[143] 83. Die Geschichte von Caruseddu.1

Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne, davon hieß der Jüngste Caruseddu; der war der Klügste und Schönste, und mit mancherlei Zaubergaben versehen. Nun begab es sich, daß der Vater starb, und seine Söhne in der bittersten Armuth zurückließ. »Was thun wir nun?« frug der Eine. »Wir wollen ausziehen, und unser Brot damit verdienen, daß wir in den Gärten der Reichen arbeiten.« Also zogen sie aus, und wo sie einen schönen Garten sahen, frugen sie an, ob sie darin arbeiten sollten, und so lebten sie kümmerlich.

Eines Tages kamen sie an einem großen Garten vorbei; der[143] Besitzer stand an der Thüre und rief sie an: »Kommet herein, schöne Burschen, und arbeitet in meinem Garten.« Der sie aber so freundlich einlud, das war ein Menschenfresser2, und dachte sie in der Nacht zu fressen.

Nachdem die drei Brüder den ganzen Tag gearbeitet hatten, sprach der Menschenfresser: »Bleibet über Nacht bei mir, und morgen könnt ihr weiter arbeiten.« Da führte er sie in ein Zimmer, in dem stand ein großes Bett; darin sollten sie alle drei schlafen. Nun hatte der Menschenfresser drei junge Töchter, die schliefen in demselben Zimmer, wie die drei Brüder. Caruseddu aber dachte bei sich: »Der Menschenfresser ist gar so freundlich mit uns, er will uns gewiß verrathen!« Als nun die drei Mädchen und seine beiden Brüder schliefen, nahm er den Mädchen ihre Kopftücher ab, und band sie seinen Brüdern und sich selbst um; den Mädchen aber setzte er die wollenen Zipfelmützen seiner Brüder auf. In der Nacht kam der Menschenfresser hereingeschlichen, und befühlte leise die Köpfe, die im Bette lagen. Da fühlte er zuerst die drei Kopftücher; »ei,« dachte er, »das sind ja meine Töchter, da hätte ich bald ein Unglück angerichtet.« Da ging er auf die andre Seite, und da er die Mützen fühlte, meinte er, das wären die drei Brüder, und verschlang seine eigenen Töchter.

Als er nun wieder hinausgeschlichen war, weckte Caruseddu seine Brüder und sprach: »Eilet, wir müssen sogleich fliehen. Das und das ist geschehen, und wenn der Menschenfresser den Betrug merkt, bringt er uns Alle um.« Da entflohen sie alle drei so schnell sie konnten, und entkamen glücklich. Vor dem Hause aber erhob Caruseddu seine Stimme und rief: »Menschenfresser! Menschenfresser! was hast du gethan! Deine Töchter hast du gefressen, und wir sind glücklich entflohen.« Als der Menschenfresser das hörte, raufte er sich die Haare aus, und rief: »Warte nur! elender Wicht! wenn du mir jemals in die Hände kommst, soll es dir schlecht ergehen.« – Die drei Brüder fuhren nun fort in den[144] Gärten zu arbeiten, und da sie geschickte Leute waren, so hörte einst der König von ihnen und ließ sie zu sich rufen, damit sie für ihn arbeiten sollten.

Als sie nun in seinem Dienste standen, gewann der König den schönen Caruseddu von Herzen lieb und sprach: »Du sollst immer bei mir bleiben, und mein vertrauter Diener sein.« Also wurde Caruseddu der vertraute Diener des Königs, seine Brüder aber arbeiteten im Garten. Darüber wurden sie von Neid erfüllt und sprachen unter einander: »Da ist unser Bruder, der ist doch der Jüngste, und ist so viel größer geworden als wir. Was können wir thun, um ihn aus dem Weg zu räumen?« Da gingen sie zum König und sprachen: »Königliche Majestät, ihr habt Alles, was euer Herz begehrt, eines aber fehlt euch, das ist das sprechende Pferd.« »Wer hat denn das sprechende Pferd?« »Königliche Majestät, das hat der Menschenfresser, und unser Bruder Caruseddu ist wohl im Stande, es zu holen.«

Als der König das hörte, wollte er gar zu gern das sprechende Pferd haben und ließ den armen Caruseddu rufen, und sprach zu ihm: »Caruseddu, du mußt mir den Gefallen thun und mußt mir beim Menschenfresser das sprechende Pferd holen.« »Ach, königliche Majestät, wie kann ich das sprechende Pferd holen? Der Menschenfresser wird mich verschlingen.« »Nein, nein,« rief der König, »das wird er nicht. Deine Brüder haben mir gesagt, du könntest Alles thun, darum mußt du nun auch gehen und das sprechende Pferd holen.« Was konnte Caruseddu thun? Er mußte das Gebot des Königs erfüllen, kaufte ein großes Tuch voll Süßigkeiten und machte sich auf den Weg zum Menschenfresser. Als er hinkam, war der Menschenfresser nicht zu Haus, und hatte auch sein Pferd mitgenommen. Da schlich sich Caruseddu leise in den Stall, und sprach: »Ich bin ein Christ und werde winzig klein3.« Sogleich wurde er winzig klein, und versteckte sich unter dem Stroh. Nach einem Weilchen kam der Menschenfresser nach Haus, führte sein Pferd in den Stall, gab ihm zu[145] fressen und ging dann hinauf in sein Haus. Als es anfing dunkel zu werden, sprach Caruseddu: »Ich bin winzig klein, und werde ein Christ,« da wurde er ein Mensch, schlich sich zum Pferdchen und sprach: »Pferdchen, liebes Pferdchen, willst du nicht mit mir kommen? Sieh, ich gebe dir auch Zuckerwerk und bringe dich zum König.« Das Pferd aber wieherte laut, um den Menschenfresser zu rufen. »Ich bin ein Christ und werde winzig klein!« rief Caruseddu, und versteckte sich unter dem Stroh. Der Menschenfresser aber kam herbeigelaufen und rief: »Was ist geschehen, mein Pferdchen?« »Caruseddu ist hier und will mich stehlen,« antwortete das Pferd. Da suchte der Menschenfresser im ganzen Stall umher, als er aber Niemand fand, rief er: »Was? du willst mich zum Besten haben?« ergriff einen Stock und gab dem Pferd Hiebe.

Als er fort war, nahm Caruseddu seine menschliche Gestalt wieder an, kam hervor und sprach: »Siehst du, Pferdchen, wie er dich schlägt? Komm doch lieber mit mir, und du sollst es gut haben.« Das Pferd wieherte laut auf, und Caruseddu hatte nur eben die Zeit, sich zu verwandeln und zu verstecken, als der Menschenfresser in den Stall gelaufen kam und rief: »Was ist geschehen?« »Caruseddu ist hier und will mich stehlen?« Der Menschenfresser durchsuchte den ganzen Stall, fand aber Niemanden. Da schlug er wieder unbarmherzig auf das Pferd los und rief: »Ich will dich lehren, mich zum Besten zu haben. Wenn du jetzt noch so laut wieherst, werde ich doch nicht kommen.« Als er nun fort war, kroch Caruseddu wieder hervor und sprach: »Ach, Pferdchen, sei doch nicht so dumm; siehst du, du bekommst nur Schläge dafür.« Das Pferd war die Schläge satt, darum ließ es sich geduldig losbinden und folgte dem schlauen Caruseddu. Vor dem Hause aber wieherte das Pferd noch einmal laut auf, und Caruseddu rief: »Oh, Menschenfresser! Menschenfresser! wie bist du doch so dumm! Caruseddu ist dagewesen und hat dir dein Pferd gestohlen.« »Oh, Caruseddu! Du Bösewicht! Wirst du denn auch wiederkommen?« »Ja wohl,« antwortete Caruseddu, schwang sich aufs Pferd und sprengte davon.

Als er zum König kam, war natürlich große Freude am Hofe:[146] »Vivat Caruseddu! Vivat Caruseddu!« und der König beschenkte ihn reichlich und hatte ihn lieber als vorher. Seine Brüder aber wurden immer neidischer, gingen zum König und sprachen: »Das sprechende Pferd hat Caruseddu nun gebracht; der Menschenfresser hat aber etwas noch viel schöneres; das ist die Decke mit dem goldnen Glöckchen, und nur Caruseddu kann sie holen.« Da wollte der König so gerne auch die Decke mit den goldnen Glöckchen haben, ließ den glücklichen Caruseddu rufen und sprach: »Caruseddu, das Pferd hast du mir gebracht; nun mußt du mir auch die Decke mit den goldnen Glöckchen holen.« »Ach, königliche Majestät, die kann ich nicht holen, die hat ja der Menschenfresser auf seinem Bette liegen!« »Da sieh du selber zu; hast du das Eine gekonnt, so mußt du auch dieses vollbringen.« Da ging Caruseddu in den Stall, setzte sich aufs Pferd und ritt zum Menschenfresser. Das Pferd band er am Thore an, er selbst aber schlich sich ins Haus, da der Menschenfresser gerade ausgegangen war und sprach: »Ich bin ein Christ, und werde winzig klein!« und versteckte sich unter das Bette. Am Abende kamen der Menschenfresser und seine Frau nach Haus und legten sich zu Bette. Da kroch Caruseddu hervor, und fing ganz leise an, an der Decke zu ziehen. »Was ziehst du mir die Decke weg?« brummte der Menschenfresser seiner Frau zu. »Ich ziehe ja gar nicht dran,« antwortete sie, »du bist es.« Caruseddu aber hatte sich schnell unters Bette versteckt, und erst als die Beiden wieder eingeschlafen waren, kroch er hervor und zog wieder an der Decke. Um es kurz zu sagen, er zog so lange, bis er endlich die ganze Decke heruntergezogen hatte, und während er Menschenfresser über seine Frau herfiel, um sie zu prügeln, entkam er glücklich. Vor dem Hause aber schüttelte er die Decke, daß alle Glöckchen hell erklangen. »Das war der Bösewicht, der Caruseddu,« rief der Menschenfresser im höchsten Zorn: »Caruseddu! wirst du wiederkommen?« »Ja, ja,« antwortete Caruseddu, »schwang sich aufs Pferd und ritt nach Haus.«

Als er vor den König kam und ihm die Decke mit den goldnen Glöckchen zu Füßen legte, rief der König: »Vivat, Caruseddu! Vivat[147] Caruseddu!« machte ihm ein schönes Geschenk, und hatte ihn noch lieber als bisher. Die Brüder aber wußten sich vor Neid nicht zu fassen, und dachten: »Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Nun ist er schon zweimal beim Menschenfresser gewesen, und jedesmal glücklich zurückgekommen; wir müssen etwas Anderes ausdenken.«

Da gingen sie zum König und sprachen: »Königliche Majestät, wäre es nicht schön, wenn ihr den Menschenfresser hier in einem Käfig hättet?« »Das wäre wohl ein schöner Anblick,« antwortete der König, »wer soll ihn aber gefangen nehmen?« »O, schickt nur den Caruseddu, dem ist Alles möglich.« Da rief der König seinen Diener und sprach: »Caruseddu, nun mußt du auch gehen und mir den Menschenfresser selbst herbringen; denn ich will ihn in einen Käfig stecken.« »Aber königliche Majestät, ihr wollt ja meinen Tod! Wie kann ich den Menschenfresser herbringen?« »Da sieh du selber zu,« antwortete der König; »ich gebe dir drei Tage Zeit; dann will ich den Menschenfresser hier haben.« Da ging Caruseddu hin und verkleidete sich als einen Schreiner, nahm seine Bretter und Handwerkszeug mit, stellte sich vor dem Hause des Menschenfressers auf und fing an zu arbeiten.

Während er nun so schreinerte, kam der Menschenfresser heraus, und frug ihn: »Was machst du da?« »Wißt ihr nicht,« sprach der Schlaue, »daß Caruseddu gestorben ist? ich mache ihm eben den Sarg.« »Wäre er doch zehn Jahr früher gestorben, dieser Bösewicht!« rief der Menschenfresser, »er hat mir mein sprechendes Pferd gestohlen und meine Decke mit den goldnen Glöckchen und ist schuld daran, daß ich meine eigenen Töchter verschlungen habe und daß meine Frau gestorben ist.« Denn die Menschenfresserin hatte sich so über den Verlust des Pferdes und der Decke gegrämt, daß sie gestorben war.

Als nun der Menschenfresser hörte, daß Caruseddu gestorben sei, war er so erfreut, daß er dem Schreiner zusah, während er den Sarg zimmerte. Der Sarg war endlich fertig, und nur der Deckel sollte noch darauf genagelt werden, da schlug sich Caruseddu plötzlich mit der Hand an die Stirn und rief: »Ach, ich Dummkopf! nun habe ich das Beste[148] vergessen, nämlich das Maaß! Caruseddu war aber gerade so groß wie ihr; thut mir doch den Gefallen, und legt euch eben auf einen Augenblick in den Sarg.« Der Menschenfresser war dumm, und legte sich in den Sarg; gleich schlug Caruseddu den Deckel darüber, nagelte ihn zu und lud dann den Sarg mit dem Menschenfresser auf sein Pferdchen, und brachte ihn so zum König. »Hier ist der Menschenfresser, königliche Majestät! nun steckt ihn in den Käfig.« »Vivat, Caruseddu! Vivat Caruseddu!« rief der König, »ihm kommt doch Keiner gleich!« Da ließ er den Menschenfresser in einen Käfig stecken, Caruseddu aber beschenkte er reichlich.

Dadurch wurden seine Brüder noch viel neidischer und trachteten ihn zu verderben. Sie gingen also zum König und sprachen: »Königliche Majestät, ihr seid noch unverheirathet, und euer Volk hat immer den Wunsch, daß ihr doch eine Frau nehmen möchtet. Wir wüßten aber wohl, welche Königstochter euer werth ist; das ist die Tochter von der Königin mit den sieben Schleiern, die ist schöner als der Mond und die Sonne.« Als der König das hörte, dachte er an nichts anders mehr, als an die schöne Königstochter, ließ seinen Diener rufen und sprach: »Caruseddu, du hast so Vieles vollbracht; nun mußt du mir auch die Tochter der Königin mit den sieben Schleiern holen, denn ich will sie zu meiner Gemahlin erheben; und wenn du sie nicht holen willst, so lasse ich dir den Kopf abschneiden.« Da ging Caruseddu in den Stall zu seinem Pferdchen, fing an zu weinen und sprach: »Ach, Pferdchen, liebes Pferdchen, was soll ich thun? Der König will, daß ich ihm die Tochter der Königin mit den sieben Schleiern hole, und ich weiß nicht einmal, wo ich sie suchen soll.« »Sei du nur ruhig,« antwortete das Pferdchen; »setze dich auf meinen Rücken und nimm Lebensmittel für dich und für mich mit.« Das that Caruseddu, bestieg sein Pferd und ritt fort.

Als sie eine Weile geritten waren, kamen sie an einen großen Ameisenhaufen. »Nimm ein Laib Brot und streue es den Ameisen hin,« sprach das Pferd; das that Caruseddu und ritt weiter. Nach einer Weile kamen sie an einen Strom, da lag am Ufer ein Fisch und zappelte, und[149] konnte nicht wieder ins Wasser zurückkehren. »Nimm den Fisch und wirf ihn ins Wasser,« sprach das Pferd, und Caruseddu that es. Wieder nach einer Strecke Weges sahen sie ein Vögelchen, das hatte sich in einer Schlinge gefangen, und konnte nicht wieder los kommen. »Befreie das Vögelchen und laß es fliegen,« sprach das Pferd, und Caruseddu that es.

Endlich kamen sie in die Stadt, wo die Königin mit den sieben Schleiern herrschte. »Sieh,« sprach das Pferd, »dort ist das königliche Schloß; steige ab und führe mich am Zügel vor dem Schloß spazieren, immer auf und ab. Die Königstochter wird Lust bekommen, auf mir zu reiten; sobald sie sich nun aufsetzt, schwinge du dich auf meinen Rücken, so werden wir sie entführen.« Caruseddu ritt in die Stadt, und als er vor den königlichen Palast kam, stieg er ab und führte das Pferd am Zügel auf und ab. Nun stand oben die Königstochter am Fenster, und als sie das wunderschöne kleine Pferdchen sah, rief sie voll Freude den König herbei und sprach: »Ach, lieber Vater, seht doch das niedliche Pferdchen! ich möchte wohl gerne einmal darauf reiten.« »Gut, mein Kind, thu was dir gefällt,« antwortete der König, und die Königstochter lief hinunter und sprach zu Caruseddu: »Ich will mich auf dein Pferdchen setzen, bringe es mir her.« Da brachte ihr Caruseddu das Pferd, und die Königstochter setzte sich auf den Sattel. Kaum aber saß sie darauf, so schwang sich Caruseddu hinter sie und hielt sie fest, während das Pferd im Galopp davon sprengte. Die Königstochter schrie, aber es half nichts; das Pferd hielt in seinem Lauf nicht an. Da riß sie ihren Schleier vom Kopf, und warf ihn in die Luft; und als sie an den Strom kamen, streifte sie ihren Ring vom Finger und warf ihn ins Wasser.

So kamen sie endlich zum König, und Caruseddu sprach: »Königliche Majestät, hier ist die Königstochter; ich habe euer Gebot erfüllt.« Als der König nun das wunderschöne Gesicht der Königstochter sah, ward er hocherfreut, lobte seinen treuen Caruseddu und hatte ihn noch lieber als vorher. Zur Königstochter aber sprach er: »Schönes Fräulein, ihr[150] seid nun meine Braut, und sobald es euch gefällt, soll die Hochzeit sein.« »O, dazu hat es noch lange Zeit,« antwortete sie. »Ehe ich eure Gemahlin werde, müßt ihr mir meinen Schleier verschaffen, den ich unterwegs verloren habe.« Da ließ der König den Caruseddu rufen und sprach zu ihm: »Caruseddu, die Königstochter hat auf dem Wege ihren Schleier verloren, den mußt du mir in drei Tagen verschaffen, sonst lasse ich dir den Kopf abschneiden.«

Caruseddu ging traurig in den Stall, streichelte sein Pferdchen und sprach weinend: »Ach, Pferdchen, liebes Pferdchen, du hast mir einmal geholfen, nun mußt du mir wieder helfen. Die Königstochter hat auf dem Wege ihren Schleier verloren, und wenn ich ihn in drei Tagen nicht herbeischaffe, so läßt mir der König den Kopf abschneiden.« »So gräme dich doch nicht, du Narr,« sprach das Pferd; »setze dich auf meinen Rücken, so sollst du bald den Schleier finden.« Also bestieg Caruseddu das Pferd, und ritt davon. Das Pferd lief, bis es an die Stelle kam, wo Caruseddu dem Vögelchen aus der Schlinge geholfen hatte. »Steige ab und rufe dreimal: ›O, König der Vögel, komm heraus und hilf mir!‹« befahl das Pferd, und Caruseddu stieg ab, und rief dreimal: »O, König der Vögel, komm heraus und hilf mir!« Sogleich erschien das Vögelchen und frug: »Was willst du?« »Die Königstochter hat hier ihren Schleier verloren, und ich soll ihn ihr wiederbringen.« »Mit dem Schleier spielen zwei Vögel; ich will ihn ihnen entreißen und dir bringen,« antwortete das Vöglein, flog fort, und in einigen Augenblicken kam es wieder, mit dem Schleier im Schnabel. Caruseddu dankte dem Vögelchen, nahm den Schleier, und brachte ihn dem König. »Vivat, Caruseddu!« rief der König; »auch dieses Heldenstück hat er mir vollbracht.« Da beschenkte er ihn reichlich, den Schleier aber brachte er der Königstochter und sprach: »Schönes Fräulein, hier ist der Schleier, und nun soll die Hochzeit sein.« »O, dazu hat es noch lange Zeit,« rief die Königstochter, »die Hochzeit kann erst gefeiert werden, wenn ihr mir meinen Ring verschafft, der mir in den Strom gefallen ist.«

Der König war ganz verzweifelt, daß die Königs tochter so schwere[151] Dinge verlange, weil sie aber so schön war, konnte er ihr nichts abschlagen und sprach zu Caruseddu: »Caruseddu, nun mußt du mir auch noch einen Dienst erweisen. Die Königstochter hat auf dem Wege ihren Ring in den Strom fallen lassen; den Ring mußt du mir verschaffen.« »Aber, königliche Majestät, wie kann ich im tiefen Strom einen Ring finden?« »Das geht mich nichts an, und wenn der Ring innerhalb dreier Tage nicht hier ist, so lasse ich dir den Kopf abschneiden.« Da ging der arme Caruseddu in den Stall zu seinem Pferdchen, und sprach: »Ach, liebes Pferdchen, du hast mir zweimal geholfen, hilf mir auch dieses mal, das und das hat mir der König aufgetragen.« »Weine nicht,« sagte das Pferdchen, »sondern setze dich getrost auf meinen Rücken.« Da schwang sich Caruseddu auf das Pferdchen, und das Pferdchen trug ihn zum Strome, wo er damals den Fisch erlöst hatte. »Steige ab und rufe dreimal mit lauter Stimme: ›O, König der Fische, komm heraus und hilf mir!‹« Da stieg Caruseddu ab und rief dreimal: »O, König der Fische, komm heraus und hilf mir!« Sogleich rauschte es in dem Wasser, und ein Fisch schwamm ans Ufer; das war derselbe Fisch, den er vom Tode errettet hatte, und er frug: »Was willst du?« »Die Königstochter hat ihren Ring ins Wasser fallen lassen, und ich soll ihn ihr wiederbringen.« »Ist's nichts weiter als das?« sagte der Fisch; eben spielen zwei Fischlein damit; »ich will aber zwischen ihnen durchschwimmen und ihn ihnen entreißen.« Da schwamm der Fisch fort, und nach einigen Augenblicken kam er wieder und hatte den Ring im Maul; den nahm Caruseddu und brachte ihn dem König.

Denkt euch, wie dankbar der König sein mußte, und wie reich er ihn beschenkte! Als er aber der Königstochter den Ring brachte und frug, wann nun die Hochzeit sein solle, antwortete sie: »O, noch lange nicht! Wenn Caruseddu mir nicht in drei Tagen ein ganzes Magazin voll Weizen, Gerste und Hafer auseinander liest, also daß jede Art Korn abgesondert liege, und das Stroh auch auf einem besonderen Haufen, so kann ich mich nicht verheirathen.«

Der König raufte sich fast die Haare aus: »Wo kommen ihr nur[152] alle die Launen her,« dachte er, und ließ wieder seinen treuen Diener rufen: »Caruseddu, wenn du mir nicht binnen drei Tagen dieses ganze Magazin voll Korn auseinander liesest, also daß jede Art Getreide abgesondert liegt, und das Stroh auch auf einem besonderen Haufen, so lasse ich dir den Kopf abschneiden.« Da ging Caruseddu zu seinem Pferdchen und sprach: »Ach, liebes Pferdchen, du hast mir schon so oft geholfen, hilf mir auch diesmal. Das und das hat mir der König aufgetragen.« »Setze dich auf meinen Rücken, und sei unbesorgt,« antwortete das Pferdchen, und trug ihn zum Ort, wo Caruseddu den Ameisen das Brot gestreut hatte. »Steige ab, und rufe dreimal mit lauter Stimme: O, König der Ameisen, komm heraus und hilf mir!« befahl das Pferd, und Caruseddu stieg ab und rief laut; »O, König der Ameisen, komm heraus und hilf mir!« Dreimal. Da kam eine große Ameise aus dem Boden heraus und frug: »Was willst du?« »Der König hat mir aufgetragen, ein ganzes Magazin voll Korn auseinander zu lesen, also daß jede Art abgesondert liege, und das Stroh auch auf einem besonderen Haufen.« »Das wollen wir schon besorgen,« sprach der Ameisenkönig, und rief seine Ameisen herbei. Da kamen von allen Seiten große Züge von Ameisen, die krochen in das Magazin, und binnen drei Tagen war die Arbeit vollendet. »Königliche Majestät,« sprach Caruseddu, »ich habe euer Gebot erfüllt.« »Vivat, Caruseddu!« rief der König, »dir kommt Keiner gleich.«

Da ging er zur Königstochter und sprach: »Schönes Fräulein, nun habe ich euren Wunsch erfüllt; nun kann auch die Hochzeit gefeiert werden.« Die Königstochter aber antwortete: »Caruseddu hat mich meinen Eltern geraubt, die mich noch beweinen und betrauern, drum muß er sterben, sonst verheirathe ich mich nicht. Laßt also drei Tage und drei Nächte einen Kalkofen heizen, und befehlt dem Caruseddu, sich hinein zu werfen.« »Wie,« rief der König, »Caruseddu hat mir so treu gedient, und so viele Heldenthaten vollbracht, und nun soll ich ihn tödten?« »Wenn ihr es nicht thut, so heirathe ich euch eben auch nicht,« antwortete die Königstochter. Sie wußte aber wohl, daß Caruseddu unversehrt aus dem Kalkofen kommen würde.[153]

Da ließ der König seinen treuen Caruseddu rufen, und sprach: »Caruseddu, ich kann dir nicht helfen; die Königstochter befiehlt, daß der Kalkofen drei Tage und drei Nächte geheizt werde, und dann mußt du dich hineinwerfen, und wenn du es nicht thun willst, so lasse ich dir den Kopf abschneiden.«

Caruseddu ging weinend in den Stall zu seinem Pferdchen, streichelte es und sprach: »Ach, Pferdchen, liebes Pferdchen, lebewohl! Jetzt ist es aus mit mir, denn der König will meinen Tod. Er hat befohlen, man solle den Kalkofen heizen, drei Tage und drei Nächte, und dann muß ich mich hineinwerfen.« »Verliere nur nicht den Muth,« antwortete das Pferd, »und thue genau, was ich dir sage. Nimm einen Stock und prügle mich, bis mir der Schaum aus dem Munde fließt.« »Ach, Pferdchen,« rief Caruseddu, »ich bin dir so viel schuldig, und sollte dich so prügeln! Nein, das bringe ich nicht übers Herz!« »Du mußt aber,« sagte das Pferd; »schlage nur darauf los, du thust mir nichts. Den Schaum aber, der mir zum Munde herausfließt, mußt du sammeln und in ein Töpfchen thun. Wenn man dich nun ruft, damit du dich in den Kalkofen wirfst, so beschmiere dich erst vom Kopf bis zu den Füßen mit dem Schaum, und du wirst sehen, das Feuer wird dir nichts thun.«

Da nahm Caruseddu einen großen Stock, und fing an, auf das Pferd loszuschlagen, indem er dazwischen weinend rief: »Ach, liebes Pferdchen, verzeih mir, daß ich dir weh thu.« »Nur zu!« sprach das Pferdchen, und schnob, daß ihm der Schaum in großen Flocken am Maule hing. Caruseddu aber sammelte den Schaum in ein Töpfchen und verwahrte ihn.

Als nun der Kalkofen seit drei Tagen und drei Nächten geheizt war, ließ der König den armen Caruseddu rufen und sprach zu ihm: »Nun ist es Zeit, Caruseddu; schnell, wirf dich in den Ofen.« Da warf Caruseddu seine Kleider ab, salbte sich vom Kopf bis zu den Füßen mit dem Schaum ein und stürzte sich in den Kalkofen; und siehe, die Hitze verletzte ihn nicht, und er kam unversehrt wieder heraus und war noch viel schöner geworden.[154]

Als der König und alles Volk das sahen, schlugen sie Alle vor Freude in die Hände und riefen: »Vivat Caruseddu!« Die Königstochter aber sprach zum König: »Caruseddu ist unverletzt aus dem Kalkofen herausgekommen; habt ihr mich wirklich lieb, so müßt ihr nun auch in den Kalkofen hineinspringen, sonst heirathe ich euch nicht.« Der König dachte: »Vielleicht werde ich auch verjüngt, wie Caruseddu; wenn ich nur wüßte, womit er sich gesalbt hat.« Da ließ er ihn rufen, und frug ihn: »Caruseddu, nun mußt du mir auch sagen, womit du dich bestrichen hast, daß dich das Feuer nicht verletzte.« Caruseddu aber dachte: »Wart nur, ich habe dir so viele Dienste geleistet, und du hast mich dafür in den Tod geschickt; jetzt will ich mich an dir rächen.« »Königliche Majestät,« sagte er, »ich habe mich mit einem Topf voll Fett beschmiert, das hat mich gerettet.« »Schnell, bringet zwei Töpfe voll Fett her,« rief der König, und dachte es recht gut zu machen, daß er noch mehr Fett aufschmierte, als Caruseddu; und als man ihm das Fett brachte, schmierte er sich ganz ein und warf sich in den Kalkofen. Als er aber ans Feuer kam, gab es eine hohe Flamme, und der König verbrannte zu Asche.

Das eben hatte die Königstochter gewollt, denn der König war alt und häßlich; Caruseddu aber war jung und schön, und den wollte sie zu ihrem Gemahl. »Caruseddu,« sprach sie, »jetzt will ich meine Hochzeit feiern, und du sollst mein Gemahl sein, denn du hast für mich gearbeitet.« Also wurde eine prächtige Hochzeit gefeiert, und Caruseddu wurde König, und so blieben sie Mann und Frau, wir aber halten ihnen das Licht4.

2

Dragu.

3

Cristianu sugnu, caruseddu diventu.

4

Eigentlich: wir sind wie die Leuchter hier stehen geblieben; iddi ristaru maritu e mugghieri, e nui autri comu tanti cannileri.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 143-155.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon