[84] 71. Vom Sciauranciovi.1

Jetzt hört auch noch die Geschichte von Sciauranciovi, der war eben so klug als Ferrazzanu. Es begab sich einmal, daß dem Sciauranciovi all sein Geld ausgegangen war und er nur noch einige Thaler hatte. Er kannte aber einen Edelmann, der war sein Gönner, und kam jeden Tag, um ihn zu besuchen. Als es nun bald um die Zeit war, wo er zu kommen pflegte, ging Sciauranciovi in den Stall, und klemmte seinem Esel die wenigen Thaler, die er noch hatte, unter den Schwanz. Bald darauf kam auch der Edelmann, und da er ihn im Stalle sah, trat er zu ihm, und frug ihn, was er da mache. »Ach, Excellenz,« erwiderte Sciauranciovi, »wenn ihr wüßtet, was mein Esel für eine herrliche Kunst[84] besitzt! Es ist ein Goldesel und gibt mir lauter harte Thaler.« Dabei kitzelte er den Esel ein wenig, daß dieser den Schwanz aufhob und die Thaler fallen ließ. Als der Edelmann das hörte, rief er sogleich: »Höre einmal, Sciauranciovi, das Thier mußt du mir verkaufen. Wie viel willst du dafür?« »Ich? gar nichts,« antwortete Sciauranciovi, »das Thier ist mir nicht feil, denn wie könnte ich sonst mich und meine Frau ernähren?« Der Edelmann aber bat ihn: »Ich gebe dir was du willst, aber den Esel mußt du mir verkaufen.« »Gut denn,« sagte endlich Sciauranciovi, »weil ihr es seid, so will ich euch den Esel für vierhundert Unzen lassen.« »Bist du toll! vierhundert Unzen für den alten Esel?« rief der Edelmann. Sciauranciovi aber bestand darauf, also daß der Edelmann endlich einwilligte, und ihm den Esel für vierhundert Unzen abkaufte. Nun war Sciauranciovi hocherfreut, und aß und trank was sein Herz begehrte. »Was wird aber der Edelmann dazu sagen, wenn er sieht, daß du ihn gefoppt hast,« sagte seine Frau. »Dafür laß du mich sorgen,« antwortete Sciauranciovi.

Als es nun am andern Tage um die Zeit war, wo der Edelmann zu kommen pflegte, befahl er seiner Frau, in der Küche einige Steine aus dem Boden auszubrechen. In dieses Loch mußte sie die brennenden Kohlen schütten, es mit Steinen verdecken, und endlich den Kessel mit dem kochenden Gemüse darauf stellen, welches also lustig weiter brodelte.

Nicht lange, so kam der Edelmann, voll Zornes, daß er einen schlechten Esel für vierhundert Unzen gekauft hatte, und fuhr den Sciauranciovi an: »So betrügst du mich also, nachdem ich so viel für dich gethan habe!« »Ich? euch betrügen?« entgegnete Sciauranciovi, »wie sollte mir so etwas einfallen?« »Ja, hast du mir nicht einen Esel verkauft, den du für einen Goldesel ausgabst, und der nur ein ganz gewöhnlicher Esel ist, der mir noch keinen Thaler gegeben hat.« »Nun soll ich noch gar schuld daran sein,« klagte Sciauranciovi, »ihr habt doch gestern mit euern eignen Augen gesehen, wie der Esel mir die harten Thaler gab, und wenn er es nun bei euch nicht mehr thut, so ist es ein Zeichen, daß er durch den Wohnungswechsel seine Tugend eingebüßt hat.« Der[85] Edelmann ließ sich beruhigen, und als er am Boden das kochende Gemüse sah, frug er ganz erstaunt, wie das zugehe. »Ja,« erwiderte Sciauranciovi, »der Kessel hat eben eine besondere Tugend. Wenn meine Frau nur Wasser und Gemüse oder Fleisch hineinthut, so kocht der Kessel es ganz von selbst gar, und sie kann ihn stehen lassen, wo sie will.« Der Edelmann ließ sich wieder durch den klugen Sciauranciovi bethören, und rief: »Du mußt mir den Kessel verkaufen, ich gebe dir dafür, was du willst.« »Nein,« antwortete Sciauranciovi, »das thu ich nicht, denn meinen Esel habt ihr mir schon verdorben, und ich habe ja nichts, womit ich mich und meine Frau ernähren kann.« Der Edelmann aber bat so lange, bis Sciauranciovi endlich sagte: »Nun denn, weil ihr es seid, so will ich euch den Kessel für dreihundert Unzen lassen.« »Was! den alten Kessel für dreihundert Unzen!« rief der Edelmann, Sciauranciovi aber meinte: »Es ist eben auch kein gewöhnlicher Kessel, und für weniger kann ich ihn nicht geben.«

Also gab ihm der Edelmann die dreihundert Unzen, und nahm den Kessel nach Haus. »Was willst du heute zum Abendessen machen?« frug er seine Frau. »Gemüse!«2 antwortete sie. Da ließ sich der Edelmann das Gemüse geben, that es mit Wasser und Salz in den Kessel, und setzte diesen auf den Boden. »So,« sagte er, »nun können wir spazieren gehen.« »Bist du toll?« rief die Frau, »was soll denn das für ein Gericht geben?« »Dafür laß du mich nur sorgen,« sagte der Edelmann, und führte seine Frau spazieren, bis es zum Abendessen Zeit war. »Jetzt wollen wir nach Hause gehen,« sagte er dann, »da werden wir unser Gemüse gekocht und gut finden.« Als sie aber nach Hause kamen, stand der Kessel noch gerade so, wie sie ihn verlassen hatten, und sie hatten nun nichts zum Abendessen.

Da ward der Edelmann sehr zornig, und ging am andern Morgen wieder zu Sciauranciovi. Der aber war schlau, und wußte wohl, daß der Edelmann sehr zornig sein würde. Also kam er zu seiner Frau,[86] zeigte ihr zwei kleine graue Kaninchen, und sprach: »Ich lasse dir ein Kaninchen hier. Wenn nun der Patron kommt, so sage ihm, ich sei nicht zu Hause, du würdest mich aber rufen lassen. Dann sprich zum Kaninchen: ›Geh flugs, und rufe deinen Herrn,‹ und laß es laufen.« Also gab er der Frau das eine Kaninchen, und versteckte sich mit dem andern in der Nähe des Hauses.

Nicht lange, so kam der Edelmann und frug nach Sciauranciovi. »Mein Mann ist nicht zu Hause,« sagte die Frau, »ich will ihn aber gleich rufen lassen. Schnell, mein Thierchen, geh hin zu deinem Herrn und rufe ihn.« Mit diesen Worten öffnete sie die Thüre und ließ das Kaninchen laufen. Bald darauf kam Sciauranciovi ins Haus herein, und hielt in seinen Armen das andre Kaninchen, das er streichelte und herzte. Darüber war der Edelmann so erstaunt, daß er seinen ganzen Zorn vergaß und ausrief: »Wie? Sciauranciovi! ist das Kaninchen wirklich gegangen dich zu rufen?« »Gewiß, Excellenz,« antwortete Sciauranciovi, »ich kann gehen wohin ich will, so findet mich das Thierchen doch immer, und deßhalb schickt meine Frau es mir nach, wenn Jemand nach mir fragt.« »Sciauranciovi,« sprach der Edelmann, »du mußt mir das Kaninchen verkaufen, ich gebe dir dafür so viel du willst.« Sciauranciovi that als wolle er nicht, endlich aber ließ er sich überreden, und sprach: »Weil ihr es seid, so will ich euch das Kaninchen für zweihundert Unzen verkaufen.« Da gab ihm der Edelmann zweihundert Unzen, und trug das Kaninchen nach Hause. Dort sprach er zu seiner Frau: »Ich gehe jetzt aus, wenn Jemand kommt und nach mir verlangt, so sprich du nur zum Kaninchen: ›Flugs, mein Thierchen, geh hin, und rufe deinen Herrn,‹ und laß es zur Thür hinaus laufen.«

Als der Edelmann eine Weile fort war, kam Einer, der mit ihm zu sprechen hatte. »Mein Mann ist nicht zu Hause,« antwortete die Frau, »ich will ihn aber rufen lassen.« Da sprach sie zum Kaninchen: »Flugs, mein Thierchen, geh hin und rufe deinen Herrn,« öffnete die Thür und ließ es hinaus laufen. Das Kaninchen aber sprang mit schnellen Sätzen ins Feld hinein und war nicht mehr zu sehen. Die Frau[87] wartete und wartete auf ihren Mann, der erschien aber nicht, also daß der Andre ungeduldig wurde und wieder fortging.

Als nun der Edelmann Abends spät nach Hause kam, erzählte ihm die Frau, was vorgefallen war. Da merkte er, daß Sciauranciovi ihn zum drittenmale betrogen hatte und schwur, sich zu rächen. Am andern Morgen rief er vier starke Männer und gab ihnen einen großen Sack, dahinein sollten sie den Sciauranciovi stecken, und ihn ins Meer werfen. Er selbst ging mit, um zu sehen, daß Sciauranciovi auch wirklich umgebracht würde. Die vier Männer kamen zu Sciauranciovi, steckten ihn mit Gewalt in den Sack, und trugen ihn fort. Als sie vor der Stadt draußen waren, wurde eben in einer kleinen Kirche zur Messe geläutet, und da der Edelmann ein frommer Mann war, so sprach er zu den vier Männern: »Wir wollen noch eben eine Messe hören, stellt den Sack so lange an die Mauer.« Das thaten sie, und traten in die Kirche.

In der Nähe aber weidete ein Hirt seine Schafe und pfiff dabei ein Liedlein. Als das der kluge Sciauranciovi hörte, fing er in seinem Sack auf einmal an, zu schreien: »Aber ich will ja nicht, aber ich will ja nicht!« Der Schäfer hörte auf zu pfeifen, und schaute sich ganz verwundert um, wer denn da gesprochen habe. Als er nun den Sack bemerkte, in welchem Sciauranciovi eben wieder schrie: »Aber ich will ja nicht!« näherte er sich ihm und frug: »Was willst du denn nicht? Warum schreist du so?« »Ach,« antwortete Sciauranciovi, »da wollen sie mich mit aller Gewalt zum König hintragen, damit ich die schöne Königstochter heirathen soll; ich will aber nicht.« »Wäre ich doch an deiner Stelle!« rief der Hirte, »ich wollte die schöne Königstochter gleich heirathen!« »Weißt du was?« sprach Sciauranciovi. »Laß mich heraus, und nimm du meine Stelle ein, so ist uns Beiden geholfen.« Der Hirte willigte mit großer Freude ein, band den Sack los und ließ den Sciauranciovi heraus. Dann kroch er selbst in den Sack, den Sciauranciovi fest zuband, und dann vergnügt mit der ganzen Schafheerde fortging.

Als die Messe zu Ende war, kamen der Edelmann und die vier[88] Männer wieder aus der Kirche, luden den Sack auf, trugen ihn ans Meer und warfen ihn ins Wasser. »So!« dachte der Edelmann, »jetzt habe ich mich an dem unverschämten Menschen gerächt.« Als er aber zur Stadt zurückging, siehe, da begegnete ihm Sciauranciovi, der vergnügt eine große Heerde Schafe vor sich her trieb. »Sciauranciovi? Wo kommst du denn her?« rief der Edelmann. »Ach, Excellenz, wenn ihr wüßtet, wie es mir ergangen ist,« erwiderte der kluge Sciauranciovi. »Als ihr mich ins Wasser werfen ließet, sank ich ganz sanft unter, und auf dem Boden des Meeres fand ich eine Menge Schafe; da trieb ich so viele zusammen, als ich nur konnte, und kam wieder herauf.« »Sind noch mehr Schafe da unten?« frug gleich der Edelmann. »Mehr als ihr euch denken könnt,« antwortete Sciauranciovi. »So führe mich gleich hin,« sprach der Edelmann, »damit ich mir meinen Theil hole.«

Also gingen sie ans Ufer, und der Edelmann kroch in den Sack hinein; den mußte Sciauranciovi zubinden und dann ins Meer werfen. Da sank der Edelmann unter und ertrank. Sciauranciovi aber trieb seine Heerde nach Hause, und blieb von nun an vergnügt und zufrieden, wir aber sind leer ausgegangen.

2

Minestra.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 84-89.
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