XXIX. Der Herr im Kasten.

[80] Es war einmal ein Herr; der wollte in die Familie einer Dame mit drei Töchtern einheiraten. Er begehrte die jüngste zur Frau; drum liess er bei ihr anfragen, aber sie wollte ihn nicht. Da wollte er sie gar nicht mehr einfach heiraten, sondern sie entführen.

Er begab sich nun zu einem Tischler und sprach zu ihm: »Lege mich in einen Kasten aus Glas und schmücke mich mit[80] Blumen!«1 Ferner sprach er zum Tischler: »Trage Sorge, mir die Sache bis heute abend fertigzustellen, damit ich heute noch bei dem Mädchen schlafen kann! Schaff' mich also hin und verkaufe mich an die Dame, die die drei Töchter hat! Du gehst zu ihnen und verkaufst mich an sie!« Dies also verabredete der Herr mit jenem Tischler, dem er noch angab: »Wenn du mich verkaufst, so nimm du das Geld! Und schaffe mich hin und verkaufe mich, wenn die Sonne im Begriff ist unterzugehen!«

Der Kasten war nun fertig, und der Tischler hob ihn (mit dem Herrn darin) auf seinen Kopf und begab sich mit ihm zu jener Dame. Diese sah ihn, denn sie stand auf ihrem Balkon, und der Kasten glitzerte vor ihren Augen. Sie rief den Tischler heran und sprach zu ihm: »Was willst du für den Kasten? Bring' ihn her und lass ihn mich sehen!« Der Tischler verlangte eine Summe Geldes, wegen der sie zunächst nicht übereinkommen konnten. Als der Tischler dann ein Stückchen fortgegangen war, rief sie ihm zu: »Setz' den Kasten auf die Erde; denn ich kann ihn nicht ordentlich sehen, wenn du ihn auf dem Kopfe hast!« Der Tischler wollte ihn nicht herunternehmen, denn er hatte Angst, es könne dem Kasten etwas passieren; darum äusserte er: »Signora, wenn wir wegen des Preises übereinkommen, so schaffe ich ihn dir hinauf, – wohin du ihn gesetzt haben willst.« Kurz und gut – als sie dann handelseinig geworden waren, schaffte der Tischler den Kasten in die Kammer, wo die Dame schlief; denn sie wollte immer das Christkindchen ansehen und sich an ihm erfreuen.

Die junge Dame hiess Giannina. Jene Nacht konnte sie nicht einschlafen, sondern musste immer zu dem Christkindchen gehen und es ansehen und ihm zulachen. Als dann einige Zeit verstrichen war und es neun Uhr nachts wurde, begann in dem Kasten das Christkindchen, während sie es gerade anguckte, zu gähnen! Als sie sah, dass das Kindchen dies tat, bekam sie einen Schreck. Nachdem etwa wieder eine halbe Stunde verstrichen war, begann jener (der fremde Herr), der bis dahin zusammengekrümmt im Kasten[81] gesteckt hatte, sich zu dehnen, um seine Beine langzustrecken. Da brach das Glas durch, und der Kasten gab nach, und die Beine des Herrn kamen zum Vorschein. Als er dann seine Beine und seine Hände langstreckte, gab auch das Glas an der Seite seines Kopfes nach, und der Herr drehte sich von einer Seite auf die andere. Signorina Giannina aber hielt ihre Augen starr auf ihn geheftet. Dann stieg der Herr aus dem Gestelle heraus.

Die junge Dame bekam einen schönen Schrecken, als sie einen Mann erblickte; sie liess ihn nun allein im Saale und begab sich zu ihrer Mutter. »Du kommst?« fragte die Mutter. Die Tochter erwiderte: »Ja! Und was für einen Schrecken habe ich gehabt, denn das war gar kein Christkindchen, sondern das war der Herr, der mich zur Frau haben will!«

Da befahl die Mutter, dass man für jenen Herrn Kaffee koche; und man setzte ihm Kaffee vor, und dann wurde geplaudert. Als man den Kaffee getrunken hatte, stieg Giannina einmal in die unteren Zimmer; die Mutter hatte zu ihr gesagt: »Setz' einen Kessel mit Öl aufs Feuer!« Die Familienmitglieder unterhielten sich mit dem Herrn, um zu verhüten, dass er etwas von ihrem Vorhaben merke; das Öl begann unterdessen zu sieden. Giannina verabredete sich nun mit ihren Brüdern, und man gab dem Herrn jetzt Opium ein, damit er betäubt würde. Als er in Betäubung versunken war, nahm man ihn und hob ihn empor – das taten die Brüder eigenhändig – und warf ihn hinein (ins kochende Öl). Bevor sie ihm Opium eingegeben hatten, hatten sie ihn gefragt, wo sich die Schlüssel zu seinem Palaste befänden. Er hatte ihnen erwidert: »Beim Tischler!« Nun liess man die Leiche des Mannes abkühlen, leimte eben jenen Kasten wieder zusammen, legte den Toten in ihn hinein und schmückte ihn mit Blumen. Giannina begab sich dann zum Tischler, damit dieser ihr die Schlüssel des Palastes aushändigte, was er tat. So wurde jener Palast denn ihr Eigentum, und sie übernahm den ganzen darin befindlichen Reichtum des Ermordeten.

1

Wie sich aus dem Folgenden ergibt, will sich der Herr als »Bambino« aufputzen lassen. Das »Bambino« – so sagt der Italiener; der Malteser sagt bambîn – ist das Christuskind; der Kasten stellt die Krippe dar, in der unser Heiland in Bethlehem lag. Fromme Leute kaufen sich zur Weihnachtszeit solch einen Kasten mit dem blumengeschmückten, wächsernen Bambino darin.

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 80-82.
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