III.

[175] Von dem Fan-See in Caermarthenshire gibt es auch noch eine andere Sage. Es soll nämlich in der Neujahrsnacht nach der zwölften Stunde auf diesem See eine Jungfrau erscheinen, welche der Geist aus dem Fan heißt. Sie trägt ein weißes Gewand mit goldnem Gürtel; ihr Haar ist lang und golden, ihr Antlitz bleich und traurig. Sie sitzt in einem goldnen Boote und führt ein goldnes Ruder.

Vor vielen Jahren lebte in der Nähe dieses Sees ein junger Farmer, der, weil er so viel von der Schönheit dieser Jungfrau gehört hatte, eine brennende Sehnsucht empfand, sie zu schauen und sich zu[175] überzeugen, ob sich denn wirklich Alles so verhalte. In der nächsten Sylvesternacht gieng er daher zu dem Rande des Sees, welcher ruhig und klar im Scheine des Vollmondes da lag und wartete ängstlich auf den zwölften Glockenschlag. Da schallte die Mitternacht aus den entfernten Dörfern herüber und er schaute nun, wonach er so lange sich gesehnt, die Jungfrau, welche sich in ihrem goldnen Boote über den silbernen See hin und wieder schaukelte. Endlich sank der Mond hinter die Berge, die Sterne verlöschten in der Morgendämmerung und die Jungfrau fieng an schon in Duft dahinzuschwinden. Da aber, unfähig sich länger zu halten, rief er ihr laut zu, sie möge bleiben und sein Weib werden. Aber mit einem bangen Schrei schwand sie vor ihm dahin. Nacht für Nacht konnte man ihn nun am Gestade schweifen sehn – aber Alles umsonst. Seine Farm lag wüst, sein Leib verzehrte sich vor Sehnen, und Trauer und Trübsinn lagen auf seinem Gesichte. Endlich vertraute er sein Geheimnis einem weisen Mann im Gebirge an. Dieser rieth ihm, den schönen Geist mit Geschenken von Käse und Brod zu erobern. Der Rath ward befolgt und in der Johannisnacht gieng der verliebte Farmer an den See hinunter und ließ einen großen Käse nebst einem Laib Brod ins Waßer fallen. Aber der Geist erschien nicht; nur kam es dem Farmer so vor, als ob die Stelle, wo er sie einst gesehn hatte, mit mehr als gewöhnlichem Glanze leuchtete und als ob harmonische Klänge durch die Felsen bebten. Durch diese Zeichen ermuthigt warf[176] er nun Nacht für Nacht Brod und Käse in den See, aber noch immer erschien der Geist nicht. So kam die Neujahrsnacht wieder heran. Er zog seine besten Kleider an, nahm seinen größten Käse und sieben von seinen weißesten Bröden und begab sich zu dem See. Als die mitternächtliche Stunde herankam, warf er eins nach dem andren ins Waßer und verharrte dann in schweigender Erwartung. Der Mond stand hinter einer Wolke, aber bei dem schwachen Lichte, das er warf, sah der Bebende das zauberhafte Schiff lein nahn und auf ihn zufahren. Die Jungfrau hielt am Lande, hörte auf die Schwüre des jungen Mannes und willigte ein, sein Weib zu werden. Als Brautschatz brachte sie Schaafe, Ziegen, Rinderheerden und andre Dinge für die Landwirthschaft mit. Nur das machte sie ihm zur Bedingung, daß er sie nicht schlagen dürfe; denn wenn er sie zum dritten Male geschlagen hätte, so müße sie verschwinden.

So heiratheten sie sich und waren glücklich. Nach drei oder vier Jahren wurden sie zu einer Kindtaufe geladen und zum Erstaunen aller Anwesenden brach der Geist mitten in der heiligen Handlung in Thränen aus. Ihr Mann warf ihr ärgerliche Blicke zu und fragte sie barsch, warum sie sich so närrisch betrage?

Da antwortete sie: »Das arme Ding tritt in eine Welt voll Sünden und Sorgen ein und Elend liegt vor ihm. Warum soll ich mich freuen?«

Da versetzte er ihr einen Stoß. Sie aber warnte ihn, daß er sie nun schon einmal geschlagen habe.

Einige Zeit danach waren sie wieder zusammen[177] eingeladen, um dem Leichenbegängnis desselben Kindes beizuwohnen. Da lachte der Geist und tanzte und sang. Ihr Mann wurde ganz wüthend darüber und fragte sie, warum sie sich so närrisch betrage?

»Das Kind,« sagte sie, »hat eine Welt voller Sünden und Sorgen verlaßen, und Seligkeit liegt vor ihm. Warum soll ich weinen?«

Da gab er ihr einen Stoß und zum zweitenmale warnte sie ihn. Darauf lebten sie glücklich, wie zuvor.

Da trug es sich einmal zu, daß sie zu einer Hochzeit eingeladen wurden, wo die Braut jung und schön, der Bräutigam aber ein altes, vertrocknetes Männchen war. Mitten in der Festlichkeit begann der Geist heftig zu weinen, und da ihr Mann sie verdrießlich fragte, warum sie sich so närrisch betrage, da antwortete sie, daß Alle es hörten:

»Weil Sommer und Winter sich nicht vertragen können. Für elendes Gold ist Jugend dem Alter verkauft worden. Ich sehe, daß Elend schon jetzt und zehnfaches Elend in der Folge das Loos der Beiden ist. Es ist des Teufels Werk!«

Ihrer Warnungen nicht gedenk, stieß sie ihr Mann nun in heftigem Aerger von sich. Sie blickte ihn zärtlich und schmerzensvoll an und sagte: »Du hast mich nun zum dritten und letzten Male geschlagen. Fahre wol!«

Damit verließ sie den Ort. Er lief hinter ihr her und da er sein Haus erreicht hatte, sah er sie schon dem See zuschreiten. All' ihre Heerden, Schaafe und Ziegen giengen hinter ihr her. Er eilte ihr mit[178] schwerem Herzen nach; aber umsonst. Seine Augen sahen sie nie wieder.2

2

An dieses Märchen knüpfen sich noch einige Varianten. Zunächst wird in Bezug auf den dritten Schlag folgende Abweichung erzählt: Sie und ihr Mann waren auf dem Felde mit Pflügen beschäftigt. Der Mann wollte die läßigen Pferde durch einen Wurf antreiben und traf die Frau, die sogleich mit dem Pflug und allen ihren Heerden zum Van-Teich gieng und darin verschwand. Noch heut wird die Spur der Pflugschaar im Gebirge gezeigt.

Dann fügt eine weitere Variante auch den beliebten Schluß von einer berühmten Nachkommenschaft hinzu. Es waren Aerzte, deren Wohnsitz gleichfalls Myddfi war, und die Jones hießen. In jeder dieser Familien sollen viele Generationen hindurch regelmäßig sieben Söhne geboren worden sein, von welchen der jüngste immer Arzt und wunderbar geschickt in seiner Profession ward.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 175-179.
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