Der schwarze Wassermann.

[128] Im September des Jahres 1868, zur Zeit des schrecklichen Hochwassers, haben zwei Bauersleute im Valser Mayensäße »auf dem Boden« in Peil den schwarzen Wassermann gesehen, welcher bei seinem Erscheinen stets schreckliche Regengüsse mit sich bringt. Wird er jedoch, so grausig er anzusehen ist, und »wüst«[128] thut, von Jemandem freundlich angeredet, ist das stets nachfolgende Unwetter ohnmächtig, zu schaden; wird er es aber nicht, giebt's großen Schaden. – Zu dieser Zeit nun, als Ende September 1868 der Regen schon mehrere Tage angehalten hatte, waren die beiden Bauersleute eben besorgt, ihre Viehhabe vom untern Stalle (den das Bergwasser wegzuschwemmen drohte) in den obern zu bringen, und ihre Alpenhütte durch Wuhrungen dem entfesselten Elemente zu entreißen. Schon drangen die Wellen und Schlammfluthen in die untern Räumlichkeiten; immer wieder mußten die Bedrängten theils das angesammelte Wasser entfernen, theils erneuerten Zudrang verhüten, bis endlich Stall und Keller wasserfrei waren, und die armen Leute todtmüde und bangen Herzens sich auf ihr Lager warfen. –

Unterdessen regnete es immerfort stärker und stärker; der Bach wurde immer größer; er riß massenhaft Geschiebe und Gerölle von den Abhängen herab, und schrecklich tosete und polterte das angeschwollene Gewässer, so daß die armen Bedrängten vor lauter Angst doch nicht ruhen konnten; sie traten vor die Hüttenthüre. – Ihr Häuschen war von der Fluth umringt. – Der Regen goß in Strömen, der Blitz »züngelte« schrecklich, des Donners Widerhall in den Bergen war furchtbar. –

Das Leuchten des Blitzes ließ sie eine schwarze Gestalt erkennen, die durch das Wasser gegen das Häuslein wadete. Und diese schwarze unheimliche Erscheinung machte bald gar sonderbare, geisterhafte Bewegungen, tanzte im Wasser, wälzte sich in der »Gudla« herum und peitschte die Wellen mit Händen und Füßen, daß sie hoch aufspritzten. Darauf sprang die Gestalt empor, klatschte mehrere Male mit den Händen, und bei jedem »Klatsch« fiel der Regen in doppelt starken Strömen nieder; – dann stieß sie ein heiseres Geschrei aus, worauf von allen Halden herum Rüfen und Erdschlipfe mit furchtbarem Getöse in's Tobel hinunterrutschten. – Mit Entsetzen gewahrten die armen Leute, daß dieser Wasser-Butz Ziegenfüße hatte. –

Auf einmal sprang die Gestalt mit einem fürchterlichen Schrei und Geheul aus dem Wasser und über den Hügel weg, worauf dicht neben dem Häuslein eine mächtige Rüfe ausbrach und in den Bach hinunterrutschte – »Das war der schwarze Wassermann«, schrieen die beiden Leutchen, und sanken vor Schrecken auf der Thürschwelle[129] zusammen. Nach einer guten Weile erst erholten sie sich wieder und schleppten sich auf ihr Lager, wo sie endlich doch, trotz Sturmesgrausen, in kurzem Schlafe Ruhe fanden nach so furchtbarer Aufregung und Bekümmerniß. –

Am Morgen, als sie sich aus dem Häuschen wagten, erblickten sie ringsum nur Wasser und Rüfen, Schutt und Gerölle. »Das hat der schwarze Wassermann gethan«, schrieen sie mit von Schmerz halberstickter Stimme, »hätten wir ihn doch nur angeredet, so wäre dies Alles nicht geschehen!«

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 128-130.
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