Die weiße Hexe.

[140] Eines Abends erst spät verließen die Männer des Dorfes Peist die Gemeindeversammlung. Einige Burschen gingen aber noch nicht Haus zu, sondern »stürmten« auf den Gassen herum; Einer von Diesen erblickte im Umsehen oberhalb des Dorfes in einem Stall ein Licht. Es nahm ihn Wunder, wer dort oben sei, wo sonst gar nie »g'liechtet« werde, und berieth sich mit den Andern, was das sei und was sie nun thun wollten. – Sie wären gerne hinauf gegangen und wagten es dennoch nicht, und doch sollte Einer hinauf! –

Es wurde das Loos gezogen und Dasselbe traf ihrer Zwei, die gingen nun hinauf.

Sie kamen zum Stalle und schauten hinein, da erlosch plötzlich das Licht, statt dessen stand eine riesengroße, weißgekleidete Jungfrau vor ihnen.

Voll Schrecken liefen die Zwei dem Dorfe zu, die Jungfrau lautlos ihnen nach, bis ganz nahe an die Häuser.

Auf dem Wege glaubten Beide, es sei ihnen Sand in die Augen gestreut worden, und von Stund an waren Beide am linken Auge blind, und blieben es.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 140.
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