21. Der Mönch und die vier Sünder.

[145] Es war einmal ein gottesfürchtiger Mönch mit weißem Bart und Haar, der zu Gott betete in einem fort. Einst als er bei Nacht reiste, führte ihn sein Weg dicht an einer Kirche vorüber, neben welcher christliche Ruhestätten lagen. An die Thüre des Kirchhofes gelangt, sah er darauf drei Pferde, das eine roth wie Blut, das andere schwarz wie Kohle und das dritte gelb wie Safran, welche über die Gräber und um die Kirche herum sprangen. Kaum erblickten sie den Mönch, so verschwanden sie spurlos, als wenn die Erde sie verschlungen hätte, und der Mönch dies gewahrend, verbarg sich ein wenig hinter einem Baum, da wurden dieselben drei Pferde wieder sichtbar, blieben auf einem Grabe stehen, fingen mit den Hufen zu scharren an, und wiherten dabei laut und furchtbar, bis mit einem Male sich ein Mann aus dem Grabe erhob, mittleren Alters, von hoher Gestalt, Hände und Füße so gekreuzt, wie man ihn, als er gestorben war, ins Grab gelegt hatte. Die Pferde sprangen wihernd um ihn herum, doch berührten sie ihn nicht, und auch er sprach kein Wort, sondern weinte nur. Der Mönch befürchtend, daß die Pferde dem Mann ein Leid thun könnten, eilte nun plötzlich hinzu, beschwor sie bei Himmel und Erde, daß ein jedes auf seinem Platze stehen bliebe, und die Pferde gehorchten.[146] Hierauf berührte der Mönch mit seinem Stabe zuerst den Mann, dann die Pferde der Reihe nach. Durch diese Berührung belebte sich der Todte, die Pferde aber verwandelten sich in Menschen, und nun fragte er sie: »Saget an, wer seid ihr? Beichtet mir einer nach dem andern insgeheim oder vor allen Leuten, wenn ihr glaubt, daß ich euch helfen kann.« Da sprach zuerst der Mann: »Geistlicher Vater! Jene waren meine unglücklichen Söhne, die ich alle drei in einer Nacht, als sie schliefen, mit eigener Hand erschlagen habe, ich verheimlichte diese That und sagte nie Jemanden etwas davon, auch dem Priester nicht in der Beichte, indem ich mir vornahm, erst vor meinem Tode zu bekennen, doch der Tod riß mich unerwartet von der Erde ehe der Priester kam.« »Und was fehlt euch?« fragte nun der Mönch die drei Söhne. »Wir wollten unseren Eltern nicht gehorchen, thaten Alles gegen ihren Willen, und haben unsern Fehler weder bereut noch Buße gethan.« Da holte der Mönch aus seiner Tasche Stola und Ritual hervor, und sprach erst zu den drei Söhnen: »Bittet euern Vater um Vergebung,« dann zum Vater: »Und du bereue deine Sünden;« und nachdem sie gethan was er ihnen gesagt hatte, legte er allen Vieren die Stola auf, und las ein Ablaßgebet über sie. Hierauf küßten sie zuerst dem Mönche die Hand, und nachdem sie sich gegenseitig umarmt und unter Thränen geküßt hatten, ging Jeder in sein Grab zur Ruhe, der Mönch aber auf seiner Weiterreise ermahnte das Volk Buße zu thun, und nicht ohne Beichte und Belehrung aus dieser Welt gehen.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 145-147.
Lizenz:
Kategorien: