Okkultismus

[458] Okkultismus – Nicht ohne das Schamgefühl, mit welchem ein wissenschaftlich gebildeter Apotheker der Forderung seines Publikums nachgeben und Schweinefett unter dem Namen Schlangenfett verkaufen mag, behandelt die Geschichte der Philosophie und ein Wörterbuch der Philosophie Begriffe wie Okkultismus, Spiritusmus, Xenologie usw. Ich will wenigstens kurz sein.

Man erweist dem Okkultismus zu viel Ehre, wenn man ihn mit der durch Jahrtausende geglaubten Astrologie und mit der Alchymie des Mittelalters zusammenstellt; in der Astrologie waren ja die Konstellationen der Gestirne wenigstens richtig beobachtet, und nur deren Einfluß auf die Schicksale der Menschen war Träumerei; die Alchymie gar war die gute junge Wissenschaft der Chemie, die trotz falscher Prinzipien manches brauchbare Ergebnis lieferte. Der Okkultismus aber kann sich auch[458] nicht auf eine einzige glaubhafte Tatsache berufen und hat noch niemals etwas ergeben. Unter den Bekennern des Okkultismus hat es ehrliche und geistreiche Leute gegeben; dennoch kann kein Wort stark genug sein, die Dummheit dieser neuesten Form der alten Wundersucht zu charakterisieren. Man hat für den Spiritismus, weil er durch die regelmäßige Entlarvung betrügerischer Medien zu arg kompromittiert war, die neue Bezeichnung Okkultismus erfunden oder vielmehr das alte Wort von den okkulten Wissenschaften wieder auf die Bahn gebracht; da aber die Herren ja behaupten, die Manifestationen der spirits gefühlt, gesehen, gehört, gerochen und geschmeckt zu haben, so sollten sie doch nicht ein Wissen vom Verborgenen nennen, was nach ihrer eigenen Lehre eine Erfahrungswissenschaft ist. Man hat den Spiritismus mit dem Spiritualismus identifiziert und nicht bedacht, daß der anständige Spiritualismus die Tatsachen der Seelenkunde (oder der psychologischen Sprache) nur etwa falsch gedeutet hat, nicht aber Geistererscheinungen und klopfende, schreibende, hüpfende, beutelschneiderische Seelen vorgeschwindelt hat. Man hat den Okkultismus mit der wieder zu Ehren gekommenen Mystik verknüpfen wollen; gewiß, auch die Mystiker waren und sind wundersüchtige Leute: sie fühlen eine grenzenlose Sehnsucht nach der körperlichen Vereinigung mit ihrem Gotte und möchten um Lebens und Sterbens willen das Unaussprechliche aussprechen; aber die Mystiker waren und sind ehrliche Leute, die just im Gegensatze zur herrschenden Kirche niemals darauf ausgehen, ihre subjektiven wunderbaren Erlebnisse in ein wissenschaftliches System zu bringen. Franciscus war kein Spiritist. Man hat dichterische Äußerungen von Goethe und religiöse Äußerungen von Kant, man hat sogar den Entwicklungsgedanken Darwins dem Spiritismus dienstbar machen wollen, und hat dabei verschwiegen, wie Kant und Goethe über die Geisterseherei ihrer Zeiten gespottet haben, wie grell der Entwicklungsgedanke der Vorstellung von einer unsterblichen Seele widerspricht.

Man hat endlich den Spiritismus als eine Religion der Zukunft gründen wollen; und wirklich ist der Spiritismus die würdige Religion der Narren, die sich für frei halten, weil sie die[459] ältere Mode nicht mehr tragen und sich nur der neuesten Mode unterwerfen. Hätte die Kirche ihrerseits den Mut, modern zu sein so wäre sie auf ihrer Hut vor den dummen Massen, welche vom Spiritismus mit neuen Wundergeschichten gegen sie aufgewiegelt werden. Die Aufklärung hat dem Gotte der Kirche nur die ohnmächtige Göttin der Vernunft entgegenstellen können; der Spiritismus jedoch stellt die Göttin des Blödsinns auf den Altar und könnte unter diesem Zeichen vielleicht einmal plötzlich siegreich werden.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 2, S. 458-460.
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