38. Von dem Dummbart, der seine klugen Brüder im Njemen ertränkte. (45)

[483] Es waren drei Brüder, zwei waren klug, der dritte aber ein Dummbart. Die zwei klugen gingen einst ins Thal und wollten jagen, aber sie fanden nichts und sagten, wie sie heimkamen, zu ihrem Vater ›Wir haben nichts gefunden, Vater.‹ Da sprach der Dummbart zum Vater ›Väterchen, lass mich einmal auf die Jagd gehn!‹ Dem Vater war's recht, und der Dummbart ging ins Thal jagen. Er erblickte im Thal ein altes Mütterchen, das pflückte Sauerampfer. Da schoss der Dummbart das Mütterchen todt und lief heim und rief ›Vater, wir müssen die Pferde anspannen, ich hab ein Thier geschossen, das ist so gross, dass ichs nicht tragen kann!‹ Der Vater fragte ›Was ist's denn, Dummbart?‹ ›Es scheint mir, es ist ein Hase, Vater, aber ich kann ihn nicht tragen.‹ Da fuhr der Dummbart mit dem Wagen hin, legte die Alte in den Wagen und fuhr sie heim. Zu Haus rief er ›Vater, komm und nimm den Hasen aus dem Wagen!‹ Da kommt der Vater herbei und sieht, dass im Wagen ein todtgeschossnes altes Weib liegt.[483] ›Du Dummkopf!‹ schrie er, ›was hast du angerichtet! Wir werden die schwere Not kriegen!‹ Der Dummbart aber sagte ›Du bist nicht gescheit, Vater! Ich werde die Alte fortfahren und verkaufen!‹ ›Junge! Dummkopf! Du wirst mich jetzt noch um Pferd und Wagen und alle meine Habe bringen!‹ ›Nein, Vater, du sollst sehn, ich bringe dich nicht in Schaden!‹ Und der Dummbart setzte die Alte aufrecht in den Wagen, gab ihr die Zügel in die Hände und fuhr fort, er selbst aber ging vor den Pferden her. Sie kamen an eine Weggeldeinnahme, da riefen die Juden1 der Alten zu ›Zahl dein Weggeld!‹ Die Alte aber zahlte nicht. Die Juden dachten, sie schliefe, und da gab ihr einer von ihnen eins übern Buckel, dass sie umfiel. Da schrie der Dummbart ›Du hast meine Frau erschlagen! du hast meine Frau erschlagen!‹ Die Juden baten, er solle schweigen: sie wollten ihm zahlen, was es auch koste. ›So macht mir meinen Wagen voll Geld! dann wollen wir meine Alte ins Wasser werfen, und ich schweige.‹ Die Juden luden ihm den ganzen Wagen voll Geld, die Alte warfen sie ins Wasser, und der Dummbart fuhr mit seinem Geld heim. Zu Haus rief er ›Vater, ich hab die todte Frau verkauft! Kommt und helft mir das Geld aus dem Wagen ausladen!‹ Die klugen Brüder aber fragten den Dummbart ›Wer hat dir nur das viele Geld dafür gegeben?‹ und der Dummbart antwortete ›Wisst ihr, was? Schlagt eure Frauen todt und fahrt sie zu den Juden und verkauft sie an die, da werdet ihr eine Masse Geld dafür bekommen!‹ Da nahmen die Brüder einen Pfahl, schlugen ihre Frauen todt, luden sie auf und fuhren sie zu den Juden und wollten sie denen verhandeln. Die Juden fragten ›Was habt ihr zu verkaufen in eurem Wagen?‹ ›Wir haben zwei todte Frauen zu verhandeln, wir selbst haben sie todt geschlagen.‹ Da sagten die Juden ›Der Handel wird euch schlecht bekommen!‹, packten sie am Kragen und nahmen ihnen das Gefährt weg. Und sie wurden in den Kerker geworfen und sassen dort lange Zeit und fluchten auf ihren Bruder, den Dummbart. Als sie ihre Zeit abgesessen hatten, gingen sie heim, und sie steckten den Dummbart in einen Sack, trugen ihn nach dem Njemen und wollten ihn ersäufen. Es war aber grade Winter, und der Fluss war zugefroren, und sie hatten vergessen[484] eine Axt mitzunehmen, um eine Wuhne ins Eis zu hauen. Da liefen sie wieder heim die Axt zu holen, und sie liessen den Dummbart am Ufer liegen. Indem kam ein Jude mit Tuchstoffen und andern kostbaren Waaren des Wegs gefahren und sah den Sack am Ufer liegen. ›Was ist das?‹ sagte er. Und da rief der Dummbart ›Ich kann weder lesen noch schreiben, und man will mich zum König machen!‹ Wie das der Jude hörte, machte er den Sack auf, schmiss den Dummbart heraus und kroch selbst hinein. Und der Dummbart fuhr mit des Juden ganzer Ladung nach Haus. Jetzt kamen die Brüder mit der Axt zurück und hieben eine Wuhne ins Eis. Da sprach der Jude im Sack ›Ich kann weder schreiben noch lesen, und ihr wollt mich jetzt zum König machen!‹ Die beiden klugen Brüder sagten ›Ah, du hast ja inzwischen das Mauscheln gelernt!‹ Drauf warfen sie ihn ins Wasser. Als sie aber wieder heimkamen, fanden sie den Dummbart mit seinem Wagen zu Haus und fragten ›Ei, Bruder, du hier? Und was hast du denn in dem Wagen mitgebracht?‹ Der Dummbart sagte ›Ich habe grosse Schätze mitgebracht, die hab ich im Njemen bekommen!‹ Da baten die Brüder den Dummbart, dass er sie doch auch in einen Sack stecke, nach dem Njemen fahre und dort ersäufe. Der Dummbart nahm die Axt gleich mit, hieb eine Wuhne ins Eis und ersäufte die beiden klugen Brüder. Und er kehrte darauf zu seinem Vater zurück, blieb bei dem wohnen und war ein reicher Mann.

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Die Weggelderheber in der Gegend von Godlewa sind Juden.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 483-485.
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