Die dreiköpfige Hexe.

[144] Es wird in Puschlav von einer ganz besonders berüchtigten Hexe erzählt, welche, bald in eine Katze, bald in eine Ziege, bald in einen Bären verwandelt, viel Unheil stiftete.

So erschien sie oft in Gestalt eines Bären am linken Ufer des Poschiavino. Die Jäger eilten herbei, den vermeintlichen Feind ihrer Heerden zu erlegen. Ihre sonst bewährten Büchsen versagten jedoch immer, dann richtete sich der unheimliche Bär auf den Hinterfüßen empor und verspottete die ungeschickten Schützen durch allerlei drollige Geberden.

Endlich fand sich aber ein Jäger, der im Rufe stand, etwas mehr zu wissen, als alle übrigen Menschenkinder. Dieser legte mit geheimnißvoller Miene einige »Brodbrosmen« auf die Zündpfanne. – Der Schuß ging los, und der Bär zog sich, Blutspuren hinter sich lassend, hinkend in den Wald zurück.

Da die Hexe nach diesem Vorgange längere Zeit ihr Haus nicht verließ, wußten die Jäger und viele Andere, was sie von diesem Bären zu denken hatten.[144]

Als das Uebermaß ihrer Uebelthaten voll war, gerieth diese Hexe in die Hände des Richters. Es wurden viele schwere Anklagen gegen sie vorgebracht; allein der »Bollo« (Teufelsmal), womit der Satan die in seinen Dienst Getretenen bezeichnete, konnte nirgends an ihrem Leibe entdeckt werden. – Da versteckte sich der Gerichtsdiener in die Nähe der finstern Hexenkammer, wartete bis daß die aus dem Verhöre zurückkehrende Hexe in Dieselbe zurückgeführt wurde, dann gab er sich mit verstellter, hohler Stimme für den Bösen selbst aus, versprach der Gefangenen seinen Beistand, und sagte ihr im Laufe des Gespräches, er erinnere sich nicht mehr recht, wo er sie gezeichnet habe. – Die arme Hexe ließ sich täuschen, und gab an, wo der »Bollo« sich befinde. Der Gerichtsdiener eilte mit der Kunde »brühwarm« in den Gerichtssaal. – Der »Bollo« fand sich vor, war aber kaum mehr sichtbar. – Nun war der Prozeß spruchreif: die Hexe wurde zum Tode verurtheilt. –

Auf dem Richtplatze erschienen zum Entsetzen der Zuschauer neben dem Kopfe der Hexe plötzlich noch zwei andere, gleiche Köpfe, einer auf der rechten, der andere auf der linken Seite. Der verblüffte Scharfrichter, der sein Schwert bereits gezogen, wendete sich mit der Frage, welchen von den drei Köpfen er abschlagen solle, an den Podesta. Der fragte den anwesenden Geistlichen, und dieser Letztere gab den Rath: »den mittelsten« vom Rumpfe zu trennen. – So geschah es. – Was aus den zwei andern Köpfen geworden ist, meldet die Sage nicht. – Als Thatsache wird jedoch erzählt, das Haus, welches die Hexe bewohnt hatte, sei drei Male abgebrannt.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 144-145.
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