309. Kind und Zigeuner.

[214] 1. Als einst ein Trüpplein Kinder im Freien miteinander spielten, kam eine Zigeunerbande des Weges, und ein Zigeunerweib berührte im Vorbeigehen eines der Kinder auf der Achsel. Wenige Augenblicke später verliess das Kind seine Gespielen und folgte der Bande. Auf dem Wege begegnete ihm seine Gottä. »Wohi witt dü, Gottli?« fragt sie. »Denä Lyttä nachä, wo da vornä gahnt,« sagt das Kind. – »Aber um Gottes Willen, das sind ja Zigeuner! Wer hat dich denn geschickt?«[214] – »Niemand. Ein Weib hat mich auf der Achsel berührt, und jetzt muss ich ihm folgen.« Da nahm die Gottä ein Sackmesser und schnitt an jener Stelle die Kleider aus. Jetzt kehrte das Kind willig zurück.


Frau Arnold-Gisler, zirka 50 J. alt, Bürglen.


2. Als einst die Leute von Silenen aus dem Sonntagsgottesdienste kamen, zog grad eine Bande Heiden des Weges, und einer aus ihnen schritt auf ein hübsches Silener Meitli zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Chumm bald nachä!« Sobald das Meitli nach Hause kam, wollte es wieder fort; es sagte, es wolle den Heiden nach. Die Mutter fragte, wie das komme, und dann erzählte es ihr von dem fremden Mann. Jetzt befahl sie ihm, das Tschöpli auszuziehen. Es tat so, und siehe da! Der Tschoopä watschelte, was gisch, was hesch, zur offenen Türe hinaus, den Heiden nach.


J.M. Zberg. 75 J. alt, Silenen.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 214-215.
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