6. Der kahlköpfige bruder.

Es waren einmal drei brüder. Einer von ihnen (der jüngste) war kahlköpfig. Einmal gingen sie beide (d.h. die beiden älteren) um rüben zu stehlen. Den kahlkopf nahmen sie nicht mit. Zum zweiten mal nahmen sie ihn auch nicht mit. Zum dritten mal soll der kahlkopf haben gehen wollen. Die älteren brüder sollen aber gesagt haben: »Du schreist!« Der kahlkopf aber folgte seinen brüdern auf den fersen und ging um rüben zu stehlen. Sie (die älteren brüder) sollen seitwärts (von dem kahlkopf) (rüben) gesammelt haben. Dann schrie der kahlkopf: »Bruder, ich habe schon eine ganze schüssel (rüben) gefunden!« Die älteren brüder sagten: »Warum schreist du, kahlkopf!« Die hüterin des rübenfeldes hörte es, ergriff sie alle drei, nahm sie mit sich und schloss sie unter die pritsche ein.

Sie hatte drei töchter. Die mutter hiess die älteste tochter den ofen heizen. Die mutter ging wieder, um die rüben zu hüten. Das mädchen heizte den ofen und hiess einen von den unter der pritsche eingeschlossenen menschen herauskommen. Die älteren brüder hiessen den kahlkopf hinausgehen: »Geh, geh du hinaus!« sagten sie, »du hast geschrieen!« Der kahlkopf kroch hinaus. Das mädchen hiess ihn sich auf die brotschaufel setzen. Der kahlkopf setzte sich, aber fiel herab. »Ich kann nicht«, sagte er, »setze dich selbst darauf und zeige mir!« Das mädchen setzte sich um[67] zu zeigen, aber der kahlkopf schob das mädchen in den ofen hinein und liess sie da bleiben. Das mädchen wurde da gebraten. Nachdem die mutter ihre rüben gehütet hatte, kam sie zurück, öffnete den ofen und sah hinein. »Ai, ai, ich wurde sehr hungrig!« sagte sie. Sie ass den gebratenen menschen und rief noch ihre mittlere tochter, sagend: »Meine tochter, heize den ofen und brate noch einen von den unter der pritsche befindlichen widdern!« – und selbst ging sie wieder hinaus, um die rüben zu hüten.

Das mädchen heizte den ofen und hiess einen von den unter der pritsche eingeschlossenen widdern herauskommen. Die älteren brüder hiessen wieder den kahlkopf hinausgehen. Der kahlkopf kroch wieder hinaus. Der kahlkopf setzte sich wieder auf die brotschaufel und fiel wiederum von der brotschaufel herab. Er sagte zu dem mädchen: »Ich kann nicht, setze dich selbst darauf und zeige mir!« Das mädchen setzte sich, und der kahlkopf bratete wiederum ein mädchen. Nachdem die mutter ihre rüben gehütet hatte, kam sie zurück, öffnete den ofen und sah hinein. Sie sah hinein, und wiederum ass sie einen gebratenen menschen. Nachdem sie gegessen hatte, hiess sie wieder ihre kleinste tochter den ofen heizen.

Das mädchen heizte den ofen und hiess einen von den unter der pritsche eingeschlossenen widdern wieder herauskommen. Wiederum hiessen die älteren brüder den kahlkopf hinausgehen. Der kahlkopf kroch wieder hinaus, und das mädchen hiess ihn sich auf die brotschaufel setzen. Der kahlkopf setzte sich und fiel herab. »Ich kann nicht«, sagte er, »setze dich selbst darauf und zeige mir!« Das mädchen setzte sich um zu zeigen, und der kahlkopf schob sie in den ofen hinein und liess sie da bleiben. Ein mädchen wurde wieder gebraten. Die mutter kam wieder zurück, nachdem sie ihre rüben gehütet hatte, öffnete den ofen, sah hinein, und fing an, diesen gebratenen menschen zu essen. An der hand des mädchens war ein goldener ring. Die mutter sah während des essens den ring und verstand: »Wehe, meine tochter habe ich gegessen!« sagte sie. Darauf öffnete sie den schrank unter der pritsche, sah hinein, und (– siehe –) die drei widder waren (noch) da unter der pritsche![68]

Sie fing (jetzt) selbst an, den ofen wieder zu heizen. Nachdem derselbe geheizt war, hiess sie einen widder herauskommen. Wieder trieben die älteren brüder den kahlkopf hinaus. Das weib hiess den kahlkopf sich auf die brotschaufel setzen. Der kahlkopf setzte sich und fiel herab. »Ich kann nicht«, sagte er, »setze dich selbst darauf und zeige mir!« Das weib setzte sich, und der kahlkopf soll sie (in den ofen) hineingeschoben haben. Das weib soll aus dem ofen herausgekommen sein. Der kahlkopf schnitt ihren kopf mit dem messer ab, und das weib starb.

Eine kiste geld führten sie (die brüder) mit sich von ihr (dem weib). Der kahlkopf nahm sogar ihre thür. Ihre thür war aus eisen. Sie (die brüder) setzten sich am wege, um ihr geld zu verteilen. Der kahlkopf sagte: »Bruder, hier werden fremde menschen uns sehen!« Dann kletterten sie auf eine fichte. Unter derselben fichte sollen (darauf) flüchtlinge ihre suppe gekocht haben. Der kahlkopf hatte auch die thür mit sich auf die fichte geschleppt. Als sie (die brüder) droben auf der fichte das geld zählten, wollte der kahlkopf pissen, und er liess sein wasser von der fichte herab. Die flüchtlinge sagten: »Das tauwasser tröpfelt«. Sein wasser rann in ihre suppe herab. Es währte darauf eine kleine weile, und dann kackte der kahlkopf von der fichte herab. »Oh, Gott sei dank, es regnet – oder was!« sagten sie (die flüchtlinge). Wieder währte es eine kleine weile, und (jetzt) warf der kahlkopf die eiserne thür von der fichte herab, und die flüchtlinge liefen davon weg, sagend: »Der himmel stürzt zusammen!« Der kahlkopf kletterte von der fichte herab und fing noch an, nach den flüchtlingen zu laufen. »Halt! Still bleiben!« sagte er und fing au zu laufen. Einer (von den flüchtlingen) blieb stehen, und der kahlkopf schnitt ihm die zunge ab. Der flüchtling fing an, seine kameraden zu rufen. Es war ihm unmöglich etwas zu sagen (eig. schreien), und er schrie (nur): »bloṷ-bloū!« und die kameraden fingen erschrocken an, noch mehr zu laufen. Die drei brüder sollen sehr, sehr reich geworden sein.

Quelle:
Wichmann, Yrjö: Wotjakische Sprachproben, 2.: Sprichwörter, Rätsel, Märchen, Sagen und Erzählungen, Helsingfors: 1893/1901, S. 65-69.
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