[204] 128. Trazegnies.

Mündlich.


Vor alten Zeiten lebte ein Edelherr, dessen Namen man nicht mehr kennt; der hatte eine Frau, und die war gesegneten Leibes. Als sie einstmals zur Kirche gehen[204] wollte, trat eine Bettlerin zu ihr und bat sie um ein Almosen. Sie schlug das der armen Frau mit rauhen Worten ab, und diese erzürnte darob also, daß sie rief: »So müsset denn also viele Kinder gebären, als jenes Schwein dort Junge hat.« Der Jungen waren aber dreizehn.

Als die Zeit der Geburt nun da war, da wurde die Edelfrau von dreizehn Knaben entbunden, die alle einander auf ein Haar glichen. Als das geschehen war, da rief sie die Wehmutter und sprach zu der: »Nun gehet und traget zwölf der Knaben in den Wald und tödtet sie dort; den dreizehnten aber lasset hier.« Also that die Wehmutter und nahm die zwölf Knaben in ihre Schürze und trug sie in den Wald. Da begegnete ihr der Edelherr und fragte, was sie in der Schürze hätte, und die Frau sank bestürzt zu seinen Füßen und bekannte ihm alles. Da befahl er ihr, ihm zu folgen, und er brachte die Kinder zu einem Bauersmanne, und der zog sie auf. Die Edelfrau wußte aber nichts davon, denn ihr Mann hatte der Wehmutter das strengste Schweigen geboten und ihr gedroht, daß er, im Falle sie dieß bräche, ihr das Leben nähme.

So wuchsen die Kinder nun auf und wurden älter, und der Edelherr ließ den Zwölfen immer dieselben Kleider machen, welche der Dreizehnte trug. Als sie nun zehn Jahre zählten, da veranstaltete die Schloßherrin ein großes Fest zur Feier des Geburtstages ihres Sohnes und lud dazu viele Freunde von nahe und ferne ein, und ließ dem Knaben neue Kleider machen, die waren so reich, wie man es nur wünschen konnte. Der Edelherr ließ aber alsbald den übrigen Zwölfen ganz gleiche Kleider machen, und als das Fest im Gange war, da brachte er sie in den Saal und schickte den Dreizehnten zu ihnen, und da hätte kein Mensch in der Welt ein so gutes Auge[205] gehabt, daß er ihn unter seinen Brüdern herausgefunden hätte. Dann sprach er zu seiner Frau: »Liebe Frau, wo ist euer Sohn?« Als nun die Edelfrau umschauen wollte, ihn zu suchen, da erschrak sie höchlich, als sie alle die Kinder sah, und sagte, sie könnte ihn nicht finden. Der Edelherr aber sprach: »Sehet, Frau, das sind alles eure Söhne, einer wie der andere, und zwölf davon habet ihr ermorden wollen.« Und ob dem Worte fiel die Frau ihrem Gemahle zu Füßen und bekannte ihm alles.

Als der König davon hörte, gab er dem Herrn ein Wappen und befahl ihm, daß er und seine Familie von da an Treizenés heißen sollten, welches zu deutsch dreizehn Söhne ist. Und der Herr fügte dem Wappen als Wahlspruch sechs Worte bei, die er ehedem zu der Wehmutter im Walde gesprochen hatte, und die hießen: »Tant que je vivrais, je maintiendrais.«

Dieß alles steht noch heutzutage im Schlosse Trazegnies gemalt, wo es jeder sehen kann.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 204-206.
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