Der Bärenmensch.

[37] Ein Mädchen ging einst in den Wald, um Pilze zu sammeln. Da begegnete ihr ein Bär, der sie ergriff und in seine Höhle schleppte. Dort mußte sie drei Jahre bleiben und dem Bären dienen. Als sie aber Mutter eines Kindes wurde, welches zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Bär war, jagte das Untier sie fort. Ihr Sohn, den man »Bärenmensch« nannte, gedieh und ward außerordentlich stark und gewandt. Als er das gehörige Alter erreicht hatte, verdingte er sich bei einem Pfaffen als Knecht. Das geschah im Winter. Eines Tages schickte ihn sein Herr nach Holz in den Wald. Dort suchte sich der Recke eine mächtige Fichte und holte, um sie zu fällen, mit der Axt kräftig aus; weil dieselbe aber nicht ganz fest auf dem hölzernen Stiele saß, flog sie wer weiß wohin? – fort. Da ergrimmte der Bärenmensch, zerbrach den Baum in kleine Stücke und belud mit ihnen den Schlitten, so daß es ein gewaltiges Fuder wurde. Nun wollte er nach Hause fahren, aber das Pferd konnte die schwere Last nicht fortschleppen, es scharrte und schnarchte, ohne von der Stelle zu kommen. Der Knecht versetzte ihm einen leichten Schlag auf[37] die Rippen, da stürzte es hin und verröchelte. Was thun? Der Bärenmensch mußte das Fuder wohl oder übel selbst nach Hause ziehen. Als das der Pfaffe sah, sprach er: »Entweder du kaufst mir ein neues Pferd, oder ziehst von nun an alle Lastfuhren selbst. Jetzt mußt du aber schnell zur Mühle, denn es ist kein Mehl mehr im Hause!« Gesagt, gethan. Der Knecht belud einen Schlitten mit Säcken voll Getreide und – fort ging's im Laufschritt nach der Mühle. Diese aber war »behext« und es wohnte dort eine Teufelsfamilie. Als der Bärenmensch die Mühle betrat, fand er im ersten Zimmer nur den Sohn und mehrere Weiber vor.

»Wo ist der Alte?« fragte er.

»In der Hinterstube,« erwiderte der Sohn.

»Dann ruft ihn mal heraus!« befahl der Recke. Aber die Weiber gehorchten nicht. Da ergriff der Bärenmensch den jüngsten Teufelssohn bei den Füßen und schlug mit ihm auf die Weiber los, bis sie alle für tot dalagen. Krächzend und ächzend fuhr jetzt der alte Teufel aus der Hinterstube und mit weit geöffnetem Rachen auf den Knecht los. Der aber sprang behende zum Ofen, ergriff das Schüreisen und stach es dem Unholde tief, tief in den Schlund hinein. Dann erschlug er den rücklings Hingefallenen ganz – und mahlte das Getreide selber. Der Pfaff aber konnte, so gern er's auch gethan hätte, seinem Arbeiter keinen Vorwurf machen.

Nach einiger Zeit schickte der Pfaff den Bärenmenschen nach Kurland; da sollte in einem Sumpfe, nicht weit von dem Flüßchen Roja, ein großer Kasten mit Gold liegen, den ein dreiköpfiger Drache bewachte. Diesen Schatz wollte der Pfaff gern haben. Der Knecht that, wie ihm geheißen.

Außer dem Kasten aber nahm er auch den Drachen in einem lebendig mit sich. Der Pfaff hatte sich eben beim Mittagessen gütlich gethan, als der Bärenmensch zurückkehrte und den Kasten mitten ins Speisezimmer hineinwarf, daß es nur so krachte. Dann ließ er den Drachen los, der sich wütend auf den Pfaffen stürzte – und lief selbst davon.[38]

In einer Einöde begegneten dem Recken zwei andere Helden, mit Namen Bergsteiger und Strauchfresser. Sie beschlossen beisammen zu bleiben und von der Jagd zu leben. Gesagt, gethan. Am ersten Morgen gingen der Bärenmensch und der Strauchfresser auf Beute aus; der Bergsteiger aber sollte zu Hause für sie das Mahl bereiten. Als sie, mit reicher Beute beladen, zurückkehrten, war von einem Mahle nichts zu sehen und ihr Kamerad klagte trübselig, es wäre ein furchtbarer Riese gekommen, welcher alles verschlungen hätte. Am andern Tage blieb der Strauchfresser zu Hause – dem es nicht besser erging. Am dritten Tage endlich war des Bärenmenschen Reihe. Er schärfte seine Axt, schlug und zerkleinerte Holz und zündete ein Feuer an. Als die Suppe1 bereitet war, goß er sie in eine Schüssel, stellte die letztere in einen Winkel und bedeckte sie mit Holz. Bald kam der Riese und verlangte zu essen. »Das sollst du haben« – sagte der Bärenmensch – »hilf mir nur erst noch einiges Holz zerkleinern.« »Gern,« erwiderte der Riese. Nun hieb der Recke mit seinem Beil in einen mächtigen Balken und trieb einen Keil in die Öffnung. Der Riese wollte ihm helfen und steckte beide Hände neben dem Keil in den Spalt hinein. Da sagte der Bärenmensch: »Halte beide Teile des Balkens nur kräftig auseinander, ich werde den Keil herausschlagen und in einen andern Balken hauen. Wirst du aber auch Kraft genug haben?« »Fürchte nichts – es wird schon gehen« – meinte der Riese. Da schlug der Bärenmensch den Keil heraus – und des Riesen Hände wurden so stark eingeklemmt, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Sein Überlister aber ergriff einen Feuerbrand und sengte dem Gefangenen alle Haare vom Haupte ab. Das hielt der Riese nicht aus, sprang heulend auf und lief mitsamt dem Balken davon.

Darauf lebten die drei lange Zeit friedlich und ungestört beisammen in der Einöde. Eines Tages aber kam ein gewaltiger[39] Riese aus Esthland herüber, mit Namen der »Rotmacher«, der ließ sich in einem Fichtenwalde, ganz in ihrer Nähe nieder und mordete alle Reisenden und Jäger. Gewöhnlich bog er zwei mächtige Fichten gegeneinander und band sein Opfer mit Händen und Füßen an ihrem Wipfel fest; ließ er die Bäume dann los, so ward der Unglückliche in zwei Hälften gerissen.

Auch der Bärenmensch und der Bergsteiger trafen mit diesem Riesen zusammen. Wie der Teufel selbst stürzte der Unhold auf den Bergsteiger los und wollte ihn ergreifen, der aber erkletterte im Nu eine hohe Tanne und setzte sich in deren Wipfel fest. Der Bärenmensch seinerseits faßte die beiden als Mordwerkzeuge dienenden Riesenfichten und brach sie mitten entzwei. Als das der »Rotmacher« sah, ergriff er die Flucht. Sein Gegner aber eilte ihm nach, machte ihn kampfunfähig und hing ihn mit den Füßen nach oben an eine hohe Tanne – damit ihn die Wölfe auffräßen. Von jetzt an wanderte der Bärenmensch allein und verrichtete unzählige Heldenthaten.

Einst traf er auf einen Riesenelch, den er bis ins Land der Deutschen (Preußen) hinein verfolgte, wo er ihn auch stellte und erschlug. Dort in der Fremde verliebte er sich in ein schönes Mägdlein und wollte es zum Weibe nehmen. Aber ein Teufel entführte die Schöne und verbarg sie in der »Schicksalshöhle«. Das verriet ein anderer Teufel dem Bärenmenschen, welcher seine Verlobte sogleich zu retten beschloß. Bevor er aber die Gegend der Höhle erreichte, hatten die Teufel daselbst Dörfer und Flecken erbaut und die Gestalt gewöhnlicher Menschen angenommen. So wurde der Bärenmensch getäuscht. Er bat die Bewohner, ihn an starken Ketten in die Höhle hinabzulassen und auf ein Zeichen wieder emporzuziehen. Die verkleideten Teufel aber sägten, nachdem er in der Höhle verschwunden war, die Kette durch. So blieb der Recke für immer in der Unterwelt.

1

Eine Art säuerlicher Milchgrütze, lettisches Nationalgericht.

Quelle:
Andrejanoff, Victor von: Lettische Märchen. Nacherzählt von -, Leipzig: Reclam, [1896], S. 40.
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