Vom Schalke.

[83] Es lebte einmal in einem Häuschen ein altes Männchen Namens Tschutis mit seiner alten Frau; die beiden kauften sich ein kleines Gäulchen und ein Wägelchen und fuhren auf einem Wege, wo auch vornehme Leute zu reisen pflegten. Als sie so fuhren, sahen sie, daß eine Kutsche, wie sie die Herren haben, ihnen von weitem entgegen kam, und sie richteten es so ein, daß ihr Pferdchen vorher etwas fallen ließ. Der Alte stieg schnell vom Wagen, mischte einige Dukaten in den Mist seines Pferdes, und als jener Wagen angefahren kam, saßen drei Herren darin, das waren drei Brüder. Nun begann der Alte absichtlich in dem Pferdemist zu wühlen. Die Herren bemerkten den Alten, wie er in dem Miste herum arbeitete, wunderten sich und fragten ihn »Alter, was suchst du da?« Der Alte antwortete ›Ach, meine lieben Herren; ich habe ein Pferdchen, das mich und meine Alte gar schön ernährt, denn wenn es etwas fallen läßt, sind immer ein paar Dukaten darin, und da muß ich denn immer sein Mistchen durchwühlen.‹ Den Herren gefiel solch ein Pferdchen auch gar sehr und sie fragten den Alten, ob er wol sein Thierchen verkaufen würde. Er sagte ›Ei, warum nicht‹. »Und was würdest du dafür wollen?« ›Nun, ich denke hundert Thaler; wenn ihr ihn mit gutem Futter oder mit Körnern, besonders mit Weizen, füttern könnt, da wird er noch viel mehr Dukaten machen können, als jetzt von meinem schlechten Futter.‹ Die Herren dangen nicht lange und gaben für das Gäulchen hundert Thaler.

Sie nahmen den Gaul nun mit und zuerst nahm ihn der älteste Bruder in seinen Stall, ließ ihm tüchtig Weizen in die Krippe schütten und unter die Füße Laken breiten, damit ja kein Dukaten verloren gehe; den Stall aber schloß er selbst zu, damit niemand heimlich hinein[83] gehen und ihm einen Streich spielen könne. Früh bei Zeiten lief der Herr selbst in den Stall und wandte schnell alle Drecklein um und um und griff sie durch, aber er fand nichts; dem andern sagte er jedoch nichts davon, damit sich der nicht über ihn lustig mache. Der andre führte sich das Pferdchen heim und machte es eben so, und fand, als er die Drecklein durchsuchte, ebenfalls nichts. Jetzt nahm der jüngste den Gaul, und als es ihm eben so ergieng wie den andern beiden, ärgerte er sich nicht wenig darüber und sagte zu ihnen ›Habt ihr denn etwas gefunden? Ich habe nichts gefunden.‹ Beide antworteten »Wir haben auch nichts gefunden.« Da verabredeten sie sich, zum Tschutis hin zu gehen und ihn für den Betrug zu erschlagen.

Als sie hin kamen, fanden sie ihn auf einer Anhöhe mit einem kleinen Handschlitten, den zog er sich hin auf und fuhr auf ihm dann den Berg herunter. Sie sagten zu ihm ›Was treibst du da, Tschutis?‹ »Ich fahre spazieren.« ›Du hast ja aber kein Pferd.‹ »Mein Schlitten läuft auch ohne Pferd.« Den Herren gefiel der Schlitten und sie vergaßen jenes Gaules und fiengen nun an, um den Schlitten zu handeln. ›Tschutis, was willst du für den Schlitten?‹ »Hundert Thaler.« ›Nein, so viel können wir nicht geben, das ist zu theuer.‹ »Nein, wolfeiler verkaufe ich ihn nicht; ihr wißt ja noch gar nicht, wie schnell der Schlitten läuft.« Und nun zog er ihn an den Abhang, setzte sich auf und sagte »Jetzt gebt nur acht, wie das gehen wird!« Und als er den Berg hinunter fuhr, da gieng das wie ein Blitz. Als jene das sahen, dachten sie, er werde gar hinweg fahren. Es that ihnen leid, daß sie ihn hatten gehen laßen, und sie riefen was sie nur konnten ›Tschutis, halt an! Tschutis, halt an! wir wollen ja die hundert Thaler geben.‹ Er konnte aber nicht eher anhalten, als bis er ganz unten angekommen war; und als er unten war, stieg er vom Schlitten ab und rief jenen zu »Nun, so kommt her und nehmt den Schlitten, ihr habt ja gesehn, daß er gut fährt.« Die Herren kamen, bezahlten hundert Thaler und wollten sich nun gleich aufsetzen und fahren; aber Tschutis sagte »Nein, nein; jetzt könnt ihr euch noch nicht aufsetzen; erst müst ihr den Schlitten mit nach Hause nehmen, dann könnt ihr euch aufsetzen und fahren.« Tschutis steckte nun seine hundert Thaler in die Tasche und gieng seines Weges; die Herren aber schleppten ihren Schlitten nach Hause. Des andern Morgens kamen sie schon früh zusammen, um sich das Vergnügen zu machen, ohne Pferde zu fahren; da begannen sie zu schreien ›Ze, ze![84] njah, njah! wirst du gehen?‹ Aber es gieng doch nicht. Da fiel ihnen ein: ›Aha, das geht deswegen nicht, weil wir uns alle drei aufgesetzt haben; nur einer darf sich jedes Mal aufsetzen.‹ Aber auch so gieng es nicht, obgleich man schrie und mit der Peitsche knallte; alle drei versuchten einer nach dem andern zu fahren, es half aber alles nichts. Nun merkten sie, daß sie der Alte wieder angeführt habe, und sie verabredeten sich, hin zu gehen und ihn zu tödten.

Tschutis aber hatte das erfahren und besorgte sich eine Blase, die er mit Blut füllte und auf der Herzgrube unter seinen Bauernkittel hieng. Als nun die Herren zu ihm kamen und in die Stube herein traten, da stellte er sich, als ob er wegen des Betruges, den er ihnen gespielt, sehr erschrocken sei, zog schnell ein langes Meßer unter dem Deckbalken vor und stach es sich, krach! in die Brust. Sogleich begann das Blut von allen Seiten zu tropfen; er stürzte rücklings nieder und röchelte, als liege er im Sterben. Die Herren aber stunden vor Schreck wie vom Donner gerührt da. Als nun der Alte zu röcheln aufgehört hatte, da brachte seine Alte aus einem Winkel einen Stock und gab, klapp! klapp! dem Alten ein paar Hiebe über den Leib. Der Alte sprang schnell wie ein Vogel auf und war vollkommen gesund. Die Herren, hast du's nicht gesehen, wollten nun gleich das Meßer, aber vor allem auch den Stock kaufen; denn sie bildeten sich ganz fest ein, mit dem Stabe könne man selbst Todte auferwecken. Sie fragten ihn, was er für den Stab wolle. Er sagte ›Der Stab kostet zwei hundert Thaler.‹ Die Herren wollten noch handeln, aber Tschutis sagte ›Ob ihr handelt oder nicht handelt, wolfeiler verkaufe ich ihn nicht.‹ Da es nun nicht anders gieng, so gaben sie ihm die zwei hundert Thaler. Jetzt hatten sie ihre Freude darüber, daß sie eine so sehr gute Sache in ihren Besitz gebracht, und gedachten viel Geld damit zu verdienen.

Zuerst nahm der Älteste den Stab, um einen Versuch damit zu machen. Da suchte er denn allerlei Ursache gegen seine Frau, und eines Tages als er wegen einer unbedeutenden Kleinigkeit über sie erzürnt war, nahm er das Meßer und stieß es ihr in die Brust, daß sogleich ein Strom von Blut floß und die Frau sofort starb. Da nahm er den Stab und schlug auf sie los, aber die Frau ward nicht lebendig; er zerarbeitete und zermarterte die ganze Leiche so, daß immer das Fleisch von den Knochen fiel, aber es half alles nichts. Er gab nun den Stab seinem Bruder und der machte dasselbe mit seiner Frau:[85] er tödtete sie und konnte sie mit dem Stabe nicht wieder ins Leben zurück rufen. Zuletzt bekam der Jüngste den Stock; da auch er nicht wuste, wie es den andern beiden ergangen war, denn keiner hatte dem andern sein Unglück erzählt, so that er ebenfalls dasselbe wie jene beiden. Der aber sprach darüber mit seinen Brüdern, und nun erfuhr er, daß auch jene solche Mörder seien. Jetzt aber ergrimmten sie heftig auf den unerhörten Betrüger und verabredeten sich, hin zu gehen und ihn auf der Stelle zu tödten.

Der Tschutis aber war ein schlauer Wolf: er merkte wol, daß sie wieder kommen würden, ihn um zu bringen, und ließ sich einen Sarg machen, der wurde in dem Garten zur Hälfte in die Erde eingegraben. In den legte er sich hinein als er sie kommen hörte. Als sie in die Stube traten, fragten sie die Alte ›Wo ist der Tschutis, der Unmensch? Heute muß er sterben.‹ Die Alte antwortete »Ach, er ist schon vor ein paar Tagen gestorben.« Als sie das vernahmen, spuckten sie alle aus, weil sie ihre Wut nicht an ihm auslaßen konnten und fragten ›Wo liegt der Betrüger?‹ Die Alte sagte »Dort im Garten.« Da wollten sie ihm doch wenigstens noch im Sarge einen Schimpf anthun. Tschutis aber hatte, als er sich in den Sarg legte, eine große Scheere mit genommen, und als einer nach dem andern zu dem Sarge kam, da steckte er die Scheere durch ein Loch im Sarge und verstümmelte ihn schnapp! in sehr empfindlicher Weise. Da eilten sie nun, entsetzlich verwundet, schnell nach Hause und starben sämmtlich bald darauf; der alte Tschutis lebt mit seiner Alten aber vielleicht heute noch.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 83-86.
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