645. Todankünden in der Laube.

[113] In einem Hause zu Schattdorf hörte man öfters ein unerklärliches Gerümpel in den Holzbalken, die in der Laube aufgespeichert waren. Man mutmasste allerlei, doch es sollte bald Licht in die Sache kommen. Eines Abends, als die Familie und einige Nachbarn in der Stube beisammen sassen und Hanf reiteten, schlief der fünfjährige Hansli, ein gewecktes, braves Büblein, auf dem Ofenbänkli. Plötzlich fuhr er auf und schrie laut: »Ä Ma, ä Ma! är streckt d'Händ gäg-m'r und will mi nä!« Seitdem war Hansli kränklich. Wieder eines Tages, als er im Bette lag, erschrak er aus dem Schlafe, fing an zu weinen und schrie: »Der Ma will mi wider nä!« Von dieser Stunde an verlor er das Bewusstsein, und nach wenigen Tagen wurde er ein Engelein. In jener Laube holte man einige Balken, um ihm ein Totenbett und einen Totenbaum zu zimmern. Jetzt wussten sie, was das geheimnisvolle Gerümpel bedeutet hatte.

»Da hennd äu arm Seelä 'planget,« meint die Erzählerin.


Frau Wipfli-Herger, 80 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 113.
Lizenz:
Kategorien: