[234] XIII. Die drei Hunde.

[234] Aus Westgothland.


Es war einmal ein König, der zog aus, und verlobte sich mit einer schönen Königin. Nachdem sie einige Zeit vermählt waren, kam die Königin in die Wochen und gebar eine Tochter. Da herrschte große Freude in Stadt und Land, denn Alle wollten dem Könige wohl, wegen seiner Sanftmuth und Gerechtigkeit. Als aber das Kind geboren war, trat ein altes Weib herein; sie hatte ein seltsames Aussehen, und Keiner wußte, woher sie kam, oder wohin sie ging. Das alte Weib wahrsagte dem Königskinde, und sagte, daß es nicht unter freien Himmel kommen dürfe, bevor es volle fünf Winter zähle, sonst würde es Gefahr laufen, von einem Bergtroll entführt zu werden. Als dies der König vernahm, behielt er die Worte des Weibes im Gedächtniß, und stellte Wächter auf, welche die junge Prinzessin bewachen sollten, daß sie nicht unter freien Himmel komme.

Einige Zeit darauf wurde die Königin wieder schwanger, und gebar eine Tochter. Da herrschte neue Freude im ganzen Reiche; die alte Wahrsagerin aber fand sich, wie früher ein, und warnte den König, daß die Prinzessin[235] nicht unter freien Himmel komme, bis sie volle fünf Winter zähle. Es verstrich wieder einige Zeit, und die Königin gebar ihre dritte Tochter. Das alte Weib aber kam das dritte Mal, und wahrsagte der Königstochter, wie sie ihren Schwestern gethan.

Da ward dem Könige schlimm zu Muthe, denn er liebte seine Kinder über Alles in der Welt. Er gab daher strengen Befehl, daß die drei Prinzessinnen immer unter Dach gehalten werden sollten, nebstdem achtete er sehr darauf, daß Keiner sich erkühne, gegen seinen Willen hierin zu handeln. Es verstrich eine geraume Zeit, und die Königskinder wuchsen zu den schönsten Jungfrauen heran, von denen Jedermann nah und fern erzählte. Da brach im Lande Krieg aus, so daß der König, ihr Vater fortzog. Eines Tages, während er im Kriege war, saßen die drei Prinzessinnen am Windauge, und sahen hinaus, wie die Sonne auf die kleinen Blumen im Krautgarten schien. Sie fühlten jetzt ein starkes Verlangen, mit den schönen Blumen zu spielen, und baten ihre Wächter um Erlaubniß, eine kleine Weile im Garten umherzuwandeln. Die Wächter wollten hierein nicht willigen, denn sie fürchteten den Zorn des Königs; die Königstöchter aber baten so schön, daß die Männer nicht widerstehen konnten, und ihnen ihren Willen ließen.

Die Prinzessinnen freuten sich nun sehr, und gingen in den Garten hinaus. Ihr Spaziergang aber war nicht lang, denn sie waren kaum unter freien Himmel gekommen, als sich da plötzlich eine Wolke senkte, die sie fortführte[236] und alle Versuche, sie wieder zu finden, waren vergeblich, obgleich man in allen Weltgegenden suchte.

Es herrschten nun große Trauer und Jammer im ganzen Reiche, und man kann wol denken, daß der König auch nicht sehr fröhlich war, als er heim kam, und fragte, wie sich Alles zugetragen habe. Wie aber das Sprichwort sagt: »Geschehene Dinge hat noch Niemand geändert;« so mußte er es so sein lassen, wie es war. Da nun kein anderer Rath zu finden war, ließ der König ein Gebot im ganzen Reiche ergehen, daß Derjenige, welcher seine drei Töchter aus der Gewalt des Bergtrolls befreien könne, eine von ihnen zur Gemahlin und mit ihr das halbe Königreich erhalten solle. Als sich dies über die Länder verbreitete, zogen viele Jünglinge zu Pferde und mit Gefolge aus, die drei Prinzessinnen aufzusuchen.

Am Hof des Königs waren zwei fremde Prinzen, die ebenfalls fortzogen, um zu versuchen, ob ihnen das Glück beistehen wolle. Sie rüsteten sich auf das Allerbeste mit Panzer und vortrefflichen Waffen, und prahlten, daß sie nicht zurückkommen wollten, ohne daß ihr Unternehmen glücklich ausgefallen wäre.

Wir lassen nun die Königssöhne umherreisen, und lange suchen, und wenden uns zu einem anderen Orte. Da ist zu erzählen, wie eine arme Witwe weit, weit im wilden Walde wohnte. Sie hatte einen einzigen Sohn, der täglich mit den Gänsen seiner Mutter auf die Weide ging. Während der Knabe so in der Einöde umherwanderte, schnitt er sich eine Pfeife, und hatte seine Freude, darauf zu spielen; er spielte aber so schön, daß Jeder, der es hörte,[237] in seinem Inneren zuletzt vergnügt wurde. Sonst war der Knabe groß gewachsen, und stark und muthig, so daß er sich nicht leicht vor irgend Etwas fürchtete.

Es ereignete sich einmal, daß der Hirtenknabe im Walde saß, und auf seiner Pfeife spielte, während seine drei Gänse umhergingen, und sich zwischen den Fichtenwurzeln zusammenrotteten. Da kam ein alter, alter Mann gegangen, mit einem Barte, der lang und grau war, so daß er bis an den Gürtel reichte. Der Greis hatte einen Hund mit sich, der sehr groß und stark war. Als nun der Knabe den großen Hund sah, dachte er bei sich: »Wohl dem, der einen solchen Hund zum Gesellschafter hier in der Einöde hat, mit dem hätte es keine Noth.« Als dies der Greis errieth, sprach er: »Ich bin eben deßhalb hiehergekommen, um meinen Hund gegen eine von deinen Gänsen umzutauschen.« Der Knabe war sogleich bereit, und ging den Handel ein; er bekam den großen Hund, und gab dafür seine graue Gans. Hierauf ging der Greis seines Weges. Beim Abschiede aber sagte er: »Ich denke wol, daß du mit unserem Tauschhandel zufrieden sein wirst, denn mit diesem Hunde ist es nicht wie mit anderen Hunden. Er heißt Håll1 und was du ihm immer fassen heißest, packt er, wäre es auch der wildeste Troll.« So sprechend schieden sie wieder, und der Knabe glaubte, daß das Glück ihm diesmal nicht entgegen gewesen.

Als es Abend wurde, rief der Knabe seinen Hund, und trieb die Gänse aus dem Walde heim. Als nun die[238] Alte erfuhr, daß ihr Sohn die graue Gans für einen Hund umgetauscht, wurde sie sehr erzürnt, und fiel über den Knaben her mit Hieben und Schlägen. Der Hirtenknabe bat sie, sich zufrieden zu geben; es half aber nichts, sondern je länger es dauerte, desto mehr vergrößerte sich der Zorn der Alten. Als er nun keinen anderen Rath mehr wußte, rief der Knabe seinen Hund, und sagte: »Pack' an!« Sogleich lief der Hund hin, faßte das alte Weib, und hielt es fest, so daß es sich nicht zu bewegen vermochte; er that demselben aber übrigens keinen Schaden. Das Weib mußte nun ihrem Sohne versprechen, sich mit dem zufrieden zu geben, was geschehen sei, und sie wurden wieder miteinander versöhnt.

Die Alte aber glaubte, daß sie einen großen Schaden erlitten, als sie die fette Gans verloren.

Den andern Tag ging der Knabe wieder mit seinem Hunde und mit den übrigen beiden Gänsen in den Wald. Als er hingekommen, setzte er sich nieder, und spielte auf seiner Pfeife, wie er es gewohnt war, und der Hund tanzte dazu so kunstreich, daß es sehr wunderbar anzusehen war. Während dem kam der alte Graubart wieder aus dem Walde gegangen, und hatte einen anderen Hund mit sich, der wie der erste war. Als der Knabe das Thier sah, dachte er bei sich: »Wohl dem, der diesen Hund zum Gesellschafter in der Einöde hat, für den gäbe es keine Noth!« Als dies der Greis errieth, sagte er: »Ich bin ja nur deßhalb hieher gekommen, um meinen Hund gegen eine von deinen Gänsen umzutauschen.« Der Knabe besann sich nicht lange, sondern ging den Handel ein; er erhielt[239] den großen Hund, und gab dafür seine Gans. Hierauf ging der Graubart seines Weges. Aber beim Abschiede sagte er: »Ich denke wol, daß du mit unserem Tauschhandel zufrieden sein wirst, denn es ist mit diesem Hunde nicht, wie mit anderen Hunden. Er heißt Slit2, und wen du ihn immer zerreißen heißest, den zerreißt er in Stücke, wäre es auch der wildeste Troll.« Nachdem er so gesprochen, schieden sie wieder. Der Knabe aber freute sich, und dachte, daß er einen guten Tausch gethan, obwol er wußte, daß sich seine alte Mutter mit dem Handel nicht zufrieden geben werde.

Als es nun gegen Abend ging, und der Knabe heim kam, war die Alte nicht weniger erzürnt, als Tags vorher. Diesmal wagte sie es gleichwol nicht, ihren Sohn zu schlagen, denn sie fürchtete sich vor seinen großen Hunden. Wie es aber zu gehen pflegt, daß Weiber, wenn sie lange gescholten haben, zuletzt duldsam werden, so ging es auch jetzt. Der Knabe und seine Mutter waren bald wieder versöhnt; die Alte aber dachte bei sich, daß sie einen Schaden erlitten, der nie gut gemacht werden könne.

Den dritten Tag ging der Knabe wieder mit der noch übrigen Gans, und seinen beiden Hunden in den Wald. Wohlgemuth setzte er sich auf den Strunk eines Stammes, und spielte auf der Pfeife, wie es seine Gewohnheit war; die Hunde aber tanzten so künstlich, daß es recht lustig anzusehen war.

Als der Knabe so recht behaglich da saß, und dem[240] Spiele zusah, kam der alte Graubart wieder aus dem Walde gegangen; diesmal hatte er einen dritten Hund mit sich, der eben so groß wie die anderen war. Wie der Knabe das schöne Thier sah, konnte er nicht unterlassen, bei sich abermals zu denken: »Wol dem, der den Hund zum Gesellschafter in der Einöde hätte, der würde keine Noth haben.« Schnell nahm der Greis das Wort: »Deßwegen bin ich ja hieher gekommen, um dir meinen Hund zu verkaufen; denn ich kann wol denken, daß du ihn gerne besitzen möchtest.« Der Knabe war sogleich bereit, und ging den Handel ein; er erhielt den großen Hund, und gab dafür seine letzte Gans. Hierauf ging der Greis seines Weges. Beim Abschiede aber sagte er: »Ich denke wol, daß du mit unserem Tauschhandel zufrieden sein wirst; denn es ist mit diesem Hunde nicht, wie mit andern Hunden. Er heißt Ly3, und hat ein so feines Gehör, daß er Alles vernimmt, was geschieht, wäre es auch viele Meilen entfernt. Ja er hört, wie die Bäume wachsen, und das Gras aus der Erde keimt.« So sprach er, und sie schieden gar freundschaftlich von einander. Der Knabe aber war frohen Sinnes, und meinte, daß er sich nun vor nichts in der Welt fürchten dürfe.

Als der Abend kam, und der Hirtenknabe zu den Seinen heimwanderte, wurde seine Mutter sehr betrübt, daß ihr Sohn ihr ganzes Eigenthum verkauft hatte. Der Knabe aber bat sie, nicht traurig zu sein, er wolle schon sorgen, daß sie keinen Mangel leiden solle. Wie er nun so seine[241] Worte zu wählen wußte, wurde die Alte wieder fröhlich, und dachte, daß er ebenso gut, als männlich gesprochen habe. Als aber der Tag graute, zog der Knabe mit seinen Hunden auf die Jagd, und als der Abend kam, kehrte er wieder mit so viel Wildpret, als er zu tragen vermochte. Er jagte so einige Zeit fort, bis daß die Speisekammer der Alten reichlich mit Nahrung und allem Nothwendigen versehen war. Da nahm er von seiner Mutter einen herzlichen Abschied, rief seine Hunde, und sagte, daß er in die Welt hinauswandern, und versuchen wolle, was für ein Glück ihm beschieden sei.

Der Knabe wanderte nun über Berge und wilde Steige, und kam tief in den dunklen Wald. Dort begegnete er dem Graubart, von dem ich erst gesprochen. Als sie sich wieder trafen, freute sich der Knabe sehr, und grüßte: »Guten Tag, Vater! Dank für den letzten Dienst, als wir uns begegneten.« Der Greis erwiederte den Gruß und fragte: »Welchen Weg denkst du zu nehmen?« Der Knabe entgegnete: »Ich gehe in die Welt hinaus, um zu sehen, wie mein Schicksal sich wende.« Da sagte der Greis: »Geh den Weg, der dich zum Königshofe führt, dort wird sich dein Glück ändern.« Hierauf schieden sie von einander. Der Knabe aber gehorchte dem Rathe des Graubarts, und wanderte fort, ohne zu rasten. Wo er immer zu einer Herberge kam, spielte er auf seiner Pfeife, und ließ seine Hunde tanzen, und da fehlte es ihm nie an Speise und Herberge, und an dem, was er sonst noch bedurfte.

Nachdem der Knabe wol lange gereis't war, gelangte er zuletzt zu einer großen Stadt, wo viele Leute in den[242] Gassen hin und herströmten. Der Junge forschte verwundert, was dies zu bedeuten habe, und kam zum Platze hin, wo das Aufgebot des Königs verkündet wurde; nämlich daß Derjenige, welcher die drei Prinzessinnen aus der Gewalt des Bergtrolls befreien könne, eine von ihnen, und dazu das halbe Land und Reich des Königs gewinnen solle.

Nun konnte der Knabe wol verstehen, was der Graubart mit seiner Zusage gemeint hatte. Er rief daher seine Hunde, und ging weiter, bis er zum Königshof kam. Auf dem Königshofe aber herrschte nur Trauer und Jammer; und zwar seit dem Tage, als die Königstöchter verschwunden waren; und der König und die Königin trauerten am allermeisten. Der Junge ging in die Burgstube hinauf, und bat, vor dem König spielen und seine Hunde zeigen zu dürfen. Dies gefiel den Hofleuten, indem sie dachten, er könne den Kummer ihres Herrn zerstreuen. Der Junge wurde daher hineingeführt, und zeigte seine Künste vor. Als aber der König sein Spiel hörte, und sah, wie die Hunde so künstlich tanzten, wurde er fröhlichen Sinnes, wie ihn Niemand seit sieben vollen Jahren gesehen hatte, seit dem Tage, als er seine Töchter verloren.

Als der Tanz zu Ende war, fragte der König, welchen Lohn der Junge haben wolle, da er ihnen Allen so viel Vergnügen und Erlustigung verschafft habe. Der Knabe antwortete: »Herr und König! Ich bin nicht hieher gekommen, Gut und Geld zu gewinnen. Ich bitte aber um etwas Anderes, daß du mir nämlich Erlaubniß ertheilst, fortzuziehen, um die drei Prinzessinnen aufzusuchen, die in der Gewalt des Bergtrolls sind.« Als dies[243] der König hörte, ward er traurig, und sagte: »Denke ja nicht, meine Töchter befreien zu können; dies ist unsicher, und ist Solchen mißglückt, die weit besser als du waren. Sollte es aber wem immer gelingen, die Prinzessinnen zu befreien, so werde ich mich wol hüten, mein Wort zu brechen.« Dieses schien dem Jungen männlich und königlich gesprochen. Er nahm vom Könige Abschied, und begab sich auf den Weg. Er setzte sich aber in den Kopf, sich nicht eher Rast und Ruhe zu gönnen, bis er gefunden, was er suchte.

Der Knabe reis'te nun durch viele, und große Länder, ohne daß ihm etwas Merkwürdiges begegnete. Wo er immer hinging, folgten seine Hunde mit; Ly sprang voraus, und lauschte, ob irgend Etwas in der Nähe zu vernehmen wäre. Håll zog den Speisesack, und Slit, welcher der stärkste war, trug seinen Hausherrn, wenn er müde vom Wandern wurde. Es ereignete sich eines Tages, daß Ly hastig zu seinem Herrn gesprungen kam, und erzählte, daß er in der Nähe des hohen Berges vernommen, wie die Königstochter darin saß, und spann. Der Riese selbst aber sei nicht daheim. Da freute sich der Junge sehr, und eilte zum Berge, seine drei Hunde folgten mit. Als sie hingekommen sagte Ly: »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Der Riese ist nur zehn Meilen von hier, und ich höre schon, wie die Goldhufe seines Pferdes auf den Steinen klingen.« Der Junge befahl nun seinen Hunden, daß sie die Thür des Berges einschlagen sollten, was auch geschah. Als er in den Berg hineinkam, gewahrte er eine schöne Jungfrau, die im Saale des Berges saß, und[244] Goldfäden auf einer Goldspindel drehte. Der Knabe ging hin und grüßte das schöne Mädchen. Da verwunderte sich die Königstochter und sagte: »Wer bist du? Wie wagst du es in den Saal des Riesen hieherzukommen? Seit sieben vollen Jahren, daß ich im Berge sitze, sah ich noch nie einen Menschen.« Sie fügte hinzu: »Um Gotteswillen eile hinweg, ehe der Troll heim kommt, sonst gilt es dein Leben.« Der Junge aber fürchtete sich nicht, sondern meinte, daß er wol die Ankunft des Riesen erwarten wolle.

Während sie noch hierüber zusammen sprachen, kam der Riese auf seinem goldbehuften Füllen geritten. Als er nun sah, daß die Thür offen war, wurde er sehr erzürnt, und schrie, daß der ganze Berg erbebte. Er sagte: »Wer ist es, der meine Bergthür zerbrochen?« Der Knabe antwortete keck: »Das habe ich gethan, und nun will ich auch dich vernichten. Håll! pack ihn! Slit und Ly! zerreißt ihn in viele tausend Stücke.« Kaum waren die Worte gesprochen, so stürzten die Hunde hervor, warfen sich über den Riesen, und zerrissen ihn in unzählige Stücke. Da freute sich die Prinzessin über die Maßen, und sagte: »Gott sei gelobt, nun bin ich befreit!« Sie fiel dem Jüngling um den Hals, und küßte ihn. Der Knabe aber wollte nicht länger dort verweilen, sondern sattelte das Füllen des Riesen, legte darauf alle Habe und alles Gold, was er im Berge fand, und zog eilig mit der schönen Königstochter fort.

Sie ritten nun einen weiten Weg zusammen, und der Junge diente der Prinzessin mit züchtigem und zartem[245] Sinn, wie es sich gegen eine vornehme Jungfrau ziemte. Da ereignete es sich eines Tages, daß Ly, der voraus sprang, um zu spähen, hastig zu seinem Herrn gelaufen kam, und erzählte, daß er bei dem hohen Berge gewesen, und gehört, wie eine andere Königstochter darin saß, und Goldgarn abwickelte. Der Riese aber selbst sei nicht daheim. Mit diesen Nachrichten war der Junge zufrieden, und eilte zum Berge; seine treuen Hunde folgten mit. Als sie nun hingekommen waren, sagte Ly: »Wir haben keine Zeit zu verlieren, der Riese ist nur acht Meilen entfernt, und ich höre schon, wie die Goldhufe seines Pferdes auf den Steinen klingen.« Sogleich gab der Junge seinen Hunden Befehl, daß sie die Bergthür einschlagen sollten, was auch geschah. Als er nun in den Berg hineinkam, sah er eine schöne Jungfrau, die im Bergsaale saß, und goldenes Garn auf einer goldenen Winde abwickelte. Der Knabe ging hin, und grüßte die schöne Jungfrau. Da verwunderte sich sehr die Königstochter, und sagte: »Wer bist du, der es wagt, in den Saal des Riesen hieher zu kommen? Seit sieben vollen Jahren, die ich im Berge sitze, sah ich noch nie einen Menschen.« Sie fügte hinzu: »Um Gotteswillen eile hinweg, ehe der Troll kommt, sonst gilt es dein Leben.« Der Junge aber sprach von seinem Unternehmen, und meinte, daß er wol des Riesen Heimkunft erwarten dürfe.

Während sie nun miteinander sprachen, kam der Riese auf einem goldbehuften Zelter geritten, und blieb vor dem Berge stehen. Als er nun sah, daß die Thüre offen war, wurde er sehr erzürnt, und schrie, so daß der[246] Berg bis in's Innerste erbebte. Er sagte: »Wer ist es, der meine Bergthür zerbrochen?« Der Knabe antwortete dreist: »Ich habe es gethan, und nun will ich dich vernichten. Håll pack ihn! Slit und Ly! reißt ihn in viele tausend Stücke.« Sogleich stürzten die Hunde hervor, warfen sich auf den Riesen, und zerrissen ihn in so viele Stücke, als Laub in der Herbstzeit fällt. Da freute sich die Königstochter über die Maßen, und rief aus: »Gott sei gelobt! Nun bin ich befreit!« Sie fiel da dem Jungen an die Brust, und küßte ihn. Der Knabe aber führte die Prinzessin zu ihrer Schwester, und man kann wol denken, welche Freude es war, als sie sich wieder fanden. Dann nahm der Junge alle Habe, die im Bergsaale war, legte sie auf das goldbehufte Füllen des Riesen, und zog mit den zwei Königstöchtern fort.

Sie reis'ten nun wieder einen weiten Weg zusammen, und der Junge diente den Prinzessinnen in Zucht und Ehren, wie es sich gegen vornehme Jungfrauen ziemt. Da ereignete es sich eines Tages, daß Ly, welcher voraus sprang, um Neues auszuforschen, hastig zu seinem Herrn gelaufen kam, und erzählte, daß er bei dem hohen Berge gewesen, und gehört habe, wie die dritte Königstochter darinnen saß, und Goldgewebe webte; der Riese aber selbst sei nicht daheim. Mit diesen Nachrichten war der Junge wol zufrieden, und eilte zum Berge, seine drei Hunde folgten mit. Als sie nun hingekommen, sagte Ly: »Hier ist keine Zeit zu verlieren, denn der Riese ist nicht mehr als fünf Meilen entfernt. Ich vernehme, wie die Goldhufe seines Pferdes auf den Steinen klingen.« Der[247] Junge gab nun seinen Hunden Befehl, daß sie die Bergthür einschlagen sollten, was auch geschah. Als er in den Berg hineinkam, sah er eine Jungfrau, die im Bergsaale saß, und an einem Goldgewebe webte. Das Mädchen aber war außerordentlich schön, so daß der Knabe nicht geglaubt hätte, daß ein so schönes Weib in der Welt gesunden werden könne. Er ging nun hin, und grüßte die schöne Jungfrau. Da verwunderte sich die Königstochter sehr, und sagte: »Wer bist du, der es wagt, in den Saal des Riesen hieher zu kommen? Seit sieben vollen Jahren, die ich im Berge sitze, sah ich noch nie einen Menschen.« Sie fügte hinzu: »Um Gotteswillen geh hinweg, ehe der Troll kommt, sonst ist es dein Tod.« Der Knabe aber war ganz guten Muthes, und sagte, daß er gerne sein Leben für die schöne Königstochter wagen werde.

Während sie noch zusammen sprachen, kam der Riese auf seinem goldbehuften Füllen geritten, und blieb unten am Berge stehen. Als er nun hineinging und sah, welche ungebetenen Gäste dort waren, erschrack er sehr, denn er wußte wol, welches Geschick seine Brüder getroffen. Es schien ihm räthlich, mit List und Kniffen zu verfahren, nachdem er keinen offenen Kampf wagen durfte. Der Riese begann daher manches schöne Wort zu sprechen, und stellte sich sehr demüthig und freundlich gegen den Jungen. Zugleich befahl er der Königstochter, ein Mahl zu bereiten, damit ihr Fremdling gut bewirthet werde. Da nun der Troll seine Worte zu wählen wußte, ließ sich der Junge zuletzt von dessen geschwätziger Zunge bethören, und vergaß, auf seiner Hut zu sein. Er setzte sich mit dem[248] Riesen zu Tische. Die Königstochter aber weinte im Stillen, und die Hunde waren sehr unruhig, obschon Niemand darauf achtete. Als der Riese und sein Gast ihre Mahlzeit beendet hatten, sagte der Jüngling: »Ich habe nun meinen Hunger gestillt, gib mir auch Etwas, womit ich meinen Durst löschen kann.« Der Riese antwortete: »Oben am Berge ist eine Quelle, in der fließt der klarste Wein, ich habe aber Niemand, der davon holen kann.« Der Knabe entgegnete: »Wenn es sich nur darum handelt, so kann ja einer von meinen Hunden dort hinaufgehen.«

Bei dieser Rede lachte der Riese in seinem falschen Herzen, denn er wünschte nichts so sehr, als daß der Junge seine Hunde fortschicke. Der Knabe gab daher Befehl, daß Håll zur Quelle nach dem Wein gehen solle, und der Riese reichte ihm einen großen Krug. Der Hund ging, obschon man wol merken konnte, daß es nicht mit gutem Willen geschah; man wartete aber lange, und er kam nicht zurück. Endlich sagte der Riese: »Mich wundert, daß der Hund so lange außen bleibt. Vielleicht wäre es gut, wenn du deinen anderen Hund gehen, und ihm helfen hießest, denn der Weg ist weit, und der Krug schwer zu tragen.« Da nun der Knabe keine List ahnte, willigte er in den Wunsch des Riesen, und gebot Slit, zu gehen, und auszuforschen, warum Håll nicht wiederkehre. Der Hund wedelte mit dem Schwanze, und wollte seinen Herrn nicht verlassen; der Junge aber merkte es nicht, sondern trieb auch ihn zur Quelle fort. Da lachte der Riese in's Fäustchen, und die Königstochter weinte. Der Junge aber[249] achtete nicht darauf, sondern war frohen Muthes, scherzte mit seinem Wirth, und dachte an keine Gefahr.

Es währte so wieder eine lange Weile, man hörte aber nichts, weder vom Wein, noch von den Hunden. Da sprach der Riese: »Nun merke ich wol, daß deine Thiere nicht thun, was du ihnen befiehlst, sonst würden wir hier nicht sitzen, und dürsten. Mir scheint das Beste, daß du Ly gehen, und spähen heißest, warum sie nicht zurückkommen.«

Der Junge wurde durch diese Worte aufgereizt, und befahl seinem dritten Hunde, schnell zur Quelle hinzugehen. Ly wollte nicht, sondern kroch wimmernd zu den Füßen seines Herrn. Da wurde der Knabe zornig, und trieb ihn mit Gewalt fort. Der Hund war nun gezwungen, seinem Herrn zu gehorchen, und lief eilig auf den Berg. Als er aber hinkam, erging es ihm, wie es den andern ergangen; dort erhob sich eine hohe Mauer um ihn, und er blieb durch den Zauber des Riesen gefangen.

Als nun alle drei Hunde entfernt waren, stand der Riese auf, sein Aussehen änderte sich, und er ergriff ein blankes Schwert, das an der Wand hing. Er sagte: »Nun will ich meine Brüder rächen, und du sollst sogleich sterben, denn du bist in meiner Gewalt.« Da erschrack der Knabe, und bereute, sich von seinen Hunden getrennt zu haben. Er sagte: »Ich bettle nicht um mein Leben, nachdem ich doch jeden Falls sterben soll. Um Eines aber bitte ich, daß ich meinen Pater noster lesen, und einen Psalm auf meiner Pfeife spielen darf. Es ist so der Gebrauch und die Sitte in unserem Lande.« Der Riese willigte[250] in dies Begehren, er setzte aber hinzu, daß er nicht lange warten wolle. Der Junge fiel nun auf die Knie, las andächtig einen Pater noster, und begann auf seiner Pfeife zu spielen, daß es über Berg und Thal tönte. In demselben Augenblicke aber verlor der Zauber seine Macht, und die Hunde wurden wieder frei. Sie kamen nun wie ein Sturmwind gefahren, und stürzten in den Bergsaal herein. Sogleich stand der Knabe auf, und rief: »Håll pack ihn. Slit und Ly! zerreißt ihn in viele tausend Stücke.« Da stürzten die Hunde auf den Riesen und zerrissen ihn in unzählige Stücke. Hierauf nahm der Knabe alle Habe, die im Berge lag, spannte die Pferde des Riesen an einen vergoldeten Karren, und machte sich bereit fortzufahren, so schnell als er vermochte.

Als nun die Königstöchter sich wiederfanden, herrschte eine große Freude, wie Jedermann denken kann, und alle dankten dem Jungen, daß er sie aus der Gewalt des Bergtrolls befreit habe. Der Junge faßte eine heftige Liebe zu der jüngsten Prinzessin, und sie verlobten sich einander.

Die Königstöchter fuhren so den Weg jubelnd, scherzend und fröhlich, und der Junge diente ihnen in Zucht und Ehren, wie es sich gegen vornehme Jungfrauen ziemt. Unterwegs aber spielten die Prinzessinnen mit dem Haare des Jungen, und banden zum Angedenken ihre goldenen Ringe in seine langen Locken.

Eines Tages, während sie noch auf dem Wege waren, begegneten ihnen zwei Wanderer, die dieselbe Gegend bereis't hatten. Die beiden Fremdlinge gingen in schlichten[251] Kleidern, ihre Füße waren wund, und man konnte wol aus ihrem Aussehen entnehmen, daß sie eine weite Reise gemacht hatten. Der Junge ließ nun seinen Wagen anhalten, und fragte, wer sie wären, und woher sie gekommen. Die Fremdlinge entgegneten, daß sie zwei Prinzen wären, die ausgegangen seien, um die drei vom Berggeist entführten Jungfrauen zu suchen; ihre Fahrt aber hätte wenig Erfolg gehabt, so daß sie nun heim wandern müßten, mehr wie Bettler, als wie Königssöhne. Als der Junge dies hörte, that es ihm leid um die beiden Wanderer, und er fragte, ob sie mit ihm in dem schönen Wagen fahren wollten. Die Prinzen dankten sehr für diesen Anbot. Sie fuhren so zusammen, und kamen in das Land, über welches der König, der Vater der Prinzessinnen, herrschte.

Als nun die Prinzen erfahren hatten, daß der Junge die drei Königstöchter befreit hatte, wurden sie sehr neidisch, und dachten, wie ihre eigene Fahrt ihnen so geringen Gewinn gebracht. Sie beriethen sich nun, wie sie den Jungen betrügen, und selbst Ehre und Ruhm gewinnen könnten. Sie verbargen aber ihren bösen Anschlag, bis sie eine günstige Gelegenheit finden konnten. Da warfen sie sich plötzlich über ihren Begleiter, ergriffen ihn am Halse, und erwürgten ihn. Hierauf drohten sie den Prinzessinnen mit dem Tode, wenn sie nicht den Eid ablegen wollten, das zu verschweigen, was geschehen war. Als nun die Königstöchter in der Gewalt der Prinzen waren, wagten sie es nicht, sich ihrem Begehren zu widersetzen. Es that ihnen aber um den Jungen sehr leid, der für sie sein[252] Leben verloren, und die jüngste Prinzessin betrauerte ihn von ganzem Herzen, so daß sie nicht mehr fröhlich werden wollte.

Nach dieser großen Unthat zogen die Prinzen zum Königshofe, und man kann wol denken, welche Freude dort herrschte, als der König wieder seine drei Töchter erhielt. Während dem lag der arme Junge halb todt im Walde. Er war sich aber nicht allein überlassen, denn die treuen Hunde legten sich um ihn herum, schützten seinen Körper gegen die Kälte, und leckten seine Wunden. Sie ließen nicht eher davon ab, bis ihr Herr wieder auflebte, und wieder zum Leben kam. Als er wieder Gesundheit und Kraft erlangt hatte, machte er sich wieder auf den Weg, und kam nach manchen Mühseligkeiten zum Königshofe, wo die Prinzessinnen ihre Heimat hatten.

Als der Junge eintrat, vernahm er großen Lärm und Jubel am ganzen Hofe, und vom Königssaale hörte man Tanz und schönes Saitenspiel. Da verwunderte er sich sehr, und sagte, was dies Alles zu bedeuten habe. Der Diener antwortete: »Gewiß mußt du von weit hergekommen sein, da du noch nicht vernommen, daß der König seine Töchter aus der Gewalt des Bergtrolls wieder erhalten.« Heute ist die Hochzeit der beiden ältesten Prinzessinnen. Der Junge fragte nach der jüngsten Prinzessin, ob sie auch Braut wäre; der Diener aber gab zur Antwort, daß sie keinen Mann haben wolle, sondern weine, und wie Keiner um die Ursache ihres großen Schmerzes wisse. Nun wurde der Junge wieder froh, denn er konnte wol merken, daß seine Braut ihm hold und treu war.[253]

Der Junge ging hierauf in die Burgstube, und ließ dem König sagen, daß ein Gast gekommen sei, der gebeten, die Hochzeitsfreuden dadurch zu vermehren, daß er seine Hunde zeige. Dies gefiel dem König, und er befahl, daß der Fremdling auf das allerbeste empfangen werden solle. Als nun der Junge in den Saal eintrat, herrschte große Verwunderung unter der ganzen Hochzeitsschaar über seine Behendigkeit und männlichen Manieren, und es schien Allen, daß man selten einen so schönen Jungen sah. Die drei Königstöchter aber hatten ihn sogleich wieder erkannt, sprangen vom Tische auf, und flogen dem Jungen an die Brust. Da schien es den Prinzen nicht gerathen zu sein, länger zu verweilen, wo sie waren. Die Königstöchter aber erzählten, wie sie der Junge befreit habe, und was ihnen widerfahren war; und sie suchten zu ihrer größeren Beglaubigung in seinen Haarlocken jede ihren Ring. Als nun der König vernahm, daß die beiden Prinzen mit List und Ränken gehandelt, wurde er sehr erzürnt, und ließ sie mit Schimpf und Schande vom Königshofe wegjagen. Der rüstige Junge aber wurde mit großen Ehrenbezeigungen empfangen, wie er es wol verdient hatte, und denselben Tag war seine Hochzeit mit der jüngsten Königstochter.

Nach dem Tode des Königs wurde der Jüngling zum Herrn des Landes erwählt, und ward ein tapferer König. Und dort lebt er mit seiner schönen Königin, und herrscht glücklich noch heut zu Tage.

Weiter weiß ich nichts mehr davon zu erzählen.

1

D.i. Halt fest.

2

Das ist: Reiß zusammen.

3

Das ist: Horch.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 234-254.
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