294. Der Chriäsibüeb.

[200] 1. a) Der Chriäsibüeb war einst ein Hexenmeister in Zürich, der mehr konnte als andere. Er wurde deswegen gefänglich eingezogen (sy hennd-ä hindärä 'tah und i ds Cheefi g'steckt) und sollte verbrannt werden. Er erbat sich aber vor dem letzten Gange, sie sollten ihm noch einige Gumel geben. Man gab ihm welche, und weil ihnen noch etwas Erde anhaftete, konnte er sich unsichtbar machen und den Zürchern noch höhnisch zurufen:


»D'Zürcher sind so schwarz wiä d'Rappä,

Aber der Chriäsibuäb chönnet s' nid ertappä.«


J.J. Huber, 80 J. alt, Sisikon.[200]


b) Nach anderer Überlieferung schrieb er an die Gefängnistüre:


D'Zircher sind witzig,

Und ihri Tirm sind spitzig,

Und wennd-si Äugä hättet wiä d'Rappä,

Sä chenntet-s' der Chriäsibüeb nid ertappä.


Franz Müller, 40 J. alt, Altdorf.


2. Einst zog er mitten durch die Stadt Zürich (nach Andern durch das Altdorfer-Dorf) und sang laut, den Zürcher (Urner) Herren zum Trotz:


»Iähr Herä vo Ziri (Üri)

Hennd Äugä wiä Fili,

Hennd Äugä wiä Chryä-n- und Rappä,

Und doch chenned-er der Chriäsibüeb niänä-n-ertappä.«


Alois Planzer, 18 J. alt, Bürglen, u.a.


3. In einem Troge fuhr er durch die Lüfte von einem Berge zum andern (was man auch von der Kastenvögtin im Muotatal erzählt).

4. Der Chriäsibüeb war ein Zauberer und Dieb. Oft wurde er in den Kirschbäumen gesehen, wo er sich die fremden Kirschen wohl schmecken liess; daher sein Name. Er stahl aber auch andere Dinge, verteilte jedoch auch vieles an die Armen. Überall stellte man ihm nach, und nirgends konnte man seiner habhaft werden. Ganz besonders waren ihm die Zürcher aufsätzig. Einst hatten ihn diese erwischt und wollten ihn hängen. Da durfte er noch eine letzte Bitte tun. Er wünschte einen Fadenknäuel oder ein Chlungeli Garn und erhielt es. Kaum hatte er den Knäuel in den Händen, rollte er ihn ein Stück weit ab und warf ihn in die Luft, erhob sich vor ihren staunenden, gaffenden Augen, am abgerollten Faden mit den Händen sich festhaltend, in die Höhe und verschwand.


Fr. Wipfli-Herger, 80 J. alt.


Eine gleiche Episode wurde mir mündlich erzählt inbezug auf die Kastenvögtin von Muotatal.


Maria Josefa Aschwanden, 75 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 200-201.
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