325. Teufelsbeschwörung.

[221] Vor Jahr und Tag hausten in der Hostet am vordern Mühlebach im Schächental drei Meitli, die heillos gut lesen konnten, sogar Latein. Da wurde eine Person bei ihnen krank, und der Pfarrer besuchte sie fleissig. Einmal liess er aus Vergesslichkeit daselbst sein Brevier auf dem Stubentisch zurück und wurde dessen erst gewahr, als er schon die Häuser beim St. Antoni erreicht hatte. Schnell kehrte er um, denn er wusste, dass auf der letzten Seite des Buches eine Teufelsbeschwörung eingetragen war, und, wenn am Ende die Meitli hinter diese geraten und sie lesen würden, dann könnte es schlimm werden. Er eilte aus allen Kräften. Und wahrhaftig! wie er sich der Hostet nähert, hastet auch schon der Teufel durch das Mühlebachtal hinauf. Der Pfarrer sputet sich, ihm zuvorzukommen. Gleichzeitig betreten Pfarrer und Teufel die Stube, letzterer um einen Schritt voraus. Mit raschem Griff entreisst der Geistliche dem lesenden Meitli das verhängnisvolle Buch, stürmt auf's Küchengänterli los, entnimmt diesem einen Sack Reis und leert ihn in die Diele hinaus, indem er den Hörnermann anherrscht: »Da lies alle Körner sauber zusammen, und dann packe dich, du wüster Kerl du!« Der Teufel machte sich an die Arbeit, und der Pfarrer las die Beschwörung rückwärts. Im Nu hatte der Teufel die Reiskörner zusammengelesen und in den Sack getan. Aber die Rückbeschwörung war soweit gediehen, dass er seine Gewalt verloren hatte und sich davonmachen musste.


Frau Arnold-Gisler, 50 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 221.
Lizenz:
Kategorien: