4.

[194] Eine andere Streifpartie von Karelen war zur Sommerszeit nach Torneå Lappmarken hinaufgekommen. Sie hatten ebenfalls einen Lappen aufgegriffen, den sie zwangen, ihnen den Weg zu anderen Lappen zu zeigen. Dieser Lappe hieß Lavrekas, oder auf Finnisch Laurukainen, und von seinen Thaten erzählen mehrere Sagen, die bald nach Torne Lappmarken, bald nach Kemi Lappmarken, bald nach Enare verlegt werden. Der Inhalt ist in allen Sagen beiläufig derselbe, nämlich folgender:

Die Karelen ruderten einmal irgendwo auf ihrem Marsche in mehreren Booten über einen See. Ermüdet von der Anstrengung des Ruderns, landeten sie auf einer kleinen Insel, um auszuruhen. Zwei von ihnen sollten wachen und Wacht halten, während die übrigen schliefen. Endlich schliefen aber auch die Wächter ein. Da ersah der Lappe seinen Vortheil. Er stieß alle Boote – es waren ihrer neun an der Zahl – vom Ufer ab und sprang selbst in das letzte. Als der Lappe sich in Sicherheit sah, begann er die Karelen zu rufen und hieß sie aufstehen. Da aber diese merkten, daß sie auf der Insel ohne Brot, ohne Waffen und ohne Proviant, welche Dinge sich sämmtlich in den Booten befanden, zurückgelassen waren, begannen sie den Lappen, der auf dem See dahinruderte, zu rufen:[194]

»Laurukainen, Laurukainen, erbarme dich unser!«

Aber Laurukainen war hartherzig; er fühlte wenigstens kein Mitleid mit den Karelen. Da wollten es einige von diesen versuchen, durch Schwimmen das Festland zu erreichen. Aber der Lappe ruderte auf sie zu und schlug Alle mit einer Keule todt, die auf diese Weise fortzukommen versuchten, die übrigen aber verhungerten endlich, da sie keine Speise hatten. Einige sollen bis zum neunten Tage, und ein Weib, welches sie mit sich hatten, bis zum zehnten Tage gelebt haben.

Auf welchem See sich dies zugetragen hat, weiß man nicht bestimmt anzugeben, aber aus der Menge von Menschengebeinen, welche auf einer kleinen Insel im Sarisjärvi, nahe bei Muonioniska, gefunden worden sind, hat man vermuthet, daß es hier gewesen sei, wo die Karelen Hungers sterben mußten.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 194-195.
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