Vom Sohne des Kuren.1

[86] In einer königlichen Stadt war bei dem Schloße des Königs ein Teich, den ein nicht weit von der Stadt wohnender Kure häufig besuchte, um da zu fischen; auch pflegte er seinen Sohn mit zu bringen, der ihm beim Fischen behülflich sein muste. Dieser junge Kure war aber von sehr großer Schönheit, und des Königs Prinzessin, die ihn[86] oft sah, hatte Wolgefallen an ihm. Sie überredete deshalb den Kuren, den Vater des Knaben, er solle seinen Sohn ins Schloß des Königs gehen laßen, und als er kam, sagte die Prinzessin zu ihm ›Ich habe Wolgefallen an dir, du must mein Mann werden.‹ Der junge Kure erschrak darüber nicht wenig und wuste nicht, was er sagen solle; die Prinzessin sprach ihm aber mit so liebreichen und schönen Worten zu, daß er doch so viel Mut bekam, um ihr zu antworten, daß er ein ganz geringer Mensch sei, weder schreiben noch rechnen könne und auch sonst nichts verstehe, als mit seinem Vater zu fischen. Die Prinzessin sagte ›Das macht nichts; ich werde dich in allerlei Schulen schicken, dich allerlei Listen lehren laßen und dich kleiden und speisen wie einen Prinzen.‹ Solche Zusprache gefiel dem jungen Kuren und er blieb im Schloße. Da ließ ihn die Prinzessin prinzlich kleiden und schickte ihn dann zur Schule. Der kleine Kure hatte einen guten Kopf, und er lernte sehr schnell und gut, so daß alle Lehrer ihre Freude an ihm hatten, besonders aber freute sich die Prinzessin darüber und gewann ihn noch lieber. Als er alle Schulen durchgemacht hatte und bereits in die männlichen Jahre getreten war und ein sehr kluger Mann geworden war, da heiratete ihn die Prinzessin.

Aber was geschah! Am Abende des Vermählungstages, als festliche Musiken ertönten und alle hohen Fürsten und Herren sich vergnügt machten und es bereits Zeit zum Schlafengehen war, da war er plötzlich verschwunden. Das ganze Schloß kam in Folge dieses Ereignisses in Bewegung, und in der königlichen Familie und bei allen Gästen war kein geringer Schreck darüber. Sofort wurden alle Diener und Soldaten aus gesandt, um nach ihm zu suchen, aber sie fanden ihn nirgend. Darüber verwandelte sich die Freude des ganzen Schloßes in Betrübnis, denn niemand wuste, wo der Bräutigam geblieben. Der Bräutigam hatte sich nämlich auf ein Schiff begeben und mit dem Schiffer hatte er schon vor der Hochzeit die Abrede getroffen, wenn er den und den Abend auf das Schiff kommen werde, da solle er sogleich vom Strande abstoßen und die Reise antreten. Wie nun im Schloße das Gedränge der Hochzeit am grösten war, da machte er sich heimlich davon und gieng gerades Weges auf das Schiff, und kaum hatte er den Fuß ins Schiff gesetzt, als der Schiffer abfuhr; deshalb konnte man ihn nirgend finden. Da das Schiff in die Türkei fuhr, so machte auch er die Reise dorthin und trat bei dem Könige der Türken als Sclave in Dienste. Er stellte sich aber auch stumm.[87] Wegen seiner Schönheit hielten ihn alle in Ehren und weit und breit war der schöne Sclave das Hauptgespräch; aber auch der König hatte große Freude an ihm und es that ihm nur leid, daß er stumm war. Der König aber hatte nur einen Prinzen und eine Prinzessin. Im Verlaufe der Zeit gewann er solches Wolgefallen an dem Sclaven, daß er an seinem Tische eßen muste, und da er nun an seinem ganzen Benehmen merkte, daß er ein sehr verständiger Mann sei, that es ihm desto mehr leid, daß er stumm war und oft sagte er ›Wenn der Mann nicht stumm wäre, ich würde ihn als Eidam behalten.‹ Als des Königs Diener solche Rede vernahmen, dachte jeder darüber nach, wie er den Menschen reden machen könne; und einer unter den Räten des Königs war ein sehr kluger Mann, der merkte, daß der Sclave nicht stumm sein könne. Der gieng zu dem Könige und bat ihn, er möge ihm den Sclaven auf vier und zwanzig Stunden übergeben, da werde er ihn so gesund machen, daß er werde reden können. Der König war über diesen Ratschlag sehr erfreut und gestattete ihm, den Sclaven auf vier und zwanzig Stunden zu sich in sein Haus zu nehmen: werde er ihn nicht redend machen, so werde er umgebracht, gelinge es ihm jedoch, so werde er sehr glücklich gemacht werden. Der Minister nahm nun den Sclaven mit nach Hause und begann ihm auf alle Art zu zu sprechen, der Sclave aber sprach nicht; er versuchte alles nur mögliche mit ihm und drohte ihm auf die und jene Art und sagte zu ihm, wenn er nicht reden werde, so werde er ihn aufs ärgste mishandeln, denn der König habe ihn ihm übergeben, und er könne mit ihm machen was er wolle; aber es half alles nichts. Endlich als alle Versuche zu keinem Ziele führten, begann der Minister den Sclaven zu schlagen und prügelte ihn so schrecklich, daß er kaum das halbe Leben behielt, aber er sprach doch nicht.

Als nun der Minister sah, daß seine Arbeit ganz vergeblich sei, da nahm er noch dem Sclaven den Ring vom Finger, den ihm seine Frau bei der Vermählung gegeben hatte, steckte ihn sich an den Finger und entfloh sodann des Nachts, um dem Tode zu entgehen. Er begab sich auf ein Schiff, welches nach dem Lande und nach derselben Stadt hin fuhr, aus welcher der Sclave war. Als er in der Stadt angelangt war, wuste er nicht, was er anfangen und wie er sich auf die Dauer ernähren solle; da gab er sich für einen Musikanten aus, denn er konnte ein wenig spielen. Als er so von Haus zu Haus gieng, kam er auch zu der Prinzessin, deren Mann entflohen war, und wie[88] er vor ihr Musik machte, da erblickte sie den Ring an seinem Finger, und als er mit seiner Musik fertig war, da sagte die Prinzessin zu ihm ›Musikant, wärst du wol so gut mir deinen Ring zu zeigen?‹ Er verneigte sich tief und sprach »Ei sehr gerne,« zog ihn ab und gab ihn hin. Als die Prinzessin den Ring betrachtete, fand sie die Buchstaben ihres Namens, die der Goldschmied beim Gießen eingegoßen hatte und erkannte sogleich, daß es ihr Ring und zwar derselbe sei, den sie einst ihrem Bräutigam beim Ringewechseln am Tage der Trauung gegeben hatte. Da fragte sie ihn, ob er den Ring nicht verkaufen wolle. Er sagte ›Ich würde ihn recht gerne verkaufen, wenn sich nur ein Käufer fände; ich bin ein armer Mann und weiß nicht, wie ich mich ernähren soll.‹ Da kaufte die Prinzessin den Ring und erkundigte sich, woher er sei und auf welchen Wegen er hierher gekommen sei; er erzählte alles aufs schönste und die Prinzessin schrieb es sich auf.

Hernach machte sich die Prinzessin auf und reiste in die Türkei und zwar in die Stadt, wo der König lebte und wo alle seine Sclaven waren. Als sie in der Stadt angelangt war, gab sie sich für eine Schneiderin aus, gieng zur Königin hin und bat sie sehr, sie zum Nähen anzunehmen. Die Königin wollte erst nicht, als sie aber so sehr bat, und da sie sehr schön war, behielt sie sie. Anfänglich bekam sie nur gewönliche Nähereien zu nähen; als aber die Königin sah, daß sie sehr schön genäht seien, gab sie ihr feinere und zuletzt bekam sie die theuersten Seiden- und Leinenstoffe zu nähen und was sonst noch an theuerstem Zeugs in den königlichen Palästen war. Die Königin wunderte sich über die herrliche Arbeit und war froh, daß sie sie behalten habe. Da sie aber auch sehr verständig war und sich sehr fein betrug, hielten sie Königin und König so sehr in Ehren, daß sie nach einiger Zeit auch am Tische des Königs mit eßen konnte. Seitdem sie da war, hatte sie schon längst Gelegenheit gehabt, ihren angetrauten Mann zu erblicken und er sie; beide erkannten einander sogleich, aber nie konnten sie so heimlich zusammen kommen, daß sie mit einander hätten reden können; als sie nun aber an einem Tische mit einander aßen, da dachte sie, ›Es wird sich schon einmal fügen, daß ich mit ihm allein zusammen komme;‹ aber das geschah nicht. Als nun der König sich noch immer nicht zufrieden gab und zu wiederholten Malen wegen seines stummen Sclaven betrübt war, da sagte die Schneiderin ›Ich unternehme es, ihn zum Reden zu bringen, wenn ihr ihn über Nacht in eine Stube mit mir thun wollt.‹ Der König war[89] geneigt das zu thun, aber er verkündete ihr ebenfalls daß, wenn ihr das mislinge, sie lebendig verbrannt werden solle; sie machte sich aber nichts daraus, indem sie dachte ›Ich weiß ja doch, daß er nicht stumm ist und werde ihn schon überreden, zu sprechen.‹

Eines Abends brachte man auch wirklich den Sclaven in ihre Stube. Da sprach sie denn so und so zu ihm, fragte ihn, warum er entflohen sei und sie verlaßen habe, weshalb er so weit gereist sei, und sich in solches Elend begeben habe; er aber sprach nicht. Da bat sie ihn mit Thränen, er solle doch sprechen; aber er that es nicht. Sie begann aufs neue ›Schau, wie lieb ich dich gehabt habe und noch habe, und wie ich deinetwegen so weit weg gereist bin, um wenigstens noch einmal in meinem Leben bei dir zu sein oder dich doch nur zu sehen. Gilt denn das alles nichts bei dir, oder hast du denn gar kein Erbarmen mit mir, daß ich aus Liebe zu dir so viel Furcht und Elend ertragen habe? Solltest du denn so gar kein Mitleid und Erbarmen mit mir haben und mich deinetwegen sterben laßen, denn wenn du morgen früh nicht sprichst, so werde ich lebendig verbrannt.‹ Aber alle ihre Reden, Bitten und Thränen waren vergebens, er blieb stumm.

Des andern Morgens ließ der König den Sclaven holen; er konnte nicht sprechen, deshalb sollte, wie es befohlen war, die Schneiderin verbrannt werden. Sofort musten sie auf einem bestimmten Platze einen Haufen Holz so auf schichten, daß er in der Mitte hohl war. Als dieß fertig war, stellte man zuerst den Stummen an den Holzstoß und sodann führte man die Schneiderin herbei, die schwarz gekleidet war. Viele Leute waren zusammen gekommen, um zu sehen, was geschehen werde. Vor dem Holzstoße verlas ein Diener des Königs mit lauter Stimme das Todesurteil, und sodann sollte sie durch ein enges Loch, das man offen gelaßen hatte, in den Holzstoß kriechen, als sie aber an die Öffnung herantrat, da rief der Stumme mit lauter Stimme ›Thut ihr kein Leid, sie ist mein Weib!‹ Da entstund kein kleines Gedränge unter den Leuten und alle klatschten in die Hände und freuten sich darüber, daß ein so schönes Mädchen nun am Leben bleiben werde. Einer von den Dienern lief zum König hin und hinterbrachte ihm die ganze Begebenheit. Der König wollte das nicht glauben und befahl, daß man beide zu ihm führe; und als man sie gebracht hatte, da konnte er sich nicht genug darüber wundern, daß sein lieber Sclave reden konnte. Das Geheimnis, daß sie ein[90] getrautes Paar seien, war ihm aber noch nicht klar, und beide musten ihm nun diese wunderbare Begebenheit erzählen und sodann wollte der König auch wißen, warum er entflohen sei. Er sagte ›Da ich von ganz geringer Herkunft und ein ganz gewönlicher Mensch war, da dachte ich, ich würde doch von der ganzen königlichen Familie und von allen den hohen Herren verachtet und für nichts gehalten werden, und deshalb entfloh ich. Da es nun aber so kommen muste, daß ich meine Frau aus großer Not, ja vom Tode selbst errettet habe, und sie selbst auch erfahren hat, was es heißt im Elende zu leben, so wird man mich nunmehr keinesweges verachten, und jetzt will ich wieder sehr gerne ihr Mann sein.‹ König und Königin freuten sich sehr; und nachdem dieser Türkenkönig sie beide reich beschenkt hatte, ließ er sie auf seinem eigenen Schiffe nach Hause bringen. Als sie aber wieder nach Hause in ihr Vaterland zurückgekehrt waren, gab es eine Freude, die ihres gleichen nicht hatte, und nach des Königs Tode wurde dieser sein Schwiegersohn König jenes Landes.

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Kuren nennen die Hochlitauer nicht nur ihre lettisch (kurisch) redenden Nachbarn, sondern auch die den niederlitauischen Dialekt sprechenden Litauer, besonders die Bewohner der Gegenden am kurischen Haffe, und so berührt sich die Bedeutung von Kure und Fischer sehr nahe.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 91.
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