Owen Llawgoch mit seinen tausend Kriegern.

[157] Owen Llawgoch, d.h. Owen mit der blutigen Hand, Einer von den Letzten, welche heldenmüthig gegen die Sachsen gefochten haben, ist noch nicht gestorben. Mit seinen tausend Kriegern liegt er in einer Höhle unter einem Hügel in einem Zauberschlafe und wartet auf die Zeit, wo sie Alle erwachen werden um einem feindlichen Heere am Fford Rhyd goch arddy faych und am Llyn pent y Weryd zu begegnen, denn die Geschicke Britanniens hängen von der Tapferkeit und dem Siege der Erwachten ab.1[157]

Von diesem Hügel erzählte ein alter Mann folgende Geschichte. Wer in einer Entfernung von zwanzig bis vierzig Minuten weit vom Hügel steht, der kann auf der Spitze deßelben einen großen, schönen Eibenbaum erblicken; aber steigt man nun hinauf und nähert sich dem Platze, so ist der Eibenbaum verschwunden.[158] Entfernt man sich jedoch, so erscheint der Baum wieder wie zuvor.

Eines Tages nun war ein Hirtenjunge auf diesem Hügel, und da er grade eines Stockes bedurfte und nicht weit von sich eine Haselstaude sah, so schnitt er sich eine Gerte davon ab. Nicht lange nach diesem Tage ward er seines Hirtenlebens satt und beschloß seine Heimat zu verlaßen, um sein Glück in der Welt zu versuchen. Er brach auf und gieng. Er war noch nicht lange gegangen, da begegnete er einem Manne von gutem Aussehn, der ihn und den Haselstock, den er in der Hand trug, gar ernsthaft ansah. Endlich redete er ihn an und sagte: »Mein Junge, wo hast du den Stock da bekommen? Kannst du mir den Ort genau angeben?«

»Ja, mein Herr!« erwiderte der arme walisische Junge.

»Und willst du's thun?« fragte der Fremde ernst weiter.

»Ich würde es gern thun,« versetzte der Knabe, »wenn es nicht so weit von hier wäre.«

Der Fremde jedoch versprach ihm eine große Belohnung, worauf der Knabe sich zur Umkehr entschloß. Sie brachen zusammen auf und kamen an der Haselstaude an. Der Knabe blieb stehn und sagte: »dieß, mein Herr, ist der Stamm, von welchem ich meinen Stock geschnitten habe.«

Der Fremde hieß den Knaben nun unter dem Baume suchen, bis er eine Fallthür fände, die ihn in einen gewölbten Gang führen würde. Durch diesen[159] Gang würde er dann in eine Halle gelangen, worin viele bewaffnete Krieger im Schlafe lägen, und am Eingang sei ein Seil, an welchem er sich weiter fühlen müße. »Aber«, sagte er, »nimm Dich mit diesem Seil in Acht, denn es ist an einer Glocke befestigt, die den Hauptmann mit sammt seinen Kriegern aufwecken wird, wenn sie sich rührt. Sollte das aber doch wider Vermuthen der Fall sein, und der Hauptmann aufwachen, so wird er dich fragen: ›Ist es Tag?‹ Worauf du sogleich antworten mußt: ›Nein!‹« – »In diesem Gemache«, fuhr der Fremde fort, »liegt unter einer Schicht Waffen eine große Menge Goldes verborgen. Und dieses Gold sollst du mir forttragen. Aber sei vorsichtig, und merke dir, was ich dir gesagt habe!«

Der Bube gehorchte nach einigem Zögern. Er fand die Fallthüre, stieg nieder und gelangte in die von seinem Gefährten ihm beschriebene Halle. Da sah er die Krieger auf ihren Waffen schlafen, und nicht weit von dem Hauptmann waren die Schwerter und Schilde aufgeschichtet, unter welchen der Haufen Goldes liegen sollte. Der unerschrockne Knabe näherte sich demselben, um ihn zu heben und war eben damit beschäftigt, als die Waffen mit einem furchtbaren Dröhnen zusammenstürzten und Owen Llawgoch erwachte. Er streckte seine Hand aus, die so breit war wie eine Tartsche, und rief dabei mit einer Stimme, die wie der Donner nachhallte, aus: »Ist es Tag? Ist es Tag?« – worauf alle die bewaffneten Männer erwachten und dieselbe Frage wiederholten. Der junge Waliser antwortete[160] furchtlos: »Nein! Nein! Schlaft nur wieder!« Worauf sich Alle wieder zum Schlafe niederlegten.

Der Knabe nahm sich darauf soviel Gold mit, als er nur tragen konnte, und kehrte damit zu dem Ausgang der Höhle zurück, wo er es dem Fremden ablieferte. Dieser bat ihn, noch einmal hinabzusteigen, um den Rest zu holen, er solle auch ein ganz Theil davon abhaben, dießmal fand der Knabe weder Strick noch Gewölbe noch Krieger und Schätze und erst nach vieler Arbeit und Furcht kam er wieder zur Fallthüre zurück. Aber da war sein Gefährte auch verschwunden und er hörte niemals wieder von ihm.

Seit jener Zeit ist auch die Höhle und der Eibenbaum nicht wieder sichtbar geworden, und Niemand mehr hat den Zauberschlaf Owen Llawgochs und seiner tausend geharnischten Krieger gestört.

1

Es ist ein gemeinsamer Zug aller Völker, die mit der Tapferkeit ihres Wesens eine gleich ursprüngliche Poesie verbinden, daß sie ihre Berühmtheiten nicht wie andre Sterbliche dahinschwinden laßen, ihnen auch nicht bloß in Dichtung und Sage, sondern in unterirdischen Verließen ein wirkliches Leben leihen und mit denselben als »bergentrückten Helden« (um Jak. Grimm's Wort zu gebrauchen) kühne und phantastische Hoffnungsträume verbinden. So lebt Arthur selbst noch im Thal von Avalon, und Griechenland's Hoffnung Achill auf der weißen Insel. Die drei Gründer der helvetischen Freiheit, von den Hirten die drei Tells genannt, schlafen in einer Höhle des Luzerner Sees; der alte Barbarossa hält sich, verzaubert, im unterirdischen Schloße des Kyffhäuser. Karl V., mit goldnem Reif und Scepter sitzt, von seinen Herrn und Rittern umgeben, im Unterberg, und die Spanier glauben vom letzten Gothenkönig Roderich, die Portugiesen von Dom Sebastian, daß er auf der fabelhaften Insel St. Brandan schlafe – jenem Eiland, welches der irländische Erzbischof Brandan mit seinen Mönchen im 6. Jahrhundert besucht haben und welches eine der canarischen Inseln sein soll, bis auf den heutigen Tag aber noch nicht entdeckt ist, obwol es seit dem 16. Jahrhundert das Ziel vieler Entdeckungsreisen war, deren letzte von Spanien aus 1721 unternommen ward. – Als ein Beispiel aus der neueren Geschichte erinnere ich nur an Monmouth, von welchem der große Haufe »Angesichts des stärksten Beweises, durch welchen die Thatsache eines Todes jemals in Gewisheit gesetzt ward«, nicht abließ zu hoffen, daß er noch lebe – so daß man sich bei jeder wichtigen Krisis zuflüsterte; »daß die Zeit nahe sei und daß König Monmouth bald sich zeigen werde.« Dieser Volksglaube dauerte bis in die Zeit Georg's III, wo sogar Voltaire dagegen schrieb. – Macaulay, History of England, Vol. II, cap. V. – Ja, selbst bis in unsere Zeit hinein kann man Spuren dieses mystischen Zuges verfolgen. Bekanntlich wollten die französischen Bauern lange nicht an den Tod Napoleon Bonaparte's, den sie den General Malmort nannten, glauben. Als nun Louis Napoleon am Staatsruder und mit ihm sein alter, unzertrennlicher Freund Vieillard erschien: da sagten die Bauern, der alte Kaiser sei wieder auferstanden, und – um seinem Neffen persönlich beizustehn – begleite er ihn stets in der Gestalt eines Greises (vieillard).

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 157-161.
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