[230] 148. Der Mönch von Afflighem.

Haffligemium illustratum. (Msc. der wieder eingestellten Abtei Afflighem in Dendermonde) I, Fol. 61.

Prudenz van Duyse, Vaderlandsche Poezy. Gent 1840. I, S. 35 u. 202.


Gegen das Ende des elften Jahrhunderts trug sich in der Abtei von Afflighem eine überaus wunderbare Geschichte zu.

Man meldete nämlich eines Tages dem frommen Fulgentius, der dazumal Abt war, daß ein fremder Mönch von gar ehrwürdigem Ansehen am Thore angeklopft habe und eingelassen worden sei, und daß derselbe sage, er sei einer von den Brüdern des Klosters. Der Abt ließ ihn zu sich führen und fragte ihn, wer er sei und woher er komme, worauf der Mönch erwiederte, er habe am Morgen noch mit den andern Brüdern die Matutin in der Kirche gesungen. Als man zu dem Verse des neun und achtzigsten Psalmes gekommen sei, welcher heißt: »Tausend Jahre sind vor deinen Augen, wie der gestern vergangene Tag«, da habe er lange darüber nachgedacht und noch im Chor gesessen, als alle andern schon heraus gewesen. Da sei ihm ein Vöglein erschienen, welches gar lieblich gesungen, und er sei dem Vöglein gefolgt, weil es ihn so sehr ergötzet, und ihm[230] in den Wald nachgegangen, und von da kehre er jetzt nach kleiner Weile zurück; er finde aber das Kloster so geändert, daß er es nicht wiedererkenne. Als nun Fulgentius ihn seines Abtes wegen fragte und auch nach dem Namen des Königes, welcher zu seiner Zeit regieret, und der Mönch über beide Auskunft gegeben, da fand man zu allergrößtem Erstaunen, daß die vor dreihundert Jahren gelebt hatten.

Der Mönch aber erschrak und sprach: »Ja wohl, nun sehe ich, daß tausend Jahre wie ein Tag sind vor dem Herrn«, bat alsdann den Abt, daß er ihm die heiligen Sacramente spenden wollte, und starb nach deren Empfang eines gottseligen und erbauungsreichen Todes.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 230-231.
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