[130] 306. Das Mägdlein auf Rheinsheim.

Zur Zeit, als das Luxemburger Land noch unter österreichischer Herrschaft stand, hatten ein Korporal und ein Mädchen aus Hollerich sich auf ewig Treue geschworen. Einst war der Korporal in Fort Rheinsheim auf Wache. Diese Gelegenheit benutzte die Dirne, um abends ein Stündlein mit ihrem Liebsten zu plaudern. Aber bei dem Stündlein blieb es nicht; die Zeit verging schnell, und ehe man es dachte, hörte man die Runde nahen. Husch! versteckte der Soldat die Dirne in einem Minengang unter dem Fort, indem er ihr versprach, sie bald wieder abzuholen. Unbegreiflicherweise vergaß er seines Mädchens gänzlich. An den darauffolgenden Tagen vernahm man, ohne jedoch weiter darauf zu achten in der Wachtstube ein aus der Tiefe kommendes Rufen und Schreien, ein Stöhnen und Jammern, das immer schwächer wurde und endlich verstummte.

Nach acht Tagen zieht der Korporal wieder auf Wache in Fort Rheinsheim. Da sieh! kommt auf ihn zu eine geisterhafte Frauengestalt, die wimmernd ihre entfleischten Arme nach ihm ausstreckt – er bebt zurück: es ist sein vergessenes Lieb. Vor Schrecken bleich, eilt er rasch in den Minengang, da sieht er das Mägdlein tot vor sich liegen mit abgenagten Armen und Fingern.

Seit dieser Zeit ging auf Rheinsheim des Mägdleins Geist noch lange allnächtlich wimmernd und jammernd um.


v. Cederstolpe, Sagen von Luxemburg, 27

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 130.
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