1575. Brot schützt gegen Hexenmacht.

[321] Um ein wenig zu kurzweilen, marschieren zwei ledige Schattdorfer einem Bauerngehöft zu. Unterwegs kommen sie an dem Häuschen auf dem Albenstein, wo eine Strassenvierung ist, vorbei, und da schaut ein altes Müetterli in »Haube und Käppli« zum Fenster oder durch eine Lucke heraus. »Die Blitzg müess-is[321] etz doch nit abpassä, wom-mer higahnt«, schimpft der eine und wirft ihr mit einem wohlgelungenen Steinwurf die altmodische Kopfbekleidung vom Haupte.

Das Ding ist gut. Die Burschen unterhielten sich famos. Man kaiserte. Ziemlich spät in der Nacht machten sie sich auf den Weg, der eine um eine Nidel, der andere um Brot zu holen. Als der letztere, es ist der Schreiber Sepp, mit seinem Hälberli Brot jenem Häuschen auf dem Albenstein sich näherte, beim Donner, da stand das alte Müetterli wieder an der Hausecke und wartete auf ihn. Ergrimmt über diese Vorwitzigkeit, machte er sich an's hin und fing mit dem Brot unter dem Arm an, dasselbe mit den Schultern zu stossen: »ummäz'pingglä«. Er war ihm über, das zeigte sich klar, aber um den Sieg zu einem vollständigen zu machen, fand er es für nötig, es zu »bodigen«. Er legte deshalb das Brot rasch auf den Boden und begann den Kampf mit beiden freien Armen. Doch jetzt ist's aus mit seiner Überlegenheit. Mit einem einzigen kräftigen Griff packt ihn das Weibsbild und wirft ihn über die Mauer in die Wiese: »Hof« hinunter. Als er dort lag, rief es ihm noch zu: »Wenn nit nu ä Brosmä Brot im Sack hättisch, sä tät-di zu Staib und Äschä zärrybä!«

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 321-322.
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