Die Kuh-Lene.

[140] Vor langer Zeit, als die Hexen noch am »lieben Vieh« und am Hausrathe ihre Tücke ausübten, gab es auch in St. Peter eine Hexe, ein altes Weib, die sogenannte »Kuh-Lene«.

Man erzählt von ihr Folgendes:

Einmal mußte ein Knecht über Nacht im Stalle bleiben, da eine Kuh schien kalbern zu wollen. Er ordnete das in solchem Falle Nöthige an, und legte sich dann auf die Streue. Schlafen wollte er[140] nicht und dachte in seiner einsamen Lage an alles Mögliche in der Welt, auch an die »Kuh-Lene«, und das so lebhaft, als wünschte er Dieselbe herbei. –

Plötzlich wurde an der Stallthüre »g'rodlet und g'rupft«, gleich darnach die Thüre selbst geöffnet, und – die Lene trat wirklich ein, eine eigenthümlich aussehende Laterne in der Hand. Sie stellte, ohne den Knecht zu bemerken, die Laterne ab, kettete die schönste Kuh los, und führte Dieselbe in den Stallgang. – Auf der Stelle fiel die Kuh zu Boden.

Wie ein Metzger von Geschäft, der ein Rind zerlegt, so zertheilte auch Lene die Kuh ordnungsgemäß in unzählige Stücke, dann nahm sie ein Stücklein von den Eingeweiden und steckte es zu sich. Hierauf legte sie die Stücke wieder so zusammen, wie sie zusammen gehörten, nähte die Haut darüber, und lange ging es nicht, so stand die schöne Kuh da, wie zuvor, nur blickte sie traurig umher. –

Die Lene aber sagte, indem sie zur Thüre hinaus ging: »Nie würd die Chua wieder besser, as wä ma ra n'a Stranga Stuppa, wo es siebejährigs Maitji g'spunna hät, um d'Hora umzwingt.« – Der Knecht merkte sich diese Worte, und holte, da die Kuh am Morgen gar nicht aufstehen und nicht fressen wollte, Dasjenige, was die Lene als Heilmittel ausgeplaudert hatte, und am Abend war die Kuh völlig munter und so gesund wie vorher.

Der Bauer aber war so böse auf die Lene, daß Die von da an schlecht leben hatte. Schon Vielen hatte sie etwas Leides gethan. Einem holte sie, er wußte nicht wie, die Eier unter der Henne weg, einem Andern verderbte sie ein Kalb, einem Dritten verhexte sie den Hund, und es kamen viele Klagen gegen sie ein, – so daß die Obrigkeit es für gut fand, sie fangen und in's Gefängniß »werfen« zu lassen.

Oben im Rathshause war eine »Rumpelkammer«, in die kam die Lene. Um der Hexe die Macht zu nehmen, verklebte man das Schlüsselloch mit weichem Brode.

Sie wurde nun »schmal« gehalten und torquirirt, wollte aber Nichts bekennen, bis der Richter auf eine List verfiel, ihr das Gedächtniß zu »stärken«. – Er lietz nämlich den Landweibel als »Teufel« verkleiden, und Der mußte zur Geisterstunde über eine Leiter hinauf[141] vor das Fenster der Lene. – Die arme Hexe, welche die zottige Gestalt mit den Ziegenbockshörnern erblickte, die grusig »laid« that und sie aufforderte, zu bekennen, sonst müsse sie beim nächsten Mondwechsel mit ihm zur Hölle, mochte die Macht des Bösen zu wohl kennen, – am Morgen bekannte sie Alles und Jedes, auch, daß sie sich verwandeln könne, und erzählte unter Anderm:

Als Katze sei sie einmal von einigen Schützen gefangen worden, die sie in einen Sack gebunden hätten, um sie zu erschießen; in der Gestalt einer Maus habe sie aber den Sack durchbissen und sei entflohen; die Jäger hätten nunmehr in den leeren Sack geschossen, was ihr, zuzusehen, großen Spaß gemacht. –

So sehr hatte der Lene der Besuch und die Drohung des vermeinten Teufels zugesetzt, daß sie auch bekannte, welcherweise ihr alle und jede Macht könne genommen werden; sie sagte mehr aus, als der Richter nur verlangte. –

Sie soll die letzte Hexe in Schanvigg gewesen sein!

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 140-142.
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