[371] Das Schloß, welches auf Goldpfeilern stand.

1. Eine Ueberlieferung aus Upland erzählt, daß, als der Riese Nachts heim kam, und die Pforte versperrt fand, er rief:


»Es saus't und braus't in meinem Schloß;

Laß mich hinein!«


Die Katze antwortete: »Du kommst nicht hinein, bevor du weißt, was ich gelitten habe.«


»Zuerst mahlten sie mich,

Dann brühten sie mich.«


Der Riese rief wieder:


»Es saus't und braus't in meinem Schlosse;

Laß mich ein!«


Die Katze aber antwortete, wie früher: »Du kommst nicht herein, bevor du weißt, was ich gelitten habe.[371]


Zuerst mahlten sie mich,

Dann brühten sie mich,

Dann ging ich auf,

Dann zerschnitten sie mich,

Dann droschen sie mich,

Dann buken sie Brot aus mir,

Und aßen mich auf.«


Als nun der Riese schauen sollte, ob der Laib Brot wirklich aufgegessen wurde, stürzte die Katze von den Zinnen der Schloßmauer herab, und schrie so stark, daß der Riese aus Furcht rücklings fiel und barst.

2. Eine andere Aufzeichnung aus Upland läßt die Tochter des Hintersassen von einem Hund, nicht von einer Katze begleiten. Als sie zum Königshofe kommt, will sie die Königin prüfen, und diese legt die erste Nacht einen Apfel, die andere Nacht eine Nuß, und die dritte Nacht eine Erbse unter das seidene Polster. Das Mädchen aber besteht die drei Proben, und wird zuletzt mit dem Königssohn vermählt.

3. Eine Ueberlieferung aus Westgothland unterscheidet sich am Schlusse von den vorhergehenden Aufzeichnungen. Sie lautet, wie folgt: Es dauerte bis zum Morgen, und Alle schliefen, als der Riese aus dem Walde heim kam und an die Schloßpforte klopfte. Prisse, der Hund, hatte sich aber in einen Kuchen verwandelt, und saß im Schlüsselloche, so daß Niemand hineinkommen konnte. Da rief der Riese: »Mach' auf, und laß mich hinein!« »Nein,« antwortete der Hund, »du kommst nicht herein, bis du gehört, wie ich zu einem Kuchen wurde.«[372]


»Zuerst warfen sie mich in eine Grube,

Dann wuchs ich auf als ein Halm.«


»Mach' auf, und laß mich ein!« rief der Riese wieder; der Hund aber ließ sich nicht bestechen, sondern wiederholte seine Geschichte: »Du mußt hören, wie ich zu einem Kuchen wurde.«


»Zuerst warfen sie mich in eine Grube,

Dann wuchs ich auf als ein Halm,

Dann wurde ich zu einer Aehre,

Dann schnitten sie mich.«


Nun wurde der Riese über die Maßen zornig, und schrie: »Mach' auf, und laß mich hinein!« Der Hund aber fuhr wie früher fort:


»Zuerst warfen sie mich in eine Grube,

Dann wuchs ich auf als ein Halm,

Dann wurde ich zu einer Aehre,

Dann schnitten sie mich,

Dann droschen sie mich,

Dann mahlten sie mich,

Dann buken sie mich im Ofen.«


In demselben Augenblicke aber ging die Sonne auf, und schien auf das Schloß. Der Hund fügte hinzu: »Kehre dich um, so wirst du eine schöne Jungfrau sehen, die krönt dich mit einer goldenen Krone.« Als nun der Riese sich umkehrte, und die Sonne sah, fiel er zur Erde und barst, und so war es aus mit ihm.

Als der Riese todt war, ging der Hund zu seiner Herrin, und führte sie in ein kleines Zimmer, wo eine Flasche und ein Schwert an der Wand hingen. Er sagte: »Nun bitte ich dich um ein Ding für all die treuen[373] Dienste, welche ich dir erwiesen. Du sollst dieses Schwert nehmen, und mir den Kopf abhauen. Hierauf sollst du die Wunde mit dem Wasser aus dieser Flasche waschen; du erfährst dann etwas, was du nie früher gewußt.« Da nun die Hintersassentochter den Hund sehr lieb hatte, wollte sie seinem Wunsche nicht nachkommen, sondern entschuldigte sich sehr lange. Prisse aber ward dringend, und so konnte sie es nicht verweigern, sondern hieb seinen Kopf ab, und wusch die Wunde mit dem Wasser mit der Flasche. In demselben Augenblicke aber wechselte der Hund seine Gestalt, und vor ihr stand ein schöner junger Prinz, weit schöner als andere Königssöhne. Und der holde Jüngling umarmte die Jungfrau und verlobte sich ihr mit rothen Ringen, auf daß sie seine Königin werde.

Als nun die erste Freude vorüber war, erzählte der Königssohn, warum er verzaubert worden und als Hund laufen mußte. Er sagte: »Mein Vater war ein mächtiger König, der über große Länder herrschte. Einmal wollte er ein großes Haus bauen, und ließ Hornsteine vom Berge holen, wo der Riese wohnte. Da wurde der Riese erzürnt, erschlug meinen Vater, und verwandelte mich in einen Hund, und ich sollte nicht eher meine wahre Gestalt bekommen, bis ein schönes Mädchen mein Blut vergoß.« Bei diesen Worten freute sich die Hintersassentochter über die Maßen, denn sie liebte den Prinzen von ganzem Herzen.

Es wurde die Hochzeit zubereitet, und der fremde König tanzte den ersten Tanz mit der Braut. Als die Hochzeit viele Tage gedauert hatte, kehrte der König wieder[374] in sein Land heim. Der Prinz aber und seine Gemalin lebten lange und gut in dem schönen Schlosse, das auf Goldpfeilern stand.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 371-375.
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