4. Das Nachtvolk in Peist.

[33] Die vor Zeiten in Peist das Todtenvolk stark umging, hat auch das Nachtvolk dort viel zu schaffen gehabt.

So lebte daselbst einst, und das vor nicht gar vielen Jahren, ein Mann, Namens Chr. Brunold, Gemeinderathsschreiber, und der war ein äußerst thätiger und gewissenhafter Beamter.

Keiner hatte so schöne Tage, wie er und doch schaute er immer so verdrießlich drein; warum, das konnte Niemand deuten.

Da kam einmal ein »G'spiel« (Jugendgenosse) aus der Fremde heim, und zu ihm auf Besuch; und dem offenbarte er, daß er mit dem Nachtvolke gehen müsse, und das sei ihm schon in der Wiege »geprofetet« (profezeit) worden von der »Gotte« (Pathin), und die habe mehr können und gewußt, als andere Leute: Und Alle die, welche im Nachtvolke seien, müssen von drei bösen Dingen: »schlecht leben, eines ›gähen‹ (plötzlichen) Todes sterben, oder mit dem Nachtvolke laufen« – Eines wählen; Er habe nun das Mitlaufen gewählt.

Der »G'spiele« hieß ihn, gutes Muthes zu sein, und versprach, ihm zu helfen, wenn er ihm sage, wann er wieder mitmüsse, und wo das Nachtvolk vorbeiziehe; auch er könne Etwas mehr, als Andere!

Brunold sagte ihm Zeit und Ort.

Am bestimmten Abende legte der »G'spiele« sich auf die Lauer, und hatte eine starke Latte von Haselnußholz mit einem selbstgewachsenen Haken am einen Ende, zurecht gelegt.

So wartete er bis Mitternacht unter dem Stalldache des Brunold, durfte aber nicht von der Stelle (denn wer das Dachtrauf überschreitet, sieht kein Gespenst, oder hat keine Kraft gegen Geister.)[34]

Das Nachtvolk kam richtig. Wie er Dasselbe erblickte, nahm er die Latte mit dem Hacken, und zog den Brunold damit am Arm unter das Dachtrauf.

Von der Zeit an mußte Brunold nicht mehr mit dem Nachtvolke gehen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 33-35.
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