IX

Die Frau, die ihre eigene Schande offenbart[314] 12

Es war einmal ein junger Bauernbursche, der in die Welt hinauswollte, um sich sein Brot zu verdienen. So kam er denn zu einem Hüfner, dem er seine Dienste anbot und welchem er auch gefiel, so dass er ihn fragte, was für Lohn er verlange. Er verlange gar keinen Lohn, meinte der Bursche, und nur für den Fall bedinge er sich hundert Thaler aus, wenn die Hausfrau ihre[314] eigene Schande offenbare. Darauf ging der Bauer ohne Weiteres ein; denn so viel er wüsste, hätte er ein braves Weib, sagte er; jedoch bedachte er nicht, dass ein Narr zwei und zwei deren zehn machen. Den nächsten Tag nun fuhren sie zu Walde um Holz zu hauen; bald aber begann es den Burschen in die Füsse zu frieren, denn es war im Winter, und er hatte nur schlechte Schuhe an, wie er sagte; er wollte daher zurückkehren und sich seine mit Pelz gefütterten Schnallstiefel anziehen, die auf dem Boden ständen. Das solle er nur thun, sprach der Bauer, er hätte nichts dagegen. Zu Hause angelangt, sagte der Bursche zu der Frau, ihr Mann hätte ihm befohlen, nach Hause zu gehen und sie sowohl wie die Tochter gehörig durchzuknüllen. »Ei was, das sind Possen!« rief die Bäuerin, während die Tochter, obwol gegenwärtig, schwieg. »Ja, kommt nur mit auf den Hügel hinaus, so sollt ihr's wol hören,« erwiderte der Knecht, und als sie hinkamen, schrie er mit lauter Stimme dem Bauern zu: »Ist es nicht wahr, dass ich beide schnallen soll?« – »Ja, gewiss sollst du beide schnallen,« rief jener zurück und war ganz bös, dass er erst gefragt wurde; worauf der Knecht sich an[315] die Arbeit machte und, als er fertig war, die Stiefel mit sich nahm.

Als nun Bauer und Knecht nach verrichtetem Tagewerk heimkehrten und beim Nachtessen sassen, nahm die Bäuerin den grössten Theil ihrer Butter und legte ihn dem Knechte auf den Teller mit den Worten: »Das gebe ich dir, du weisst wofür!« Bald nachher folgte die Tochter dem Beispiel der Mutter und sprach gleichfalls: »Das geb' ich dir, du weisst wofür!« so dass der Bauer dachte, es müsse wol so Sitte und Gebrauch sein, wenn ein neuer Knecht anziehe und desshalb legte auch er einen Klecks Butter dem Burschen auf den Teller, indem er wie die andern dazu sagte: »Das geb' ich dir, du weisst wofür.« Als die Bäuerin dies hörte, rief sie ganz verblüfft: »Potz Sapperment, hat er dich auch geknallt?« – »Nun sind die hundert Thaler mein!« sprach der Bursche.[316]

Quelle:
[Asbjørnsen, P. C.:] Norwegische Märchen und Schwänke. In: Kryptádia 1 (1883), S. 293-332, S. 314-317.
Lizenz:
Kategorien: