Konditionismus

[231] Konditionismus – Seit Hume ist in der Philosophie, seit R. Mayer ist besonders in der Naturphilosophie eine Tendenz zu beobachten: man will den Begriff der Ursache (causa) mehr und mehr durch den Begriff Bedingung (conditio) ersetzen. Noch Ostwald (Naturphilosophie2 S. 299) glaubte sich darauf[231] beschränken zu dürfen, nur eine bestimmte Gruppe von Ursachen lieber Bedingungen eines Geschehnisses zu nennen. Neuerdings hat Verworn (»Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis«, S.15 f. u. 44) fast ganz im Sinne Humes den Ursachbegriff zu eliminieren und für den alten Kausalismus das neue Wort Konditionismus einzuführen gesucht. »Der Konditionalsatz ist das allgemeine Darstellungsschema für alle Gesetzmäßigkeit. Er allein ist imstande, eine Erkenntnis in streng erfahrungsgemäßer Weise ohne irgend welche Zutat eines Deutungsversuches zum Ausdruck zu bringen.... Diese Einkleidung aller Gesetzmäßigkeit in die konditionale Form ist eigentlich völlig selbstverständlich... Kausale Gesetzmäßigkeit ist spekulative Mystik, konditionale Gesetzmäßigkeit ist Erfahrung.... Eine genaue Beobachtung zeigt, daß in keinem Falle ein Vorgang zustande kommt durch Einen einzigen Faktor... Läßt man den Gedanken, daß ein Vorgang durch eine einzige Ursache bewirkt werde, fallen und gesteht man zu, daß es zwei oder mehrere Ursachen sind, die den Vorgang herbeiführen, dann verliert der Begriff der Ursache seinen Sinn und wird identisch mit dem Begriff der Bedingung.... Die Dinge bedingen sich untereinander, und alle Wissenschaft kann, wenn sie exakt sein will, nur in der Feststellung ihrer gesetzmäßigen Abhängigkeitsverhältnisse voneinander bestehen. Also wenn man durchaus einen Ismus haben will: nicht Kausalismus, sondern Konditionismus.«

Ich glaube, und fürchte es nicht einmal, daß dieses neue Wort Glück haben wird. An die Stelle eines ausgelaugten Begriffs mag ein jüngerer, ein kräftigerer treten, dem man mit der Zeit auch einen neuen Inhalt geben kann. Nur vergesse man nicht, daß das neue Wort auch nur ein Wort ist; Verworn selbst hat das nicht ganz vergessen, da er den melancholischen Zusatz machte: »Wenn man durchaus einen Ismus haben will.«

Ich habe (vgl. Art. Bedingung) die vielen Verschlingungen der Begriffe Bedingung und Ursache ein wenig zu entwirren mich bemüht; ich kann diese Darlegung jetzt so zusammenfassen: den Begriff der Ursache möchte man von vornherein in die reale Welt hineinlegen, wie andere Sachen oder Substantive; der Begriff[232] der Bedingung gehört seinem Wesen nach der logischen Welt an. Verworn hat ganz recht mit der Behauptung, daß der Konditionalsatz allein eine Erkenntnis ohne irgendwelche Zutat eines Deutungsversuches zum Ausdruck bringe; nur daß auch die Erfahrungswissenschaften nach dem Wesen des menschlichen Verstandes auf Deutungsversuche niemals verzichten können oder wollen, nur daß wir wider Willen gezwungen sind, irgend einen alten Ursachbegriff bei dem neuen Bedingungsbegriffe mit zu verstehen. Und da erinnern wir uns, vielleicht mit einiger Heiterkeit, daß Bedingung nicht eine Übersetzung von lat. conditio ist, sondern von Ding abgeleitet, welches selbst eine genaue Übersetzung von lat. causa ist, ursprünglich den Sinn von Gerichtsverhandlung hatte und erst später den Sinn von (juristischer) Angelegenheit, Sache bekam, wie denn auch im Französischen cause und chose aus lat. causa entstanden. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß trotz dieser Wortgeschichte der Begriff Bedingung vom Begriffe Ursache sich soweit entfernen konnte, als der menschliche Verstand eben sehen kann.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 2, S. 231-233.
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