II.

[173] Ein Mann, welcher in dem Farmhaus Esgairllandthy in dem Kirchspiel Myddafi in Caermarthenshire wohnte, hatte einst einige Lämmer auf einem benachbarten Markte gekauft, die er dann am Llyn y Fan fach, dem kleinen Fan-See, in den schwarzen Bergen grasen ließ. So oft er nun zu seinen Lämmern kam, sah er drei sehr schöne Jungfrauen am Gestade des Sees wandeln. Mehreremale verfolgte er sie, um sie zu erhaschen; doch stets umsonst. Denn die bezaubernden Wesen liefen vor ihm weg und wenn sie den See erreicht hatten, so riefen sie höhnisch aus:


Wer da ißt gebacknes Brod

Uns zu fah'n vergeblich droht!


Eines Tages schwamm feuchtes Brod von dem See an die Ufer. Der Farmer verzehrte es mit großer Begierde und am andren Tage war er bei seiner Verfolgung wirklich so glücklich, daß er eine von den drei schönen Jungfrauen fieng. Nach einer kurzen Unterhaltung mit ihnen faßte er sich ein Herz und machte einer derselben einen Heirathsantrag. Seine Auserwählte willigte für den Fall ein, daß er sie am folgenden Tage von ihren Schwestern würde unterscheiden können. Dieß war für den jungen Farmer eine neue und sehr große Schwierigkeit; denn die schönen Waßergeister waren sich in Gestalt und[173] Gesicht so ähnlich, das er kaum einen Unterschied zwischen ihnen wahrnahm. Er merkte sich indes ein unterscheidendes Zeichen an den Riemen ihrer Sandalen und daran erkannte er sie am folgenden Tage. Einige jedoch, welche diese Geschichte erzählen, sagen, die Jungfrau vom See habe ihrem Liebhaber heimlich angedeutet, sie wolle sich am entscheidenden Tage zwischen ihre beiden Schwestern stellen und daran möge er sie erkennen. Wie dem nun auch sei – er wählte die Rechte und sie verließ sogleich den See und begleitete ihn nach seiner Farm. Bevor sie gieng, stiegen auf ihren Befehl sieben Kühe, zwei Ochsen und ein Bulle aus dem See und folgten ihr.

Sie versprach nun dem Farmer, so lange bei ihm bleiben zu wollen, bis er sie dreimal ohne Ursache geschlagen hätte. Mehrere Jahre lebten sie behaglich zusammen und sie gebar ihm drei Söhne, welche späterhin unter dem Namen Meddigon Myddfai, die Doctoren von Myddfi noch sehr berühmt wurden.

Eines Tages, als er sich anschickte, einen Markt in der Nachbarschaft zu besuchen, bat er sie aufs Feld zu gehn, um das Pferd zu holen. Sie sagte: ja! doch da sie ein wenig langsam machte, so sagte er scherzend zu ihr: »dos, dos, dos!« d.h. »geh! geh! geh!« und tippte dabei dreimal mit seinem Handschuh auf ihren Arm.

Da war aber die Bedingung ihrer Heirath gebrochen – sie gieng sogleich fort und nahm ihre sieben Kühe, ihre zwei Ochsen und den Bullen wieder mit sich. Die Ochsen waren grade beim Pflügen im[174] Felde, aber da sie die Herrin rufen hörten, folgten sie sogleich und nahmen den Pflug mit sich. Die Furche, welche der Pflug von dem Feld aus bis zum Rande des Sees zog, ist noch heutigen Tages an mehreren Stellen jener Gegend zu sehn.

Einst, lange nach der Trennung von ihrem Mann, traf sie zwei ihrer Söhne in einem Thal, welches seitdem Cwm Meddyggon, das Doctorenthal, heißt und gab Jedem von ihnen ein Bündel mit einigen Sachen, von denen man nicht recht weiß, was es gewesen sein mag. Man glaubt aber, daß es seltne Medicamente waren. Denn diese Leute, Meddygon Myddfai genannt, wurden die ersten Heilkünstler ihrer Zeit, schrieben um das Jahr 1230 berühmte Werke, von denen sich noch heut in der Bibliothek von Gray's Inn Lane, London, ein Exemplar befindet.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 173-175.
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