VIII

Der schlimme Finger[310] 11

Es war einmal eine Bauerndirne, die hatte einen schlimmen Finger, der ihr so entsetzlich weh that, dass sie meinte, es hatte noch niemals in der ganzen Welt einen so schlimmen Finger gegeben. Sie schwenkte ihn hin und her, sie blies darauf, sie hätschelte ihn und umwickelte ihn wie ein Wickelkind, aber das alles half nichts, und sie jammerte in einem fort. Da sprach die Mutter zu ihr: »Das ist doch rein zum toll werden, du Mädchen! du gehst umher und hörst nicht auf zu ächzen und zu stöhnen und wir haben beide Tag und Nacht keine Ruhe. Ich denke, es ist am Besten, du fährst in die Stadt zum Doctor und fragst den um Rath wegen deines Fingers.« Ja, das meinte das Mädchen auch, spannte an und fuhr zum Doctor. Als sie nun aber bei ihm in die Küche trat und nach ihm fragte, hiess es, er hatte Gesellschaft und sässe mit dem Propst und dem Stadtschreiber beim Kartenspiel: es könne jetzt Niemand mit ihm sprechen. Das helfe alles nichts,[310] sagte das Mädchen, wenn er auch mit dem Bischof selbst beim Spieltisch sässe; denn sie hatte einen so schlimmen Finger, wie ihn noch nie ein Mensch gehabt, und er müsse ihr einen Rath geben, was sie anfangen solle, eher Hesse sie ihm keine Ruhe. Da war nun eine von den Mägden, die war so dreist, dass sie hinein ging und zu dem Doctor sagte, es stehe ein junges Frauenzimmer draussen, die gar sehr krank sei. »Was ist los mit Ihr?« schnauzte er das Mädchen an, als er mit den Karten in der Hand in die Küche gerannt kam und schimpfte und wetterte wie ein Rohrsperling. »O, der schlimme Finger da, Herr Doctor ...,« mehr brachte sie nicht heraus. »Fahr Sie zur Hölle mit Ihrem schlimmen Finger und steck Sie ihn in die Fotze!« schrie jener. – »Schönsten Dank, Herr Doctor!« sagte das Mädchen und machte einen tiefen Knix. »Das war ein hurtiger Rath und ein hastiger Mann,« fügte sie dann bei sich selbst hinzu, als sie wieder aufstieg, worauf sie that, wie der Doctor gerathen hatte und dann davonfuhr, so rasch wie das Pferd laufen konnte. Inzwischen zog und klemmte es den schlimmen Finger in dem warmen Orte, in dem er sich befand, und ehe sie noch ganz zu[311] Hause war, ging der Schwär auf, so dass von der Zeit an der Finger besser zu werden anfing und endlich auch nach und nach ganz heilte.

Im darauffolgenden Sommer hatte die Mutter nun einmal gebuttert und die Butter war so schön und gelb gerathen, dass sie aussah wie Eidotter. Da sagte sie zur Tochter: »Ich denke du nimmst ein Pfund von dieser prächtigen Butter und bringst sie dem Doctor, der dir einen so guten Rath für deinen Finger gegeben hat.« Gesagt, gethan; das Mädchen fuhr mit dem Pfund Butter in die Stadt zum Doctor, und als sie mit dem Geschenk bei ihm anlangte, war es freilich nicht schwer bei ihm Zutritt zu erhalten. Er gab ihr freundlich die Hand und dankte für die Butter, indem er zugleich fragte: »Aber sage Sie mir doch, was war es denn eigentlich was Ihr fehlte; ich kann mich der Sache nicht mehr genau erinnern.« – »O, hat Er das vergessen, Herr Doctor? antwortete das Mädchen; es war der schlimme Finger, der schlimmste, der je in der Welt vorhanden gewesen ist.« – »Ja so, ja so! versetzte der Doctor, als ob er anfinge, sich der Sache zu erinnern; aber es fällt mir nicht gleich bei, welchen Rath ich Ihr ertheilt[312] habe;« und als das Mädchen ihm den gewünschten Bescheid gegeben, fügte er hinzu: »O, so war Sie das? (und es war ein hübsches, dralles Frauenzimmer), ja, das war ein guter Rath, und ich danke Ihr vielmals für die Butter; aber weder Butter noch sonst was kann mir jetzt helfen; ich habe einen viel schlimmeren Schwär als Sie damals hatte, denn er sitzt an dem elften Finger.« – »Da steh' Ihm der Himmel bei! rief das Mädchen aus; ich hab's erfahren, was ein schlimmer Finger ist. Aber kann Er denn nicht den Rath befolgen, Herr Doctor, den Er mir damals gab?« – »Ja damit ist es eine ganz eigene Sache, sagte jener; ich habe kein solches Geräth wie Sie.« – »Ich kann Ihm ja meins leihen,« versetzte das Mädchen, und der Doctor nahm das Anerbieten. auf das Bereitwilligste an. Er lieh sich ihr Geräth und benutzte es unverzüglich aufs allerbeste. »So, so, nun wird's besser am Finger, stöhnte das Mädchen; ich fühle dass der Schwär aufgegangen ist.«

Als sie nun wieder nach Hause kam, erzählte sie der Mutter von Anfang bis zu Ende wie alles gegangen war und bildete sich was darauf ein, dass sie sogar dem[313] Doctor selbst von seinem Schwär geholfen, den er am elften Finger hatte, was ihr wol kein anderer nachmachen konnte. »Der Himmel stehe uns bei! rief die Mutter aus und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, Kind, du hast ja deine Ehre verloren!« – »Was? die Ehre verloren? antwortete die Tochter; ich scheisse auf eine Ehre, die so nahe am Arsche sitzt.«

Quelle:
[Asbjørnsen, P. C.:] Norwegische Märchen und Schwänke. In: Kryptádia 1 (1883), S. 293-332, S. 310-314.
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