[212] 131. Margarethchen von Limburg.

[212] Flämisches Volkslied.

Auszug aus der Pfälz. Urschrift Nr. 87 bei Mone, Anzeiger 1835. S. 164 ff.


Herzog Otsen von Limburg ritt eines Tages auf die Jagd mit vielen Jägern und Hunden, und Margarethchen, seine Tochter, folgte ihm, worüber ihre Mutter gar sehr sich betrübte, denn es ahnte ihr Schlimmes in ihrem Herzen. In dem Walde angekommen, sah der Herzog einen schönen großen Hirsch und sprach zu Margarethchen: »Warte hier an dem Bache; den Hirsch müssen wir fangen, und dann kehren wir zurück.« Der Herzog verirrte sich aber mit seinen Jägern, und sie suchten die Jungfrau und fanden sie nicht, worüber sie großes Leid hatten. Auch Margarethchen war voll Weh und Angst, denn der Abend nahte bereits und sie fürchtete in die Hände von Räubern oder in die Zähne wilder Thiere zu fallen. Unter vielen Thränen kletterte sie auf einen Baum, um auf den Zweigen sich zu betten. Da kam ein Kaufmann hergegangen, den Freibeuter beraubt hatten, und der weinte bitterlich um Frau und Kind. Als er Margarethchen auf dem Baume sah, da fühlte er sich getröstet, einen Menschen doch in dem Walde zu finden, dem er sein Leid klagen könne, und er bat sie niederzusteigen und erzählte ihr von seinem Mißgeschicke; Margarethchen that deßgleichen, und beide gelobten sich, nicht von einander zu scheiden, bis einer von ihnen sein Haus wieder erreicht habe. Alsdann zogen sie weiter in dem Walde fort und kamen an ein Kapellchen. Darin hausten Räuber; aber die waren nicht dort, sondern auf den Raub ausgezogen und hatten eine reichlich mit Speisen besetzte Tafel zurückgelassen. Das war den[213] beiden Reisenden ganz willkommen, denn sie hatten in drei Tagen nichts gegessen, und sie labten und stärkten sich vollauf.

Als sie kaum fertig damit waren, fuhr ein stattlicher Wagen mit schönen Pferden bespannt heran, und viele Diener sprangen in die Kapelle hinein und riefen freudig: »O, so haben wir doch endlich Margarethchen wiedergefunden; kommet, edle Jungfrau, und sitzet mit dem Manne in euren Wagen.« Solches thaten beide, denn der Wagen, wie die Pferde und die Diener schienen Margarethchen bekannt. Es war aber nichts als ein nichtiger Teufelsspuk, und der böse Feind wollte die beiden dadurch in noch größeres Leid bringen. Denn eben saßen sie in dem Wagen, als sie in tiefen Schlaf sanken, und so führte der Böse sie über zweihundert Meilen von dannen, und als sie endlich erwachten, da fanden sie sich ferne von allen Menschen in einer andern Wildniß wieder. Margarethchen war untröstlich darob, aber der Kaufmann sprach ihr Muth zu und hieß sie auf Gott vertrauen, der werde ihnen sicherlich helfen. Alsdann wanderten beide getrost weiter und irrten herum vier Tage lang.

Am vierten Tage sahen sie von ferne ein großes und prächtiges Schloß glänzen und sie zogen mit Freuden darauf zu. Am Thore hörten sie fröhliche Musik und sahen durch die Fenster, wie man in den Zimmern sprang und tanzte. Sie klopften an, und der Pförtner öffnete ihnen und fragte, was sie begehrten. Da sprach Margarethchen: »Nur ein wenig Essen und Trinken.« Da schien der Pförtner sie zu erkennen, denn er sprach: »Seid ihr nicht des Herzogs Tochter von Limburg? O, dann kommt doch schnell herein, denn euer Vater ist hier und in großer Sorge um euch.« Darob war Margarethchen hoch erfreut und sie eilte schnell in den Saal, und da fand sie ihren Vater, wie sie meinte, und der[214] rief den Burgherrn und sprach zu ihm: »Zeiget doch meiner Tochter euer Gold und eure Diamanten.« Das that der Burgherr und er sprach dazu: »Dieß alles ist euer, schöne Jungfrau, wenn ihr meine Frau werden wollt.« Darauf antwortete sie: »Ach, lieber Junker, wie sollte dieß werden; ich sehe, ihr seid doch zu reich für mich.«

Als sie solches gesprochen hatte, kam ein Diener und lud sie ein zur Tafel, wo ihr Vater mit den anderen Herren sie erwarte, wie er sagte. Sie und der Kaufmann folgten der Einladung gerne und gingen in den Saal, und als die Gäste sie schauten, riefen sie alle: »Aha, seid willkommen und setzet euch nieder und esset und trinket lustig.« Da sprach die Jungfrau: »Lasset uns zuvor Gott danken für die guten Gaben, welche er uns hier bescheert hat.« Der Burgherr erwiederte: »Ei, das ist nicht nöthig, da nehmt den Becher mit Wein und lasset ihn umgehen.« Darauf antwortete der Kaufmann: »Herr, lasset uns die fromme Sitte beibehalten, wie wir sie von unsern Altvordern überkommen haben«, und zu gleicher Zeit betete er mit Margarethchen: »Vater unser, der du bist im Himmel.« In demselben Augenblicke aber verschwand das Schloß mit den Gästen, und die Betenden sahen ein, daß sie abermals ein Spiel des Satans gewesen waren. Sie hatten aber einen so großen Schreck gehabt, daß sie ohnmächtig auf die Erde fielen. Als sie sich wieder erholten, faßten sie Muth und gingen weiter, bis sie ans Gestade der See kamen. Da sprach der Kaufmann: »Ich sehe hinten in der Ferne die Klause eines Einsiedels; wartet hier ein wenig, edle Jungfrau, ich will den heiligen Mann fragen, wie das Land heißt, wo wir sind.« Mit den Worten ging er weg und auf die Klause zu. Während dessen aber gewahrte Margarethchen ein Schiff, welches langsam ans Land fuhr.[215] Als es daselbst fest lag, kamen die Schiffer heraus und auf Margarethchen zu und fragten: was sie so allein herumirre? Die Jungfrau erzählte ihnen alles, und die Männer luden sie ein, an Bord zu kommen; sie wollten dann des Kaufmanns warten und beide wieder in das Land Limburg zurückführen. Als sie aber im Schiffe war, da segelten sie fort und achteten nicht des Kaufmanns, welcher am Ufer schrie, sie sollten auch ihn einnehmen; sie fuhren weiter und weiter bis an die Stadt Athen. Dort angekommen, begehrte der Graf von Athen die schöne Jungfrau als Zoll, und sie blieb bei demselben mehr denn zwei Jahre.

Der Graf hatte aber einen Sohn, der hieß Etzyter (Echites im hdschr. Romane), und der entbrannte in Liebe zu der edeln Margarethe. Das wollte die Gräfin, welche ein böses Weib war, nicht leiden und sie strafte den Jüngling mit bittern Worten und sandte ihn weg zu seinem Bruder. Etzyter ahnte jedoch Schlimmes und befahl die Geliebte einem treuen Diener des Grafen an und trug ihm auf, sobald ihr etwas überkomme, es ihm alsbald zu melden. Margarethchen war tief betrübt über die Abreise des jungen Helden, aber er küßte sie auf ihre rothe Wangen und tröstete sie, und dann schied er mit dem Versprechen, sie bald wieder zu sehen.

Als Etzyter fort war, entbot die alte Gräfin die Richter der Stadt und sprach zu ihnen, Margarethchen habe ihren Sohn bezaubert, darum sollten sie dieselbe verurtheilen und auf einem Scheiterhaufen zu Asche brennen. Die Richter erwiederten, das stünde nicht in ihrer Macht; man müsse die Jungfrau zuvor nach Recht und Gerechtigkeit verhören, und fände man sie dann schuldig, dann könne man sie mit gutem Gewissen verurtheilen. Davon wollte die Gräfin aber nichts hören und drohte den Richtern mit Entsetzung von ihrem Amte, wenn sie die[216] Jungfrau nicht verurtheilten, und das setzte dieselben in so große Furcht, daß sie am andern Morgen Margarethchen vor sich forderten und sie beschuldigten, sie habe die Gräfin in der Nacht mit einem Messer ermorden wollen. Da hatte die arme, schuldlose Jungfrau gut vertheidigen, nichts half ihr und sie wurde verurtheilt, am andern Morgen verbrannt zu werden.

Der treue Page hatte aber alles abgelauscht, und er ritt nun alsbald zu seinem Herrn Etzyter und meldete ihm, daß Margarethchen am folgenden Tage verbrannt werden solle. Darob erschrak der Held über die Maßen und er setzte sich zu Pferde und ritt nach Athen.

Der Morgen war inzwischen angekommen und der Henker führte die Jungfrau aus dem Kerker, worin man sie geworfen hatte, nach dem Richtplatze. Margarethchen seufzte und weinte bitterlich, daß ihr Geliebter so ferne sei, aber sie sah keine Rettung vor sich, und als sie an dem Scheiterhaufen angelangt war, da warf sie sich auf die Kniee nieder und sprach: »O Herr Jesus, empfange meine Seele in Gnaden; o himmlischer Vater, stehe mir bei, du weißt, daß ich unschuldig bin.« Da schrie der falsche Richter: »Spute dich, Henker, und lege Feuer an, sie plaudert zu viel«; aber er hatte die Worte noch nicht aus dem Munde, als Etzyter herangeritten kam und mit seinem Schwerte wie wüthend um sich schlug. Der Held ritt gerade auf die Jungfrau hin und umfaßte sie mit beiden Armen und küßte sie auf Wangen und Mund und sprach: »O liebe und edle Jungfrau, stehet auf, und du, Henker, wirf den falschen Richter statt ihrer in das Feuer!« Da bat Margarethe den Helden, daß er dem Richter vergebe, aber Etzyter wollte das nicht, sondern befahl, auch seine Mutter, das böse Weib, in das Feuer zu werfen. Da fiel die Jungfrau ihm zu Füßen und sprach: »O Geliebter, gedenke, daß[217] sie dich neun Monate lang unter dem Herzen trug und mit vielen Schmerzen dich gebar.« Diese Bitten rührten den Helden und er vergab seiner Mutter.

Diese starb zu vieler Freude nicht lange nachher, und da trat Etzyter die Regierung des Landes Griechenland an und heirathete öffentlich und feierlich die schöne Margarethe, und es gab viele und große Feste dabei im ganzen Lande. Die beiden lieben Gatten lebten noch lange in Freude und Frieden zusammen und starben eines seligen Todes.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 212-218.
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