Das Todtenvolk.

[78] Verwandt mit dem Nachtvolke ist das Todtenvolk, von dem noch in mehreren Thälern Bündens erzählt wird.

Es soll Einem Nachts um die Zwölfe ein großer Leichenzug begegnen, voran die Träger mit dem Sarge. – Der Trauerzug beginnt bei dem Hause der Person, die bald sterben wird, und führt bis auf den Kirchhof, und dieses nächtliche Leichengefolge ist das Todtenvolk.

Zuweilen begegnet man dem Todtenvolke auch abseits von Häusern, auf der Weite, und am Ende des Zuges sieht man abgesondert und ganz allein in zweifarbigem Kleide eine noch lebende Person einhergehen, die zuerst im nächsten Orte sterben muß.

Sagen vom Todtenvolk gehen vorzugsweise in den ehemaligen X Gerichten.


Der Sage vom schweren Kinde steht die schöne, poetische Bearbeitung unsers Bündnerischen Sagendichters A. Flugi zur Seite, – diese Sage geht auch am Harz. – Einen Korn-Engel, theils segnend, theils verderbenbringend, kennt Thüringen, ein Korn-Kind England; Kirnbaby ist dort die letzte Garbe oder die daraus gefertigte Puppe. –

[78] Auch das Churer »schwere Kind« ist eine Personifikation des Sommersegens oder der schönen Jahreszeit in ihrer Fülle und Fruchtbarkeit, ihrem Lichte und Leben; die Sagen von dem Kornkinde sind nur Varianten des großen Jahresmythus, der in allen Mythologienauftritt, und das Kommen und Schwinden des Sommers und seiner Gaben zum Gegenstande hat.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 78-79.
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