14. Von dem Jungen, der die drei Königstöchter von den Drachen erlöste. (16)

[404] Es war einmal ein Mann, der hatte einen Jungen. Er konnte den Jungen nicht leiden und jagte ihn fort, und da musste der Junge betteln gehn. Der Junge ging weit weit in die Welt hinein und traf einen alten Mann, und der alte Mann fragte ihn ›Wohin geht die Reise?‹ ›Ich gehe betteln‹, antwortete er, ›mein Vater hat mich fortgejagt.‹ Da bat ihn das Männchen, dass er ihm doch ein Stückchen Brot gebe, und der Junge gab's ihm. Zum Dank schenkte ihm das Männchen einen Säbel und so 'nen Ring, und der Junge setzte dann seinen Weg fort. Er war lange gewandert, da kam er in eine Stadt, und die Leute in der Stadt gingen alle traurig umher, und der Junge fragte einen Juden ›Warum gehn hier bei diesem König die Leute so betrübt einher?‹ Der Jude antwortete ›Unsres Königs drei Töchter sind von drei Drachen verschlungen worden, deshalb sind die Leute so betrübt.‹ Wie der Junge nun weiter ging, sah er einen Hund, und er machte sich den Hund zutraulich. Und er schrieb einen Brief an den König, dass er seine Töchter zu befreien vermöchte, und der Hund musste den Brief zum König hintragen und ihn dem König übergeben. Der König las ihn durch, schrieb dann auch wieder einen Brief und schickte ihn an den Jungen. Der Junge las den Brief und ging nun selbst zum König. Der König fragte ihn ›Kannst du wirklich meine Töchter befreien?‹ und er antwortete ›Ja.‹ Da sprach der König zu ihm ›Wenn du sie mir wieder heimbringst, so sollst du eine von ihnen, welche du willst, zur Frau bekommen.‹ Und er[404] gab ihm ein Pferd, und der Junge ritt in den Garten, wo die Drachen hausen sollten, und sah da einen Drachen mit neun Köpfen, der war der Mann der einen Königstochter. Mit dem ersten Hieb schlug er ihm drei Köpfe ab, mit dem zweiten wieder drei, und mit dem dritten schlug er ihm die letzten drei Köpfe ab. Und er ging dann in die Höhle hinein, da sass eine Königstochter, das war die zweite, und sie erschrak und sprach zu ihm ›Du bist wol hierher gekommen, damit dich mein Gemahl zerreisse?‹ Der Junge aber antwortete ›Ich fürchte mich nicht.‹ Und jetzt sprang ein Drache mit sechs Köpfen auf ihn los, aber er hieb ihm mit einem Hieb drei Köpfe herunter, und mit dem zweiten Hieb die andern drei. Drauf ging er noch tiefer in die Höhle hinein und fand die dritte Prinzessin. Das Fräulein sprach zu ihm ›Du bist wol hierher gekommen, damit dich mein Gemahl zerreisse?‹ und er antwortete wieder ›Ich fürchte mich nicht.‹ Und als nun ein Drache mit drei Köpfen auf ihn lossprang und ihn verschlingen wollte, schlug er ihm alle drei Köpfe ab. Darauf führte er die drei Prinzessinnen aus der Höhle heraus, setzte sie in eine Kutsche und befahl dem Kutscher sie nach Haus zu fahren. Er selbst aber blieb in dem Garten zurück, riss aus allen Drachenköpfen die Zungen aus und ritzte auf die Zungen die Namen der Prinzessinnen ein.

Der Kutscher hätte nun gern eine von den Königstöchtern zur Frau gehabt, und er sagte zum König, er habe seine Töchter befreit. Und da wurde auch die Hochzeit gerüstet. Der Junge aber kam in die Stadt, und die Leute in der Stadt gingen alle schön geputzt. Da fragte er ›Weshalb gehn die Leute auf den Strassen so schön geputzt?‹ Man antwortete ihm ›Das ist darum, weil die Königstöchter von den Drachen erlöst worden sind, und der Kutscher des Königs wird heute eine heimführen.‹ Da ging er zum König und setzte sich an die Thür hin. Der König fragte ihn ›Warum bist du so betrübt?‹ Ich bin darüber betrübt, dass der Kutscher jetzt eine eurer Töchter zur Frau bekommen soll, und ich habe sie erlöst.‹ Da rief der König den Kutscher herbei und fragte ihn ›Hast du meine Töchter wirklich befreit?‹ ›Ja‹, antwortete der Kutscher. Der Junge aber sprach ›Wenn du sie befreit hast, so weis deine Wahrzeichen vor!‹ Da ward dem Kutscher angst und bange, und als nun der Junge weiter sprach ›Sieh da sind die[405] Zungen von allen drei Drachen!‹, da erkannte der König, wie es stand, und befahl den Kutscher zum Galgen zu führen. Zu dem Jungen aber sprach er ›Jetzt such dir unter den dreien die heraus, die dir am besten gefällt‹, und der suchte sich eine heraus und sprach ›Diese da soll meine Frau sein!‹ Drauf setzte er sich zu Tisch, und ihm zur Seite sass der König und sprach ›So geb ich dir jetzt das Mädchen und die Hälfte meines Königreichs.‹ Und das Brautpaar fuhr dann zur Trauung in die Kirche, und sie knieten am Altar nieder, und der Pfarrer legte die Stola um ihre Hände und wechselte die Ringe. Dann fuhren sie wieder nach Haus, und er setzte sich mit seiner Frau zu Tisch, und hinterher wurde getanzt und gejubelt. Später aber fuhr er zu seinem Vater nach Haus und nahm ihn zum König mit. Der König Fragte ›Woher ist dieser Mann da?‹ und sein Schwiegersohn antwortete ›Es ist mein Vater.‹ Und da schenkte der König dem Alten viel Geld und sagte, er solle bei seinem Sohn wohnen bleiben, so lange er lebe.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 404-406.
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