[206] 129. Die Zwillinge auf dem Helme der Markgrafen von Trazegnies.

Histoire veritable de Gil-Lion de Trazegnies. Brux. 1703. 12.

Le roman du très noble chevalier Gillion de Trasignies, traduit en françois d'après l'original italien de l'abbaye de l'Olive. 4. Aus dem 15. Jahrh.

O.L.B. Wolf, Fragmens du roman de Gilion de Trazegnies, wiederholt in Le livre de Baudoin ed. Serrure et Voisin.

Msc. des Schlosses Trazegnies, ausgezogen von dem Grafen von St. Genois in seinen Droits primitifs, p. XCI.

De Reiffenberg, Nouvelles archives histor. T. VI. p. 312.


Gillion, Herr von Trazegnies und Silly, heirathete Maria, die Tochter des Grafen von Ostrebant, welche an dem Hofe des Grafen Balduin von Hennegau erzogen[206] worden war. Balduin, seine Gemahlin und viele Baronen und Ritter wohnten dem Feste bei, nach dessen Beendigung die jungen Gatten sich auf ihr Schloß Trazegnies zurückzogen. Gillion, der nicht abwarten konnte, bis er einen Erben hatte, that bald nachher das Gelübde, im Falle seine Frau gesegneten Leibes werden solle, nach dem heiligen Lande zu pilgern. Die Dame von Trazegnies sah sich in der That bald guter Hoffnung, und Gillion gedachte auch treulich seines Gelübdes; aber er hatte zu dessen Vollendung die Einwilligung des Grafen Guido von Hennegau nöthig, und er fürchtete mit Recht, dieselbe nicht gar leicht zu erhalten.

Um derselben desto sicherer zu sein, lud er den Grafen durch folgenden Brief ein, einige Tage auf dem Schlosse Trazegnies zu verbringen. »Sire«, schrieb er, »ich bitte euch demüthig, daß es euch gefallen möge, einmal auf das Schloß Trazegnies zu kommen und meine neue Wohnung zu beschauen.« Darauf antwortete ihm der Graf: »Herr von Trazegnies, eure Bitte sei euch gestattet, denn es wurde uns gesagt, daß es in der Gegend eures Schlosses große Wälder mit mächtigen Hirschen gäbe, welche wir dann nach Lust und Liebe fangen können.«

Der Graf von Hennegau langte bald auf Trazegnies an, geleitet von seiner Gemahlin, den Herren von Havrech, Antoing, Enghien, Ligne, Bossut, Hamaide und vielen andern Rittern. Die vier ersten Tage waren ganz der Jagd geweiht; am fünften aber rückte der Herr von Trazegnies mit seiner Bitte heraus; er eröffnete dem Grafen, welches Gelübde er gethan habe, und bat ihn inständig um Erlaubniß, dasselbe erfüllen zu dürfen. Damit war der Graf inzwischen nicht ganz einverstanden, und Gillion konnte erst nach langem Zureden die gewünschte Einwilligung seines Herrn erlangen. Freudig[207] machte er sich alsdann auf den Weg und reiste über Rom nach Neapel, wo er sich mit einigen Kaufleuten nach Jaffa einschiffte und dann die Pilgerfahrt auf dem Rücken eines Maulthieres bis Jerusalem fortsetzte. Nachdem er in feurigem Gebete dem Himmel am Grabe Jesu gedankt hatte, kehrte er nach Jaffa zurück, wo ein Schiff ihn erwartete; aber auf dem Wege wurde die Truppe, mit welcher er reiste, von den Sarazenen angefallen; alle seine Gefährten blieben und er selbst dankte sein Leben nur seiner kräftigen Gegenwehr; er wurde jedoch gefangen und zu dem Sultane gebracht.

Während seiner Abwesenheit war seine Frau zweier Kinder genesen; der eine dieser Zwillinge wurde Johann, der andere Gerhard in der Taufe genannt. Es waren beide kräftige, schöne Jünglinge, und sie zeichneten sich vor all ihren Genossen in Handhabung der Waffen aus. Sobald ihr Alter es ihnen erlaubte, faßten sie den Entschluß, ihrem Vater nachzureisen, um zu erfahren, was aus ihm geworden wäre, und ob er noch lebe oder nicht.

Herrn Gillion hatte inzwischen ein falscher Ritter gemeldet, seine Frau sei gestorben, noch ehe sie ins Kindbett gekommen sei, und, nicht an der Wahrheit dieser Nachricht zweifelnd, hatte er die Tochter des Sultans, die schöne Graciane, geheirathet, ein Schritt, zu dem ihn Liebe und Dankbarkeit gleich mächtig trieben, denn Graciana hatte ihm von ihrem Vater die völligste Freiheit verschafft. Seine Söhne waren nicht glücklicher auf ihrer Reise, als er es einst gewesen; sie fielen gleichfalls in die Hände der Sarazenen und wurden gefangen vor den Sultan geführt, wo sie ihre Abentheuer erzählten und bald als Gillions Söhne erkannt, auf die unerwartetste Weise in die Arme ihres Vaters sanken. Dieser zauderte nun nicht mehr, nach Hennegau zurückzukehren, und trat einige Tage später mit Graciane und seinen[208] Söhnen die Reise an. Zu Rom wurde die schöne Sultanstochter getauft, und dabei entsagte sie zugleich allen Rechten auf Gillion; dann setzten sie alle ihren Weg nach Hause fort.

Mit großer Freude wurden die vier edeln Reisenden von Frau Marien empfangen, welche, ferne von aller Eifersucht, in ihres Mannes zweiter Gemahlin ihre herzlichste Freundin begrüßte. Aber diese glückliche Freundschaft sollte nicht lange währen; kaum waren zwei Monate verflossen, als die schöne Graciane starb, und Maria, untröstlich über diesen Verlust, folgte ihr in kurzer Zeit. Der edle Herr von Trazegnies hatte sich in eine Einöde bei Cambron zurückgezogen und lebte dort dem Dienste Gottes, bis ein Ruf des Sultans, welcher von Feinden überfallen worden war, die alte Waffenlust wieder in ihm erweckte und ihn von neuem nach Afrika trieb. Er nahm seinen zweiten Sohn Gerhard mit sich; außerdem folgten ihm die Herren Balduin von Havrech, Karl von Jeumont, Bernhard von Ligne, Gerhard von Chimay, Gillion de Chin, Witasse von Berlaimont und viele andere. Er sollte nicht wiederkehren von diesem Zuge, der edle Ritter; unter den Mauern von Babylon erhielt er eine tödtliche Wunde und ruht nun, weit von den Frauen, die er so sehr geliebt, in dem Lande Asien.

Das ist die Geschichte von Herrn Gillion von Trazegnies.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 206-209.
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