Die Zarewna löst Rätsel.

[103] Es ist schon lange her, da war einmal ein alter Mann, der hatte drei Söhne. Der jüngste war Iwan der Dummkopf. Damals lebte auch ein Zar, der hatte eine Tochter und die sagte einmal zu ihrem Vater:

»Väterchen, ich will Rätsel auflösen. Wer mir ein Rätsel aufgibt, das ich erraten kann, dem schlagen wir den Kopf ab. Wessen Rätsel aber so schwer ist, daß ich es nicht raten kann, den nehme ich zum Mann.«

Sofort ließ der Zar einen Aufruf durchs ganze Land gehen, und es kamen viele Bewerber, aber alle wurden geköpft, denn die Zarewna erriet ihre Rätsel. Iwan Dummkopf sagte zu seinem Vater:

»Väterchen, segne mich, ich gehe zum Zaren Rätsel aufgeben!«

»Dummkopf, was fällt dir ein? Bessere Leute als du sind dort geköpft worden.«

»Segnest du mich, so gehe ich, segnest du mich nicht, so gehe ich doch«, sagte Iwan.

Da segnete ihn der Vater und der Dummkopf machte sich auf den Weg. Nach einer Weile sah er in einem Kornfeld am Wege ein Pferd stehen, [104] er jagte es mit seiner Peitsche aus dem Felde und sprach dabei: »Das ist ein Rätsel.«

Er ritt weiter, da fand er eine Schlange, packte sie und schlug sie mit seiner Lanze tot. »Das ist ein zweites Rätsel«, dachte er.

Als er zum Zarenhof kam, wurde er vorgelassen und aufgefordert, Rätsel aufzugeben. Da sagte er:

»Auf meiner Reise hieher sah ich Gutes, im Guten war Gutes, da nahm ich mein Gutes und jagte Gutes aus dem Guten.«

Die Zarewna nahm ihr Buch und schaute nach, aber sie fand des Rätsels Lösung nicht und sagte zu ihrem Vater:

»Väterchen, ich habe heute Kopfweh, meine Gedanken sind ganz wirr. Ich werde das Rätsel morgen auflösen.«

Man gab ihr Zeit bis zum nächsten Morgen und Iwan Dummkopf erhielt inzwischen ein Zimmer angewiesen. Da saß er also am Abend und rauchte ein Pfeifchen.

Die Zarewna wählte unter ihren Dienerinnen die verläßlichste aus und schickte sie zu Iwan dem Dummkopf und sagte:

»Geh zu ihm und frag ihn, was für ein Rätsel das war. Versprich ihm Gold und Silber, soviel er für die Auflösung haben will.«

Das Mädchen ging und klopfte an. Iwan Dummkopf öffnete seine Türe, da trat sie ein und fragte nach des Rätsels Lösung und versprach ihm Silber und Gold. Iwan antwortete ihr aber:

[105] »Wozu brauche ich Geld? Ich habe selbst viel. Will die Prinzessin die ganze Nacht bei mir in meinem Zimmer wachend zubringen, dann löse ich ihr das Rätsel auf.«

Die Zarewna war einverstanden und blieb ohne zu schlafen die ganze Nacht in seinem Zimmer. Am Morgen sagte ihr Iwan Dummkopf, daß er das Pferd aus dem Kornfeld gejagt hatte.

So löste die Zarewna das erste Rätsel und Iwan gab ein zweites auf:

»Ich reiste zu euch, da sah ich Böses am Wege. Ich nahm Böses, schlug es mit Bösem, da starb Böses durch Böses.«

Die Zarewna nahm wieder ihr Buch, konnte aber das Rätsel nicht lösen. Sie bat aufs neue um Aufschub bis zum nächsten Morgen und schickte abends ihre Dienerin zu Iwan Dummkopf.

»Versprich ihm wieder Geld.«

»Zu was brauche ich Geld! Ich habe selbst viel«, entgegnete Iwan der Dienerin; »wenn aber die Zarewna die ganze Nacht im Zimmer bei mir warten will, ohne zu schlafen, dann sage ich es ihr.«

Die Zarewna willigte ein und schlief wieder die ganze Nacht nicht, aber am nächsten Morgen löste sie das Rätsel auf.

Das dritte Rätsel gab Iwan Dummkopf nicht so ohne weiteres auf, sondern ließ erst alle Senatoren zusammenrufen. Dann erst gab er sein Rätsel auf, dessen Kern die Art und Weise war, durch die die Zarewna die ersten zwei erraten hatte.

[106] Die Zarewna erriet es aber wieder nicht und schickte ihre Dienerin ein drittesmal zu ihm. Sie versprach ihm Silber und Gold und Geleit nach Hause, aber das genügte ihm nicht, sondern die Zarewna mußte wieder eine Nacht bei ihm wachen. Als er ihr dann des Rätsels Lösung sagte, konnte sie doch nicht vor allen Leuten sagen, wie sie es erraten hatte, deshalb gab sie zur Antwort:

»Ich weiß es nicht.«

Daraufhin wurde ein fröhliches Fest und eine Hochzeit gefeiert. Iwan Dummkopf nahm die Zarewna zur Frau und sie lebten und gediehen und leben noch heute.

Quelle:
Afanaßjew, A. N.: Russische Volksmärchen. Wien: Ludwig, 1910, S. 103-107.
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