[150] 100. Der zitternde Haselnußbaum.

[150] Schriftliche Mittheilung des Herrn Prudenz van Duyse in Gent.


Maximilian hatte den in Brügge feierlich beschworenen Friedensvertrag gebrochen, und zahlreiche Gefechte und Neckereien waren die Folge dieses Schrittes. Die schönen Felder wurden von den wilden Horden verwüstet, die Wohnungen der Landleute von ganz Flandern fast in Asche gelegt, alles Nichtmitnehmbare zertrümmert. Dadurch stieg der Haß der Bauern gegen die Soldaten tagtäglich mehr und sie ergriffen jede Gelegenheit, welche sich ihnen zur Rache bot.

Um diese Zeit, und zwar im Jahre 1491, hatte sich Graf Engelbert von Nassau, den Maximilian (der damals noch römischer König war) als Landvogt über die Gegend eingesetzt hatte, mit den Gentern in ein Gefecht eingelassen, wurde jedoch geschlagen und bis dicht vor Brügge verfolgt; denn Philipp von Cleve, der Anführer der Genter, war ihm an Kriegskunde wie an Macht weit überlegen.

Eine von den Abtheilungen der Genter Truppen verfolgte einen Haufen Feinde durch das Maisträßchen zu Waerschot, und in so großer Eile, daß einer von ihnen, müde schon durch die Anstrengungen des Tages, ihnen nicht beibleiben konnte und einige Schritte hinter ihnen langsam herzog. Eben aber war er bis zu dem Dreiwege in der Mitte des Maisträßchen gekommen, als vier Männer, mit Schaufeln und Hacken bewaffnet, auf ihn zustürzten und ihm, ehe er noch Zeit zur Vertheidigung gewinnen konnte, sein Schwert entrissen. Der Krieger, welcher sie als Genter erkannte, fragte sie erstaunt um die Ursache ihres Anfalles und nannte sich ihnen als den Sohn des Grafen Philipp von[151] Cleve; doch die Bauern sprachen: »Du sollst uns nicht entwischen, denn deines Vaters Leute berauben uns so gut, wie die Feinde.« Und bei den Worten sanken ihre Hacken auf des Kriegers Scheitel und – er war nicht mehr.

Bald war die Kunde von dem grausen Morde verbreitet, und ganze Massen Neugieriger umstanden die blutentstellte Leiche. Doch blieb dieselbe nicht lange also liegen. Die Frauen brachten weißes Linnen und die Männer eine Bahre mit einem Sarge, und der junge Graf wurde unter lautem Klagen aller Anwesenden an der Stelle begraben, wo er seinen Tod gefunden hatte. Auf das Grab pflanzten die guten Flamländer eine schöne Linde und hingen daran ein Bildniß der Muttergottes, damit der vorüberziehende Wanderer zu dieser für die Seelenruhe des Ermordeten beten könne.

Seit diesem Tage sieht man in dunkeln Nächten den Geist des Grafensohnes um die Linde schweben. Ein steter Zeuge aber der furchtbaren That blieb ein Haselnußbaum an der Ecke eines kleinen Gebüsches. Hinter diesem Baume hatten sich die Mörder versteckt gehalten, und darum zittert er fortwährend bis zur heutigen Stunde, auch wenn kein Lüftchen sich rührt und kein Blättchen anders sich regt. Davon bekam die Stelle den Namen: Aen den bevenden Hazelaer.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 150-152.
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