[106] 67. Lyderik läßt seinen Sohn hängen.

Dits die excellente Cronike van Vlaenderen. Antwerpen 1531. Fol. VI.


Es geschah eines Sommers um den Tag Sankt Johanns des Täufers, daß Lyderik Besuch hatte von Dienstmannen des Königes Lothar und viele von seinen vornehmsten Unterthanen entbot, um diese ehrlich zu empfangen. Als man da viel tanzte und sprang, da wünschten einige Jungfrauen, welche sehr erhitzt waren, Frucht zu haben, an der sie sich laben könnten, Kirschen oder Pflaumen, oder was sonst.

Jogeram, Lyderiks ältester Sohn, ging zu einer Frau, welche einen Korb mit Früchten feilbot, und kaufte ihr denselben ab, ohne jedoch ihr Geld zu geben, sondern er sprach, man würde sie schon bezahlen, und er brachte die Früchte den Jungfrauen, welche sich daran sehr labten.

Die Bezahlung aber wurde vergessen, und die arme Frau stand am Thore des Schlosses, bis es dunkel Nacht war, und hatte noch kein Geld, und als sie endlich nach Haus kam, fand sie ihre Kinder todt von Hunger, weil sie kein Geld hatten, um sich Brot zu kaufen, und ihre Mutter nicht wiederkehrte.

Darob betrübt, kam die Frau am andern Tage wieder und klagte Lyderik, und dieser ritt alsbald mit[106] Jogeram nach Dornik und ließ ihn dort an den Galgen hängen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 106-107.
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