unser Herr hat doch eigene Launen5, machte sich aber doch auf den Weg und ritt durch die ganze Welt, um das Mädchen zu suchen, und so oft er in eine Stadt kam, schickte er einen Burschen durch alle Straßen, der mußte mit lauter Stimme rufen: ›Wo ein Mädchen Sècula heiße, das soll sich melden, denn der König wird es zu seiner Gemahlin erheben!‹« Es war aber Alles umsonst, Spadònia konnte keine Sècula finden.

Als er nun die ganze Welt vergebens durchreist hatte, ward er sehr traurig und dachte: »Ach, Herr, welch schweres Kreuz habt ihr mir auferlegt! Und nun muß ich erst noch unverrichteter Sache heimkehren. Doch seht mich gnädig an, o Herr, denn an gutem Willen hat es mir nicht gefehlt.« Da machte er sich traurig auf den Weg nach Haus, und als er ein Stück geritten war, kam er an einen kleinen Brunnen, und weil er so durstig war, stieg er ab um zu trinken. Am Brunnen aber standen viele arme Mädchen mit elenden Röckchen, die füllten ihre Krüge. Wie aber Spadònia noch bei ihnen stand, rief auf einmal eine Stimme: »O! Sècula!« Da schaute er sich um, und sah von Weltem ein altes[174] Männchen mit einer alten Frau stehen, die riefen wieder: »O! Sècula!« »Ich komme!« antwortete eines von den Mädchen. »Heißt ihr Sècula?« frug Spadònia das Mädchen. »Jawohl, edler Herr!« »O, Herr, ich danke dir,« sagte Spadònia, »und ihr, schöne Sècula, müßt mir nun folgen, denn ihr sollt meine Gemahlin werden.« Mit diesen Worten setzte er sie vor sich aufs Pferd, und ritt zu den beiden Alten, die ihre Eltern waren, und sprach auch zu ihnen: »Eure Tochter soll meine Gemahlin werden, und ihr sollt mit mir ziehen, und bei mir bleiben, so lange ihr lebt.«

Denkt euch nun die Freude der armen alten Leute, da sie ihre Tochter so wohl versorgt sahen! Da nahm sie Spadònia alle mit in sein Reich und heirathete die schöne Sècula. Nach der Hochzeit aber ließ er ein Wirthshaus einrichten, und davor stand den ganzen Tag ein Mann, der mußte jeden Vorübergehenden zurufen: »In diesem Wirthshaus kann ein Jeder umsonst essen und wohnen, so lange es ihm gefällt.« Und immer war das Wirthshaus voll.

Als nun einige Zeit vergangen war, sprach eines Tages unser Heiland zu den zwölf Aposteln: »Wir wollen uns aufmachen und in das Wirthshaus gehen, das Spadònia eingerichtet hat.« Da machte sich der Heiland mit den zwölf Aposteln auf und kam in das Wirthshaus. Nun waren aber in dem Wirthshaus gerade alle Lebensmittel ausgegangen, und auch nicht ein Stückchen Brot war da. Die Wirthsleute aber sandten sogleich zu Spadònia und ließen ihm sagen: »Es sind zwölf Reisende angekommen, und alle Lebensmittel sind ausgegangen. Wollet uns etwas schicken.« Da schickte Spadònia sogleich die besten Lebensmittel und Alles was nöthig war. Sècula aber sprach zu ihm: »Lieber Mann, es ist mir so eigenthümlich zu Muth. Ich möchte wohl hingehen, und diese Reisenden selbst sehen.« Da gingen sie Beide zum Wirthshaus, und fanden den Herrn mit den zwölf Aposteln zu Tische sitzen. »Ach sieh, Spadònia, wie ist der Greis so schön!« sprach Sècula, und zeigte auf unsern Herrn. »Wir wollen ihn selbst bedienen.« Also dienten sie dem Heiland und den zwölf Aposteln, und als sie zu Bette gehen wollten,[175] brachte Sècula dem Herrn noch ein Kissen aus ihrem eignen Bett, damit er weicher liegen sollte. Am Morgen wollte sie ihm auch noch etwas Reisegeld auf den Weg mitgeben, der Herr aber schlug es aus, und sprach: »Thut andern Armen damit etwas Gutes, ich brauche es nicht.« Als aber der Heiland und die zwölf Apostel fort waren, und Sècula an das Bett trat, in welchem der Herr gelegen hatte, sah sie auf dem Leintuch das Bild eines Crucifixes abgedrückt. Da fiel sie auf die Knie, und rief auch Spadònia herbei, und sprach: »Sieh, den wir beherbergt haben, ist der Herr gewesen. Nun wollen wir aber eilen, daß wir ihn noch einholen und seinen Segen erflehen.« Wie sie nun mit Spadònia aus dem Hause trat, sandte der Herr einen Sturm und Regen, daß Alle erschrocken zurückfuhren. Sècula aber ließ sich in ihrem Glauben nicht irre machen, sondern sprach: »Spadònia, trotz Sturm und Regen müssen wir dem Herrn nacheilen.« Da machte sich Spadònia mit ihr auf den Weg, und sie liefen durch den Regen, so gut sie konnten, bis sie den Herrn eingeholt hatten.

Als sie ihn von Weitem sahen, rief Sècula: »O, Herr, haltet ein und wartet einen Augenblick auf uns.« Da blieb der Herr stehen, und als Spadònia und Sècula sich zu seinen Füßen warfen, sprach er: »Was verlangt ihr von mir?« Spadònia antwortete: »Herr, wir bitten euch um die Vergebung unserer Sünden und um die ewige Seligkeit für uns und all die Unsrigen.« »Das sei euch gewährt!« sprach der Herr. »Wann aber werdet ihr uns zu euch rufen?« frug Spadònia. Der Herr antwortete: »Haltet euch Alle am heiligen Weihnachtsabend bereit; dann werde ich kommen, und euch an meine Tafel führen.« Damit segnete er sie und verschwand vor ihren Blicken. Spadònia und Sècula aber kehrten in ihr Haus zurück, und gaben all ihr Hab und Gut den Armen, und als der heilige Weihnachtsabend kam, beichteten sie und nahmen das Abendmahl, Spadònia und Sècula, und ihre alten Eltern. Und wie sie so einträchtiglich bei einander saßen, verschieden sie, und ihre Seelen flogen zum Himmel, und Gott möge uns die Gnade erweisen, uns auch zu sich zu nehmen, wenn unsre Stunde kommt.

1

Zimmili.

2

Eigentlich, ob ich sündige, oder etwas Verdienstliches thue, se pecu o meritu.

3

Patri eternu, Gott Vater.

4

Bedda matri, Mutter Gottes.

5

Si passa certi caprici.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 170-176.
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