Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

[134] Es hieße die Universalität von Mozarts Künstlergeist und sein feines Stilgefühl stark unterschätzen, wollte man glauben, die norddeutschen Meister hätten sein Schaffen derart mit Beschlag belegt, daß andere Stilarten daneben gar nicht zu Worte gekommen wären. Er war damals gar nicht mehr imstande, sich so vollständig an ein bestimmtes Vorbild zu verlieren, wie es in seinen Jugendjahren mitunter der Fall gewesen war. Im wesentlichen beschränkte sich denn auch jener Einfluß auf die Gattungen, in denen er den strengen Stil bei seinen Vorbildern kennengelernt hatte, auf Kirchen- und Klaviermusik. Daneben geht aber seine Entwicklung organisch weiter; der EinflußHaydns, mit dem er ja damals in enge persönliche Beziehungen trat, verstärkt sich in ungeahntem Grade, und namentlich seine eigene Phantasie entfaltet in jener dem »Figaro« unmittelbar vorangehenden Zeit eine Vielseitigkeit und Tiefe, die die Beschränkung auf ein einzelnes Vorbild einfach ausschließt. Gewiß traten jetzt die ihm von seiner Berufspflicht auferlegten Konzerte unverhältnismäßig in den Vordergrund und drängten den norddeutschen Einfluß fürs erste zurück. Aber sie erfüllten sein Wesen durchaus nicht vollständig; auch andere Seiten forderten gebieterisch ihr Recht, die der musikalische Gesellschaftskünstler, der Kavalier allein nicht zu befriedigen vermochte. Das lehren besonders die gleichzeitig entstandenen Streichquartette, die um so bedeutungsvoller sind, als sie zu den wenigen Kompositionen gehören, die Mozart nicht auf äußere Anregung, sondern aus eigenem Antrieb geschaffen hat. Gerade in ihnen wirkt aber das Studium Bachs und Händels noch merklich nach. Man sieht somit auch hier wieder, wie bedenklich es ist, in das Schaffen eines großen Künstlers um jeden Preis »Ordnung« hineinbringen zu wollen1.

Die Komposition der J. Haydn gewidmeten sechs Quartette in G-Dur, d-Moll, Es-Dur, B-Dur, A-Dur und C-Dur (K.-V. 387, 421, 428, 458, 464, 465, S. XIV. 14–19) zieht sich über die Jahre 1782–1786 hin2. Neun Jahre waren seit Mozarts letzten, ebenfalls unter Haydns offenkundigem Einfluß[135] geschriebenen Quartetten vergangen3. Jetzt durfte er es wagen, mit dem inzwischen zum Freunde gewonnenen älteren Meister, der 1781 seine »Russischen« Quartette veröffentlicht hatte4, als ein Ebenbürtiger um die Palme zu ringen.

Das im wesentlichen von J. Haydn begründete klassische Streichquartett ist die letzte und feinste Frucht der großen Stilwandlung im 18. Jahrhundert. Der Orchesterstil dieses Jahrhunderts neigt ja über haupt, dank dem aristokratischen Wesen der gesamten Musikpflege, mehr der Kammermusik als dem Orchestralen im späteren Sinne zu, während das 17. mit seiner Chor auf Chor türmenden Besetzung mehr auf Massenwirkungen ausging5. Die Zeit der Wiener Klassiker führte nun aber auch auf diesem Gebiete einen Umschwung und zugleich eine Spaltung herbei. Auf der einen Seite bildet sich durch die erhöhte Ausnützung der Klangfarbe und Artikulation der einzelnen Instrumente, durch die Durchführung ihrer vollen Freizügigkeit innerhalb des Ganzen und endlich durch die seit Beethoven erreichte materielle Fülle und Plastik der Klangerscheinung wieder eine Orchesterkunst großen Stiles heraus, auf der andern findet jene Neigung zur Kammermusik im Streichquartett ihre höchste Vergeistigung. Auf beiden Gebieten aber ist Haydn der eigentliche Pfadfinder für die Zukunft gewesen.

In ihrem formalen Aufbau, der viersätzigen zyklischen Form, bleiben die beiden auseinanderstrebenden Gattungen nach wie vor eng verbunden, in der Ausführung dagegen, überhaupt im ganzen Stil, schlagen sie zum Teil ganz verschiedene Wege ein. Das Streichquartett ist schon insofern »Hausmusik«, als es nicht wie das Orchester Instrumente aus den verschiedensten Familien bei sich zu Gaste lädt, sondern sich auf die eine Familie der Streichinstrumente beschränkt. Damit bleiben ihm die Farbenwirkungen des Orchesters verschlossen; Alfrescogemälde sind hier unmöglich, und äußere Klangwirkungen überhaupt kommen nur insoweit in Frage, als sie eben innerhalb des solistischen Streicherkörpers erreichbar sind. Damit tritt das Sinnliche, physisch Eindrucksvolle von selbst zurück vor dem Geistigen, und zu dessen Ausdruck erscheint allerdings das Quartett wie geschaffen, kraft der ihm innewohnenden idealen Verbindung von Einheit und Mannigfaltigkeit. Denn die vier Instrumente sind zwar der Herkunft und Art nach gleich, der Individualität nach aber verschieden, sie gleichen den Angehörigen einer hochentwickelten Familie, von denen jeder die Art des gemeinsamen Stammes nach seiner eigenen Persönlichkeit selbständig zum Ausdruck bringt. Der Hauptgrundsatz des Streichquartetts ist strengste Gleichberechtigung aller vier Stimmen. Er unterscheidet es von vornherein scharf von der Kammermusik mit Klavier, wo das herrschsüchtige Tasteninstrument die Mitspieler, wenn sie sich nicht überhaupt mit der Begleiterrolle begnügen wollen, dazu zwingt, sich gleichfalls zu Gruppen zusammenzuschließen;[136] deshalb ist die eigentliche Seele dieser Art von Kammermusik das Konzertieren. Dies kommt nun freilich auch im Streichquartett gelegentlich vor, aber nicht als Stilgrundsatz und nicht um des Klangeffekts willen, sondern gewissermaßen nach freier Übereinkunft der vier Teilnehmer als natürliche Folge der Gedankenentwicklung. Auch wenn eine Stimme vorübergehend die Führung übernimmt, ist die Unterordnung der übrigen stets eine freiwillige, sie geschieht auch nicht im Sinne der orchestralen »Füllstimmen« (ein Begriff, den das Quartett je länger je weniger kennt), sondern diese »Begleitung« hat in jeder Stimme ihr eigenes melodisches Leben, sie stützt nicht bloß die Oberstimme, sondern kommentiert sie, sie bildet sozusagen den Reflex des Hauptgedankens in der Seele der übrigen Spieler. So entsteht eine Kunst, die, losgelöst von allen materiellen Reizen, rein dem Ideellen, Innerlichen zugewandt ist, nicht in die Weite und Breite, aber in die Tiefe geht und die zartesten, den andern Instrumentenkombinationen nicht mehr erreichbaren seelischen Fäden bloßlegt.

Dem entspricht der Stil dieser Werke. Es ist kein Zufall, daß Haydn und ihm folgend Mozart auf ihrem Wege zu seiner höchsten Durchbildung bei der Kontrapunktik eine längere Station gemacht haben, die ja von Hause aus eine solche Selbständigkeit der Stimmen forderte6. Aber es war doch nur ein vorübergehender Aufenthalt. Das letzte Ziel war weder die strenge Polyphonie der älteren noch die Homophonie der galanten Zeit, sondern eine freie Mischung aus beiden. Es handelt sich nicht mehr um die Durchführung eines Themas im Sinne seines wechselnden Verhältnisses zu verschiedenen selbständigen Gegenmelodien, sondern um das Herausholen aller in ihm selbst beschlossenen Kräfte. Diese mögen sich wohl mitunter als selbständige Gegenmelodien äußern, in der Hauptsache aber werden sie durch Zergliedern aus dem Thema selbst gewonnen. Deshalb spielt die thematische Arbeit auch in diesem Stil die vornehmste Rolle, und zwar haben an ihr alle vier Stimmen denselben Anteil. Das deutlichste Merkmal dieser modernen Kammermusik gegenüber der älteren ist, daß die Baßstimme den alten Continuocharakter völlig abgestreift hat und den übrigen gleichgeordnet ist. Auch die Sinfonie basiert ja auf der thematischen Arbeit, stellt sie aber wiederum in den Dienst monumentaler Wirkung, während der Quartettstil dem seelischen Vorgang bis in seine feinsten Verzweigungen nachgeht. Das mußte natürlich, je weiter die Vergeistigung der ganzen Gattung fortschritt, auch auf die Erfindung der Themen zurückwirken. Mehr und mehr unterscheiden sich die Quartettthemen von den Sinfoniethemen, sie sind zarter, intimer, feiner verästelt – die höchste Stufe der Entwicklung stellen auch nach dieser Richtung hin die letzten Quartette Beethovens dar.

Der erste Klassiker dieses intimen Stils ist Joseph Haydn geworden. Er war das gegebene Feld für Haydns reichen und beweglichen Geist und seine[137] tiefkombinatorische Phantasie. Nur darf man nicht glauben, der spätere, fertige Quartettstil sei ihm von Anfang an fix und fertig in den Schoß gefallen. Haydn gehörte wie Gluck zu den Meistern, die sich sehr langsam entwickelt haben, und so groß der Reiz ist, der von seinen Frühwerken ausgeht, als der eigentliche, »große« Haydn steht er etwa erst als Fünfziger vor uns. Seine Quartette lehren dies besonders deutlich. Die ersten, 1763 angezeigten, aber früher komponierten7, nannte er selbst noch Cassationen, womit denn auch der Serenadenton und die Fünfsätzigkeit übereinstimmen; auch der Name Sinfonien deutet auf eine Zeit hin, wo Sinfonie und Quartett noch nicht streng geschieden waren8. Zum Teil finden wir sogar noch bezifferte Bässe. Das alles weist auf die ältere Kunst zurück, und tatsächlich finden sich zu der späteren thematischen Arbeit und der Selbständigkeit der vier Stimmen kaum die ersten schüchternen Ansätze; vor allem trägt der Baß noch deutlich die Spuren des alten Continuo an sich. Auch die strenge, kontrapunktische Weise tritt noch zurück. Dem Inhalt nach sind freilich bereits diese Werke durch Mannigfaltigkeit der Stimmungen, Reichtum der Phantasie, volkstümliche Gesundheit und sprühenden Humor allen Rivalen überlegen. Auch in den nächsten, bis 1773 folgenden Quartetten, in denen die Viersätzigkeit zur Regel wird, ist ein Fortschritt zwar dem Grade, aber nicht der Art nach zu erkennen, es sei denn, daß man einen solchen in der stark konzertmäßigen Führung der ersten Geige erkennen will. Erst mit den »Sonnenquartetten« von 1773 erfolgt ein bedeutender Ruck nach vorwärts, und zwar unter offensichtlichem Einfluß der norddeutschen Kunst, in erster Linie wohl der sechs großen Streichquartette Ph. E. Bachs9 aus demselben Jahre. Es ist sehr charakteristisch, daß Haydn hier die Selbständigkeit der vier Stimmen mit Hilfe des strengen Kontrapunkts erreicht und dadurch sofort auch Mozart als seinen Schüler mit sich fortreißt10. Auch die andere Hauptseite des späteren Haydn, die thematische Arbeit, kündigt sich hier bereits an. Sätze, wie das Finale des C-Dur-Quartetts (Nr. 34), zeigen deutlich, wie die spätere thematische Arbeit aus der kontrapunktischen als etwas Neues hervorwuchs. Aber auch diese Bevorzugung des Kontrapunkts war für Haydn nur eine Etappe auf seinem Wege, der ihn 1781 mit den »Russischen Quartetten« zu einer neuen, wichtigen Station führte. Er selbst hat sie als »auf eine neue, besondere Art geschrieben« bezeichnet. Diese neue Art besteht eben in der durch die Kontrapunktik hindurchgegangenen thematischen Arbeit. An die Stelle der Mannigfaltigkeit tritt jetzt die Einheitlichkeit, die Fülle der Erscheinungen wird von einem energischen Formwillen gebändigt. Die thematische Arbeit ist der eigentliche Träger jener Einheitlichkeit; indem sie einen Gedanken zergliedert, in seine Bestandteile zerlegt und daraus neue Gedanken emporkeimen läßt, führt sie doch immer wieder zu ihm selbst zurück. Er bleibt[138] stets der Mittelpunkt der Erörterung, an der, wie ein beliebter Vergleich der damaligen Zeit lautet, die »vier geistreichen Personen« gleichermaßen teilnehmen. Das Neue, was dabei zutagekommt, besteht aber nicht allein in der Weiterführung des Gedankens durch den einzelnen Spieler, der ihn gerade aufgreift, sondern ebensosehr in dem Eindruck, den diese Weiterführung in der Seele der übrigen hervorruft, sozusagen in den mit Worten nicht ausgedrückten Gedanken, die im Herzen der Vier die Debatte begleiten. Gerade dieser innere Prozeß spielt sich aber nicht erst in der Durchführung ab, sondern bereits bei der Aufstellung der Themen; ein schöner Beleg dafür wird uns gleich in Mozarts erstem Quartett begegnen. Die Durchführung aber steigert diese ganze Art ins Dramatische; sie wird schon äußerlich umfangreicher und verbindet außerdem die kontrapunktische und freie Weise auf eine höchst mannigfaltige und geistreiche Art, die in der ganzen späteren Musik tiefe Spuren hinterlassen hat. Jetzt erst war das Quartett zu dem geworden, was es eigentlich bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Wohl ist Haydn später auch über diese Russischen Quartette hinausgewachsen, berührt Höhen und Tiefen des Empfindungslebens, die ihnen noch verschlossen waren, und lenkt die »Unterhaltung« der vier Spieler bereits im Sinne Beethovens auf große geistige Ideen, so daß sein Wort von den »moralischen Charakteren« seiner Sinfonien und Quartette wohl berechtigt erscheint. Aber der Weg zu diesem Ziele war doch gefunden, und abermals, wie vordem bei den Sonnenquartetten, sehen wir Mozart dem älteren Meister zur Seite treten und dessen Entwicklung auch an dieser wichtigen Station mitmachen. Daraus folgt aber, daß Mozart, unbeschadet des Kunstwertes seiner Beiträge, auch auf diesem Gebiete der Instrumentalmusik die Rolle des Schülers, wenn auch im höchsten Sinne, Haydn dagegen die des Meisters zufällt. »Von Haydn habe ich gelernt, wie man Streichquartette macht«, bekennt er mit gewohnter Ehrlichkeit.

Daß er aber innerhalb der Haydnschen Sphäre trotzdem Neues zu sagen wußte, lehrt die Debatte, die sich gerade an die Quartette im Kreise der Musiker anschloß. Selbst Joseph II. erbat sich von Dittersdorf ein Urteil darüber und schloß sich dessen Vergleich Mozarts mit Klopstock und Haydns mit Gellert an11. Weniger gut kam Mozart dagegen in einer Wiener Kritik vom Januar 1787 weg12:


Schade, daß Mozart sich in seinem künstlichen und wirklich schönen Satz, um ein neuer Schöpfer zu werden, zu hoch versteigt, wobei freilich Empfindung und Herz wenig gewinnen. Seine neuen Quartetten, die er Haydn dediziert hat, sind doch wohl zu stark gewürzt – und welcher Gaumen kann das lange aushalten?
[139]

Fürst Kražalkovicz in Wien, der sich die Quartette ebenfalls vorspielen ließ13, warf den Musikern sogar vor, sie spielten falsch, und geriet, als sie ihn widerlegten, in eine solche Wut, daß er die Stimmen zerriß; Gyrowetz dagegen liebte er sehr. Auch aus Italien erhielt der Verleger die Stimmen als angeblich fehlerhaft zurück, und G. Sartis scharfe Kritik über Mozart14 knüpfte ebenfalls an diese Quartette an.

Der erste Eindruck, den die Zeitgenossen davon bekamen, war somit der des Verworrenen, Unklaren, Gekünstelten. Statt aber darüber zu lächeln, tun wir besser daran, ihn zu verstehen zu suchen. Tatsächlich steckt ein gewisser Kern von Berechtigung darin. Jedes Schülerverhältnis bedingt ja eine gewisse Unfreiheit, zum mindesten in technischer Hinsicht, und auch Mozart ist es nach seinen eigenen Worten sehr schwer geworden, die neue Haydnsche Technik seiner Art des künstlerischen Erlebens anzupassen. Wie wir noch sehen werden, ist ihm die Lösung dieses Problems auch durchaus nicht immer geglückt. Im Grunde genommen stand er vor einer ähnlichen Aufgabe wie vordem bei seinem Studium Bachs und Händels, nur daß die Kluft zwischen seiner Kunst und der des Vorbilds nicht so groß war. Außerdem war aber seine Art des künstlerischen Erlebens eine ganz andere als die Haydnsche, sie war weit mehr dem Irrationellen zugewandt und neigte zum Abschweifen der Phantasie und zu plötzlichen seelischen Katastrophen, denen der in der norddeutschen Schule groß gewordene Haydn aus dem Wege ging. Was sich daher bei diesem als natürliche Frucht seines ganzen künstlerischen Wachstums schließlich herausgebildet hatte, mußte Mozart sich erst innerlich zu eigen machen, und diese Aufgabe fiel ihm um so schwerer, je Größeres er mit diesen Werken vorhatte, je tiefer sein inneres Erlebnis war. Man kann es ihm aufs Wort glauben, daß die sechs Quartette die Frucht langer und mühsamer Arbeit waren15. Mit der Haydnschen Technik als solcher mochte er dank seiner ungeheuren Anpassungsfähigkeit verhältnismäßig bald fertig werden, sie jedoch seiner eigenen Gefühlswelt dienstbar zu machen, darin lag für ihn die Hauptschwierigkeit. Es gehört auch für einen großen Meister immer zum Schwersten, den Stil eines andern zu übernehmen und dabei doch seine geistige Selbständigkeit zu bewahren, sich ihn derart anzuverwandeln, daß er als der natürliche Ausdruck seines eigenen Wesens, also im Grunde genommen als etwas Neues erscheint. Überall da, wo Mozart dies geglückt ist, wo seine Persönlichkeit hinter der Haydnschen Schreibweise klar und deutlich zum Vorschein kommt, da stehen wir auch vor Werken, die Haydn nicht bloß ebenbürtig sind, sondern ihm sogar wichtige Anregungen für sein eigenes späteres Schaffen gegeben haben. Das offenbaren neben anderen Sätzen besonders die Menuette, die zur Hälfte an zweiter, zur andern an dritter Stelle stehen16 und mit einer einzigen Ausnahme Tempobezeichnungen[140] führen. Sie zeigen ganz deutlich das Bestreben, dem geistreichen, volkstümlichen Humor der Haydnschen einen eigenen Typus gegenüberzustellen, der sich mehr dem subjektiven Charakterstück zuneigt. Es herrscht ein eigenwilliger, zum Teil höchst streitbarer Ton darin, und in Stücken wie dem Menuett von K.-V. 421 sind wir von dem Menuett der großen g-Moll-Sinfonie nicht mehr weit entfernt. Mozart erreicht diese Wirkung namentlich durch eine eigentümlich verschränkte, die regelmäßige Gliederung von acht Takten vermeidende Rhythmik, die bei dem volkstümlichen Haydn weit seltener auftritt. Die Menuette von K.-V. 387 und 421 beginnen je mit einem Zehntakter, der im ersten Falle durch den »Vorhang«17 der beiden ersten Takte, im zweiten durch das sequenzenhafte Wiederholen eines zweitaktigen Motivs erzeugt wird; ebenso entsteht der Sechstakter in K.-V. 428 durch Dehnung des Achtelmotivs im zweiten und dritten Takt. Ja, selbst wo, wie in K.-V. 458, äußerlich die Achttaktigkeit gewahrt ist, haben wir den Eindruck der Zusammensetzung aus einem Gliede von drei und einem von fünf Takten. Dazu kommen dynamische und harmonische Akzente, die sich dem regelmäßigen Laufe zu widersetzen scheinen, auch die Stimmführung dient nicht selten der Verschleierung der natürlichen Einschnitte. Denselben Zug zum Charakterstück weisen endlich auch die Trios auf, die den Hauptsätzen gegenüber mit Vorliebe den alten Gegensatz von Moll und Dur ausnützen; nur in einzelnen Fällen schleicht sich noch ein bald schalkhaftes, bald schwungvolles Tanzidyll älteren Schlages ein18.

Aber auch da, wo Mozart sich anscheinend fast völlig an das Haydnsche Vorbild verliert, wie in den Finales von K.-V. 428, 458 und 465, darf man keineswegs an ein sklavisches Nachahmen oder gar an eine erzwungene Preisgabe der eigenen Persönlichkeit denken. Denn diese Sätze gehören einem Gebiete an, das Haydns und Mozarts Natur gemeinsam war, dem der natürlichen, sprudelnden Lebensfreude; Mozart brauchte sich darum durchaus keinen Zwang anzutun, wenn er hier in Haydnschen Zungen redete; es genügte ihm das Aufsetzen einiger charakteristischer Lichter, um sein Autorrecht zu dokumentieren.

Fernerhin darf man ja nicht etwa glauben, Mozart hätte sich auf das Vorbild der Russischen Quartette Haydns beschränkt. Sein Geist hielt vielmehr auch unter andern Mustern Umschau. Hierher gehört vor allem die im Vergleich zu jenen Werken Haydns unverhältnismäßig große Rolle, die der strenge Kontrapunkt bei ihm spielt. Hier mögen die älteren fugierten Finales der beiden Gebrüder Haydn, Josephs Sonnenquartette, vor allem aber das Studium der älteren Klassiker nachgewirkt haben, von dem Mozart ja eben damals herkam. Man glaubt ihm ordentlich die Freude anzumerken, womit er den neugewonnenen Besitz nunmehr auch dem Streichquartett zuführte.[141]

Endlich steckt in den Quartetten noch ein gutes Stück von Mozarts eigener früherer Arbeitsweise. In den Durchführungen mancher ersten Allegros treibt noch der alte, phantastisch-lockere Geist J. Schoberts sein Wesen. Im ersten Satz von K.-V. 458 und im Finale von K.-V. 464 stellt sich in der Durchführung gar ein neues Thema ein – allerdings im Sinne eines ideellen Seitenthemas, denn ein solches fehlt diesen Sätzen, und die neuen Gedanken sind kantabler Natur. Die Durchführungen der ersten Sätze von K.-V. 428, in schwächerem Maße auch von K.-V. 387, bringen unter merklicher Betonung des Virtuosen die uns bereits bekannten modulatorischen Sequenzenwanderungen Schobertschen Angedenkens.

Das Problem, vor das uns diese Quartette stellen, ist darum durchaus nicht so einfach zu lösen. Es genügt dazu weder die Annahme eines einzigen Vorbildes, des Haydnschen, noch die Einsicht, daß daneben noch andere geistige Kräfte am Werke sind. Auch hier ist die Hauptfrage: was hat Mozart aus all diesen Elementen gemacht, ist es ihm gelungen, die »disiecta membra« zu einem neuen, lebensvollen, Mozartschen Organismus umzuschaffen? Über die Jahre des bloßen Nachbildens war er ja damals längst hinaus, man wird also von vornherein annehmen dürfen, daß über seiner Verwendung der verschiedenen Stilbestandteile ein bestimmter künstlerischer Wille waltete. Bezüglich der neuen Durchführungsthemen haben wir dies ja bereits festgestellt. Wie schön wächst ferner nicht die strenge Kontrapunktik des Finales von K.-V. 387 mit ihrem schwärmerischen Thema aus dem frühlingsmäßigen Knospen und Treiben des Bisherigen gewissermaßen als natürliche, reife Frucht von selbst heraus!

An dem Haydnschen Vorbild aber hat Mozart vor allem die auf vier selbständige Stimmen übertragene Kunst der thematischen Arbeit im weitesten Sinne angezogen, kraft der kaum je in einer Stimme etwas vorfällt, ohne daß nicht sämtliche übrigen in Mitleidenschaft gezogen würden und sich, sei es zustimmend oder widersprechend, selbständig dazu äußerten. Hier fand er eine neue Form zum Ausdruck seines künstlerischen Erlebens. Dessen Inhalt freilich hat dadurch, wie bereits gezeigt wurde19, keine wesentliche Bereicherung mehr erfahren; gerade das Beste, was in den Quartetten steckt, ist spezifisch mozartisch, d.h. von Haydn unabhängig. Aber daß er jetzt lernte, seinen eigenen Lebensinhalt in dieser ganz auf Vergeistigung angelegten Form auszusprechen, dafür war und fühlte er sich dem Freunde aufs tiefste verpflichtet. Die Frage, ob er auch ohne dessen Vorbild zu diesem Ziel gelangt wäre, ist müßig; jedenfalls wäre es nicht so rasch geschehen, denn lebendige Persönlichkeiten wirkten auf ihn stets weit rascher und sicherer als abstrakte Richtungen. Auf der andern Seite hat er aber auch hier nichts nachgeahmt, wozu nicht der Keim bereits in ihm selbst geschlummert hätte: seine ganze Art, gegensätzlich zu empfinden und verschiedene seelische Kräfte in ihrer beständigen Wechselwirkung aufeinander[142] ander darzustellen, mußte ihn gerade zu diesem Stil besonders hinziehen, wo »alles drängt und alles treibt, kein Pläcklein ohne Keimlein bleibt«. Man verfolge einmal, was im ersten Satz von K.-V. 387 gleich bei der Wiederholung des Hauptthemas aus dem das erstemal kaum beachteten, kadenziernden Motiv


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entwickelt wird, zuerst imitatorisch dann durch Umbildung:


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darauf in verkürzter, chromatischer Gestalt:


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die gleich darnach in der Gegenbewegung auftaucht:


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So werden mitunter ganz unbedeutende, formelhafte Motive wie in der Durchführung desselben Satzes:


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oder im Andante:


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mit einem Schlage zu Helden ganzer Abschnitte, und in den Sätzen strengen Stils ist die Phantasie des Komponisten in der Erfindung neuer Kontrapunkte zu den Hauptthemen geradezu unerschöpflich; das A-Dur-Quartett bietet dafür besonders schöne Beispiele. Manchmal ist es nur ein kleines, rhythmisch prägnantes Motiv, das einem ganzen Satz die Einheit verleiht, so im Andante von K.-V. 421:


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Es fesselt schon bei seinem ersten Auftreten im Hauptthema die Phantasie des Komponisten dergestalt, daß er ihm zuliebe das Thema auf fünf Takte ausdehnt, dann aber beherrscht es mit Ausnahme der schönen, verträumten As-Dur-Episode in den verschiedensten Varianten den ganzen Satz bis zum letzten Takt. Verwandt mit dieser Art ist eine weitere Eigentümlichkeit dieser Werke, nämlich die gelegentliche Ersetzung voll entwickelter Themen durch kleine, kurzatmige Motive, die auf Grund einer nicht selten äußerst kühnen Harmoniebewegung durch Wiederholung, Variation u. dgl. weitergesponnen werden. Es sind bald nach älterer Art Teile der Hauptthemen, wie zu Beginn der Durchführung des ersten Satzes von K.-V. 421, bald aber auch selbständige Gedanken,[143] wie z.B. im Andante von K.-V. 465


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Derartige Abschnitte mögen die geheime Angst der Zeitgenossen vor dem »Romantiker« Mozart bestärkt haben; tatsächlich sind wir hier von der Kleinarbeit der späteren Romantik nicht mehr weit entfernt. Namentlich im ersten Satz von K.-V. 458 spielt diese Art eine große Rolle: zwischen den beiden festen Säulen des haydnsch angehauchten Hauptthemas und jenes ideellen, echt Mozartschen Seitenthemas, mit dem die Durchführung beginnt, schlingen allerhand luftige Gestalten wie:


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oder


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ihren neckischen Reigen durch alle vier Stimmen dahin. Ein Hinträumen ohne feste Melodiebildung ist endlich auch der ganze langsame Satz von K.-V. 428 mit seinen Tristanklängen, ein Satz von merkwürdig verinnerlichtem Charakter, wie er früher bei Mozart nicht zu finden war.

Daß unter diesen Umständen die Harmonik eine besondere Rolle spielt, ist natürlich. Hierin unterscheiden sich die Quartette stark von den gleichzeitigen Konzerten, die als echte Kunst des Tages keine solchen grüblerischen Anwandlungen kennen. In den Quartetten aber steht nicht selten Franz Schubert unmittelbar vor der Türe, so feine, echt romantische Stimmungsbilder weiß Mozart allein mit Hilfe einer außerordentlich kühnen, beständig im Flusse befindlichen Harmonik zu entwerfen; man vergleiche die merkwürdigen Dämmerstellen unmittelbar nach der Wiederkehr des Hauptthemas im Andante des G-Dur-Quartetts oder zu Beginn der Durchführung im ersten Satze des d-Moll-Quartetts. An derselben Stelle klingt das C-Dur-Quartett sogar merklich an eine Stelle in der Durchführung des ersten Satzes von Schuberts h-Moll-Sinfonie an. Daß Mozart dabei auch vor Härten nicht zurückscheut, beweist gerade hier das zweimalige Zusammenstoßen von c und cis in verschiedenen Stimmen. Die berühmteste Stelle dieser Art enthält das einleitende Adagio des C-Dur-Quartetts:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

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[144] Die Stelle ist noch im 19. Jahrhundert wegen ihrer Härten viel beanstandet und von Männern wie Fétis und Ulibischeff sogar »verbessert« worden20. Eine Zeit, die in Mozart nur den unentwegten Optimisten sah, vermochte freilich mit diesem Adagio nichts anzufangen. Der steht uns aber gerade hier meilenfern. Die Einleitung strebt, wie fast alle ihresgleichen, nach der Dominanttonart, die sie nach tiefem Eintauchen in die Unterdominantregion schließlich erreicht. Der Baß steigt, wie so oft in der älteren Musik, chromatisch eine Quart nach abwärts, wobei, ebenfalls nach älterem Brauche, in den ersten neun Takten eine regelmäßige Sequenzenbildung entsteht. Nur gibt sich Mozart mit dem Quartenschritt im Basse nicht zufrieden, sondern schiebt noch eine weitere Partie ein, die die Dominante erst auf dem Umwege über Es-Dur und c-Moll, also über ihre Unterdominante, erreicht. Auf dieser harmonischen Grundlage spielt sich ein seelischer Vorgang von ganz unvergleichlicher Prägnanz ab. Zunächst bleibt die Tonart ganz im unklaren; müde und resigniert schicken sich die beiden Mittelstimmen an, die Quinte der Tonika und Dominante zu umkreisen, da fährt wie ein blitzendes Schwert die erste Geige mit ihrem querständigen a'' dazwischen. Wie matt wirkte dieser scharfe Einsatz, wenn man ihn der »Korrektheit« halber in as'' verbesserte und obendrein noch um ein Viertel verkürzte! So aber bringt er in das chaotische Hindämmern plötzlich einen Zug trotziger Energie herein. Zweimal erfolgt dieser gewaltsame Ruck, der mit seinem Crescendo auf eine ungeheure innere Spannung hindeutet. Zunächst bleibt freilich die Befreiung aus; unaufhaltsam steigt der Baß weiter in die Tiefe und zieht auch die melodische Linie der ersten Geige trotz allem Sträuben mit hinab. Ein neuer Anlauf mit dem chromatischen Motiv führt ebenfalls nicht zum Ziele, obwohl ihn schließlich sogar der Baß aufnimmt. Ungeklärt bleibt die Entwicklung in scharfen dynamischen Akzenten schließlich auf der Dominante stehen. Es ist also durchaus nicht bloß die Idee eines die Luft reinigenden, abziehenden Gewitters, die hier zum Ausdruck kommt, sondern die Grundstimmung des ganzen Quartetts: das Bild eines von trüben Ahnungen belasteten Gemütes, das des seelischen Druckes Herr zu[145] werden sucht, also abermals ein Vorwurf rein persönlicher Art, der von dem Kreise der Gesellschaftsmusik ziemlich weit abliegt. Nur tritt dieser Vorgang in der Introduktion noch nicht aus dem Stadium des Unbewußten heraus. Erst im Allegro schlägt der Komponist sozusagen die Augen auf und führt den Konflikt bewußt durch. Neigt sich dabei auch die Wagschale mehr und mehr zugunsten der Zuversicht und Hoffnung, so beweisen doch Stellen in den folgenden Sätzen, wie z.B. das Trio des Menuetts, ja selbst im letzten Satz, wo die Lustigkeit mitunter einen sehr grellen Ausdruck annimmt, daß die finstern Regungen noch keineswegs zum Schweigen gebracht sind.

Das C-Dur-Quartett ist das einzige, das eine langsame Einleitung Haydnscher Herkunft hat. Auch das Variationenfinale von K.-V. 421 mag auf Haydns Anregung zurückgehen21. Überhaupt halten sich diese Quartette in ihrem äußeren Bau an die überkommene Form. Nur die ausgedehnten Codabildungen der meisten Allegrosätze sind bemerkenswert. Die kontrapunktischen Sätze pflegen hier meist noch neue Schößlinge anzusetzen, und der Weg zur Schlußfuge der C-Dur-Sinfonie führt auch in dieser Beziehung über unsere Quartette. Aber auch z.B. der erste Satz des B-Dur-Quartetts hat eine Coda, die ganz, wie später häufig bei Beethoven, Miene macht, in die Bahnen einer zweiten thematischen Durchführung einzulenken. Das sind bei weitem keine verlängerten Schlüsse mehr, sondern wirkliche Epiloge, die die Phantasie des Hörers noch einmal über das Ganze hinlenken und ihr am Ziel der Wanderung mitunter noch ganz neue, ungeahnte Ausblicke erschließen.

Erstaunlich ist die Vielseitigkeit der Stimmungen in diesen sechs Quartetten. Jedes bildet ein abgeschlossenes Ganzes für sich, jede Spur von Schablonenarbeit fehlt. Gleich das erste Paar bringt die beiden Hauptseiten von Mozarts Wesen ganz unübertrefflich zum Ausdruck. Ein freier, starker, dem Leben zugewandter Sinn spricht aus dem ersten, bald mit Anmut, bald mit neckischer Laune, aber stets mit männlicher Kraft; im Finale, das hier nicht bloß ein froher Ausklang, sondern der psychologische Höhepunkt des Ganzen ist, paart sie sich mit sinniger Beschaulichkeit. Dagegen ist das d-Moll-Quartett durchweg auf einen tragischen Grundton gestimmt. Frei von jedem aufdringlichen Pathos entschleiert es das ergreifende Bild eines tief verwundeten Gemütes. In der schon rein satztechnisch meisterhaft gearbeiteten Durchführung des ersten Satzes (s.o.) nimmt die Schwermut einen dämonischen Ausdruck von solcher Neuheit und Genialität an, daß wir uns weit über Mozarts Zeit hinaus in die Schubertsche versetzt fühlen; wunderbar poetisch ist auch im weiteren Verlauf die spannende Rückkehr in die Reprise über dem lastenden Orgelpunkt, und endlich die hoffnungslos resignierte Coda mit ihren schleichenden Baßgängen. Auch das Andante[146] bringt trotz seinem freundlicheren Beginn keine Befreiung; auch ihm ist ein Leidenszug eigen, der namentlich in den heftigen dynamischen Akzenten zum Ausdruck gelangt und in dem romantisch eingeführten As-Dur-Mittelsatz eine weiche, elegische Färbung annimmt. Das Menuett greift fühlbar auf die Stimmung des ersten Satzes zurück, ja es steigert dessen Pessimismus noch zu hartem Trotz. Gerade ihm stellt nun aber Mozart in dem holden, volkstümlichen Idyll des Trios mit unvergleichlicher psychologischer Wirkung den denkbar schroffsten Gegensatz gegenüber: wir glauben, aus wildem Bergesgeklüfte in eine ferne, lachende Blütenlandschaft zu schauen. Aber freilich, unser Weg führt nicht dahin, denn der letzte Satz zieht das Fazit des Ganzen im Sinne der Resignation. Bezeichnend ist schon die Variationenform: Mozart nimmt den Kampf gar nicht nochmals auf, sondern bleibt an einer Stimmung haften, deren Charakter er nach seiner Art verschiedentlich zu steigern strebt, ohne jeden Versuch, ihr etwa neue Seiten abzugewinnen. Dieses Sicilianothema hat mit seinem durchlaufenden, hämmernden Rhythmus etwas Eigensinniges und Trotziges22 und in dem refrainartig wiederkehrenden Sätzchen der ersten Geige:


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geradezu etwas Stechendes und Unheimliches; kümmert es sich doch nicht im geringsten um den Harmoniewechsel der übrigen Stimmen. Es ist ein wilder, gespenstischer und in seiner seltsamen Rastlosigkeit geradezu betäubender Reigen; von einer Befreiung im Sinne eines Beethovenschen Finales ist nicht die leiseste Spur vorhanden, und selbst die Durvariation steht unter dem Zeichen des Unsteten und Flüchtigen. Die ganze Dämonie des Satzes bricht aber in der letzten Variation (Più Allegro) hindurch, vor allem dank jenem Motiv, das jetzt seine beiden Sechzehntel zu Triolen verschärft, durch alle vier Stimmen dahinflackert und am Ende herrisch das letzte Wort behält. Das ganze Quartett ist ein ergreifendes Erzeugnis des viel verkannten Pessimisten Mozart, der sich, sehr im Gegensatz zu Beethoven, den dunklen Mächten in der Menschenbrust nicht zu entringen vermag.

Das Hauptthema des Es-Dur-Quartetts macht zunächst Miene, diese grüblerische Stimmung fortzusetzen, indessen klärt schon der Nachsatz den Himmel auf, und das romantische Element bleibt auf jenen Beginn und den Schluß der Durchführung beschränkt, während der Satz im allgemeinen den allerdings etwas unpersönlich gehaltenen Charakter harmloser Heiterkeit festhält. Erst in dem merkwürdig verträumten Andante (s.o.) und dem exotisch angehauchten Trio des Menuetts tritt die Romantik wieder in ihr[147] Recht, um im Finale abermals, diesmal zugunsten Haydnscher sprühender Ausgelassenheit, das Feld zu räumen. Und wiederum scheint das folgende Quartett in B-Dur zunächst an diese Stimmung anzuknüpfen. Sein erster Satz steht von allen seinesgleichen Haydn am nächsten, was den Charakter des Hauptthemas23, das Fehlen eines Seitenthemas und das launige Spiel mit kleinen Themenpartikelchen anbetrifft; nur aus dem seelenvollen, schwärmerischen Durchführungsgedanken (s.o.) blickt uns Mozarts Auge entgegen. Auch hier tragen die beiden Mittelsätze einen intimeren Charakter, das Menuett mit seinem gehaltenen Gesang und besonders das Adagio mit seinen ebenfalls breit hinströmenden Melodien, der dunkeln Pracht des Anfangs und der glühenden Schwärmerei des Seitengedankens, der auf geheimnisvollen, fast an Schumann gemahnenden Harmonien dahergleitet. Das Finale führt wiederum in die Stimmung des ersten Satzes zurück; es ist eine glückliche Verbindung Mozartscher Schalkhaftigkeit mit Haydnschem, volkstümlichem Humor, der schon im Hauptthema zum Ausdruck kommt24.

Das A-Dur-Quartett beginnt zunächst im Tone holden Schwärmens, indessen zeigt die sehr bald auftretende Kontrapunktik, die von jetzt ab dem ganzen Quartett sein eigentümliches Gepräge verleiht, daß hinter dieser Fröhlichkeit doch auch höhere und ernstere Gedanken walten. Vollendet ist schon im ersten Satz die Meisterschaft im Variieren: jedem Gedanken werden bei seiner Wiederholung neue Seiten abgewonnen. Der Grundsatz ist haydnisch, die Anwendung aber durchaus mozartisch. Auch das Menuett schlägt gleich in seinen ersten acht Takten jene gegensätzliche Grundstimmung des Ganzen an; das Trio ist eine von heiterster Laune eingegebene Episode. Ein besonders bedeutender Satz aber sind die folgenden Variationen über ein aus sinniger Beschaulichkeit und schwärmerischer Inbrunst zusammengewobenes Thema. Mozart beginnt es zunächst nach seiner gewohnten Art melodisch zu variieren, allerdings schon in der ersten Variation in einer Weise, die weit über das gewöhnliche Figurieren hinausgeht; man betrachte außer dem allgemeinen kantabeln Charakter besonders die eingestreuten schwellenden Synkopen und die kleinen schwebenden Zweiunddreißigstelmotive mit Pausenbeginn. Auch die folgenden vier Variationen gehen im wesentlichen nicht über eine Steigerung des Grundcharakters des Themas hinaus25, doch macht schon die fünfte, die den freien kontrapunktischen Stil des Ganzen wieder aufnimmt, im zweiten Teil daneben auch Anstalt, dem Thema neue Seiten abzugewinnen, und eben darauf ist die ganze sechste[148] Variation angelegt. Sie baut sich durchweg auf dem Dominantorgelpunkt auf, den der Baß mit dem launigen Motiv:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

festhält. Darüber entspinnt sich eine höchst nachdenkliche, neue Melodie, der es nicht leicht wird, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: es liegt ein Humor von ganz besonderem Reize über diesem Satz. Auch kann sich Mozart zunächst gar nicht davon trennen; er läßt eine Art von Coda folgen, worin jenes Baßmotiv, ohne seinen eigensinnigen Orgelpunktcharakter zu verlieren, der Reihe nach in die oberen Stimmen wandert und dabei ganz unversehens zur Hauptperson wird; seine Gegenmelodien verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Schließlich lenkt aber die erste Geige, als hätte man jenem Motiv schon viel zu lange das Feld überlassen, wieder ins Hauptthema zurück. Diese Schlußvariation gibt eine höchst originelle, gedrängte Übersicht über das Vorhergehende: sie bringt zunächst das Thema selbst bis zur Mitte des 5. Taktes und schließt daran die zweite Hälfte des 13. mit seiner Fortsetzung bis zum Schluß an, so daß also die Modulation nach der Dominante vermieden wird, dann folgt der Beginn des letzten Drittels der 5. Variation, das in gedrängter Form von den drei Oberstimmen fortgesetzt wird; im Basse aber taucht plötzlich wieder jenes kapriziöse Orgelpunktmotiv auf, das denn auch schließlich das letzte Wort behält.

Das chromatisch beginnende Hauptthema des Finales:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

ist eigentlich eine Sequenz mit variiertem zweitem Glied; beide Glieder werden im weiteren Verlaufe für sich kontrapunktisch durchgeführt. Denn dieser Satz führt die Neigung des ganzen Werkes zum strengen Stil auf den Gipfel26: die ernste, sinnende Grundstimmung gewinnt vollständig die Oberhand über die Schwärmerei, die nur in dem schon an Beethoven gemahnenden Gang der ersten Geige:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

episodisch zum Ausdruck kommt; auch die forsche Schlußgruppe klingt mehr herausfordernd als harmlos. Aber Mozart hat jene andere Seite seines[149] Bildes nicht vergessen: in der frommen Schwärmerei des neuen Themas in der Durchführung27:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

des ideellen Seitenthemas des Ganzen, kommt sie deutlich zum Ausdruck.

Über den Charakter des ersten Satzes des C-Dur-Quartetts wurde bereits gesprochen. Diesmal führt der Kampf gegen einen seelischen Druck nicht, wie im d-Moll-Quartett, zur hoffnungslosen Resignation, sondern zur Befreiung. Welch zarte Sehnsucht atmet gleich das erste Allegrothema, das sich schließlich aus dem dunklen Chaos der Einleitung emporringt:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

und nach allen romantischen Wanderungen mit dem schwärmerischen Augenaufschlag28:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

den Satz leise beschließt! Die Krone des Werkes ist aber das Andante, von dem Jahn mit Recht sagt, daß es uns in eine Region seligen Friedens erhebe, wo die Erinnerung an Schmerz und Leidenschaft zur Verklärung wird29. Innige Sehnsucht in der prachtvoll geschwungenen Hauptmelodie, verklärtes Träumen in den auf kurzen Motiven einherschwebenden Nebenpartien bilden seinen Gefühlsinhalt; das zweite Thema erinnert mit seinen Tonwiederholungen, seiner Einführung auf einer Dissonanz und der imitatorischen Führung an eine Partie im Andante der großen Es-Dur-Sinfonie. Während das Menuett wieder auf die Stimmung des ersten Satzes zurückgreift und in seinem Trio sogar recht dunkle Töne der Leidenschaft anschlägt, klärt sich der Himmel im Finale völlig auf. Es ist nicht die ausgelassene Heiterkeit Haydns, sondern eine mehr gehaltene, die in der As-Dur-Episode sich sogar wieder zu edler Schwärmerei steigert; so hält Mozart[150] auch in diesem Quartett an der schon im ersten Satze angeschlagenen gegensätzlichen Grundstimmung bis zum Schlusse fest.

Eine Mittelstellung zwischen den Streichquartetten und der folgenden Gruppe nehmen die beiden Duos für Violine und Bratsche in G- und B-Dur ein (K.-V. 423, 424, S. XV. 1, 2, s.o.S. 33), die ja auch zeitlich am Anfang dieser Periode stehen. Es war ein Gefallen, den Mozart damit M. Haydn erwies, aber auch zugleich eine Ehrung für diesen Meister. Als solche faßte dieser die Kompositionen auch auf, ebenso hat Mozart selbst darauf besonderen Wert gelegt. Natürlich ist der stilistische Einfluß Haydns besonders deutlich, wie die langsame Einleitung des B-Dur-Duos, die Vorliebe für ausgedehnte Codas und manche Einzelheiten lehren. Im allgemeinen berühren sich die Werke, besonders das erste, stilistisch noch mit den Streichquartetten, namentlich was die Selbständigkeit der Stimmen anbelangt, weisen aber auch schon auf die gleichzeitige konzertierende Kammermusik hin, besonders das zweite mit seinem virtuosen Dominieren der Violine; auch der Sechsachteltakt des zweiten Mittelsatzes und die gavottenartigen Themen der beiden Finales gehören hierher. Das G-Dur-Duo ist im allgemeinen strenger gearbeitet, es bringt zahlreiche Imitationen, ja sogar einzelne kanonische Partien, wiederholt aber auch seine meisten Themen mit Vertauschung der beiden Stimmen; namentlich kommen bei dieser Art häufig Kreuzungen der Stimmen vor. Haydn mag an diesem Werk seine besondere Freude gehabt haben, dessen erster Satz geradezu ein Muster dieses soliden Stiles ist. Seine von einer freien Umbildung des Seitengedankens30 ausgehende und dann eine akkordische Nebenpartie verarbeitende Durchführung gemahnt wiederum an die Art der Kammermusik mit Klavier. Das Adagio bietet einen schönen Beleg dafür, wie Mozart die Sprödigkeit des keine volle Harmonie zulassenden zweistimmigen Satzes zu mildern weiß: er bringt die Akkorde in gebrochener und dabei doch sehr ausdrucksvoller Form. Man vergleiche nur die Umbildung der ersten simplen Bratschenbegleitfigur im fünften Takt: das weist bereits auf die prachtvollen Akkordbogen im Adagio des Es-Dur-Streichtrios (K.-V. 563) voraus. Überhaupt ist unser Mittelsatz ein schönes Beispiel für Mozarts Kunst der ornamentalen Variation. Hinter dem verträumten Charakter dieses und des nächsten Mittelsatzes mag man nicht mit Unrecht wiederum M. Haydns Einfluß wahrnehmen. Das Rondo, dessen Hauptgedanke ein alter Liebling Mozarts31 ist, gleicht in seinem Bau mit den beiden Episoden, von denen die zweite, bedeutendere, in Moll steht, gleichfalls den Finales der Klavierquartette. Die Mollepisode hebt sich nicht allein durch ihre[151] strenge Kanonik, sondern auch durch ihren ungewöhnlichen Modulationsgang, von e- nach g-Moll, heraus. Auch der Abschied vom Hauptthema in der höheren Oktave am Schluß ist von sehr schöner Wirkung. Im B-Dur-Duo erinnert gleich die langsame Einleitung nicht allein der Form, sondern auch dem romantischen Geiste nach an M. Haydn. Auch das im Gegensatz zu seinem ernsten Vorgänger behagliche Heiterkeit ausströmende Allegro, das im Bau jenem völlig gleicht, hat seine kapriziösen Augenblicke: kurz abschnappende Motive, einen widerborstigen Kanon in der Durchführung und einen launigen Abschluß in der Coda. Während der Mittelsatz aus einem reich verzierten Sicilianogesang der Geige besteht, bringt der letzte Variationen über ein äußerst schalkhaftes Thema, dessen Humor besonders in der zweiten und vorletzten Variation noch gesteigert wird und sich in der kleinen Coda in behaglichem Schnurren der Bratsche empfiehlt. Ob der Erzbischof diesen Humor seines alten Konzertmeisters verstanden hat? An Tiefe können sich die Variationen mit den andern aus dieser Zeit natürlich nicht messen; formell ist wichtig, daß die beiden letzten das Tempo wechseln, die letzte auch den Takt, ohne daß freilich dem Thema besonders neue Seiten abgewonnen würden.

Stilistisch eine Gruppe für sich bilden die Kammermusikwerke mit Klavier. Sie liegen ziemlich weit ab von den Streichquartetten und nähern sich dafür mehr den Konzerten. Es ist kein Zufall, daß die überwiegende Mehrzahl dieser Schöpfungen, soweit sie das Zusammenwirken des Klaviers mit mehr als zwei andern Instrumenten betrifft, gerade in diesen Zeitraum fällt, wo Mozart sich als konzertierender Pianist besonders häufig hören ließ. Er hat sie durchaus vom Standpunkte des Konzerts aus betrachtet, das lehrt schon rein äußerlich die Dreisätzigkeit mit dem stehenden Schlußrondo im Gegensatz zur Viersätzigkeit der Streichquartette, und die virtuose Ausführung des Klavierpartes. Trotzdem hat dieser keineswegs das Übergewicht über die andern Stimmen; wir finden kaum eine Spur von orchestralen Wirkungen in dem Sinne, daß das Klavier Kern und Hauptsache wäre und die andern Instrumente nur zum Verstärken und Füllen, höchstens zu einzelnen Soli verwandt würden – von der absoluten Vorherrschaft des Klaviers im Sinne R. Schumanns ganz zu schweigen. Das herrschende Stilprinzip ist vielmehr durchaus die Wechselchörigkeit; das Klavier und die geschlossene Masse der übrigen Instrumente treten sich als völlig gleichberechtigte Klangkörper gegenüber, und zwar geschieht ihr Alternieren häufig im engsten Raume desselben Themas, so daß die eine Partei den Vordersatz, die andere den Nachsatz übernimmt. Es kommt, namentlich in den langsamen Mittelsätzen, auch vor, daß sich die Gruppe der Bläser oder Streicher teilt und ihre einzelnen Glieder miteinander konzertieren läßt: dann begleitet das Klavier in zwar manchmal virtuoser, aber stets durchsichtiger, niemals aufdringlicher, meist akkordischer Weise. Dieser konzertierenden Art entspricht auch die Kompositionstechnik: die strengere Arbeit der Streichquartette, vor allem deren Kontrapunktik, fehlt, ja mitunter tauchen in den Durchführungen[152] sogar wieder neue Gedanken auf. Aber auch wo Mozart thematisch bleibt, ist die Arbeit weit lockerer und gleicht mehr einem geistreichen Geplauder als einer eindringenden Erörterung bestimmter Themen. Überhaupt ist der ganze Stimmungskreis dieser Werke, den ersten Satz des g-Moll-Quartetts ausgenommen, weit daseinsfreudiger als in den Streichquartetten, und namentlich die letzten Sätze entlassen den Hörer mit freundlichen Eindrücken. Indessen hat Mozarts Stilgefühl zwischen den Konzerten und diesen Kammermusikwerken doch eine feine Grenze gezogen. Daß er in ihnen eine Gattung mit besonderen Stilgesetzen sah, lehrt die Tatsache, daß alle drei Werke nach Form und Inhalt, namentlich in den beiden letzten Sätzen, sehr nahe verwandt sind. So stehen alle Mittelsätze im 3/8-Takt und tragen Larghetto-Charakter, an dem auch die Bezeichnung Andante in K.-V. 478 nichts Wesentliches ändert; sie vertreten außerdem alle einen Typus zartesten, mitunter romantisch versonnenen Träumens, das sich einer Tonsprache von zauberhafter Klangschönheit bedient. Die Finales aber, sämtlich Allegrettos alla breve, gleichen einander sowohl in der Art ihrer Rondoform: Hauptthemengruppe mit zwei ausgedehnten Episoden, von denen die zweite in Moll steht, und Vertauschung der einzelnen Gruppenglieder, als namentlich im Stimmungsverlauf. Sie alle gehen von französisch-gavottenhaften, ins wienerisch Volkstümliche spielenden Hauptgedanken aus und knüpfen daran einen lockeren, bald schalkhaften, bald festlich glänzenden Reigen, über den kaum einmal ein dunkles Wölkchen hinhuscht.

Nur das zeitlich erste dieser Werke, das von Mozart selbst besonders hoch geschätzte Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott in Es-Dur (K.-V. 452, S. XVII. 1)32 schickt seinem ersten Satze eine langsame Einleitung voraus, und zwar von solcher Ausdehnung, daß man fast vergißt, daß es sich um eine Einleitung handelt. Schon diese Partie offenbart alle Eigentümlichkeiten dieser Art von Kammermusik: das strenge Konzertieren, oft auf engstem Raume, und das geistreiche motivische Spiel mit kleinen Motiven. Ihm verdanken wir den merkwürdig spannenden Charakter dieses schönen Satzes; dabei ist die Harmonik, wie überhaupt in dieser Gruppe im Gegensatz zu den Streichquartetten, äußerst einfach und durchsichtig, sie beschränkt sich z.B. hier ausschließlich auf Tonika und Dominante. Das Allegrothema enthält gleich einen Stimmungsumschlag: das Klavier beginnt allein, leise, in launiger Schwärmerei, alsbald fährt aber das Tutti forte dazwischen und reißt die Stimmung in das Gebiet männlicher Kraft empor. Nachdem wie gewöhnlich die Rollen vertauscht sind, folgt eine Übergangspartie, in der Mozart, wie häufig in diesen Werken, das Klavier eine reiche Virtuosität entfalten läßt, während die andern Instrumente nur begleiten. Dann geht der Dialog weiter; im zweiten Thema wechseln Frage und Antwort sogar innerhalb zweier Takte. Auch hier werden bei der Wiederholung alsbald die Rollen vertauscht; man beachte[153] aber, wie Mozart die Fassung derselben Gedanken der Ausdrucksfähigkeit der Instrumente entsprechend ändert. Bei dem mit der Zweiunddreißigstelskala beginnenden Motiv stehen wir vor einer der seltenen Stellen, wo sich ein kurzer Ansatz zu rein obligater Führung der Stimmen findet; bezeichnenderweise trägt sie gleich den meisten ihresgleichen den Charakter einer Kadenz33. Die Durchführung ist sehr knapp, aber dafür um so geistvoller. Nachdem die Blasinstrumente mit den beiden letzten Noten des vom Klavier angestimmten ersten Themaabschnittes ein spannendes modulatorisches Echospiel getrieben haben, versuchen sie es nun selbst mit dem Hauptthema, bleiben aber ihrerseits gleich an dem ersten Motiv des zweiten Taktes hängen, das sie sich nunmehr beständig schalkhaft zurufen, bis wir plötzlich ganz unversehens in die Reprise hineingleiten. Aber jenes thematische Spiel hat den Bläsern so gut gefallen, daß sie Miene machen, es gleich zu Anfang der Reprise fortzusetzen, wodurch diese eine höchst reizvolle Variante erfährt. Von dem allgemeinen Charakter des Larghettos war schon die Rede; sein Schwerpunkt beruht weniger auf dem Hauptthema34 als auf den verschiedenen Nebengedanken. Das Seitenthema bringt einen prachtvoll geschwungenen, breiten Gesang, der von den einzelnen Bläsern Phrase für Phrase weitergesponnen wird, während das Klavier in gebrochenen Akkorden begleitet. Seine ideelle Steigerung bildet das neue Thema in der Durchführung, das allerdings von den Bläsern bald in eine harmonisch äußerst kühne, seltsam erregte Partie mit dem Halbschluß auf der Dominante von e-Moll hineingetrieben wird, aus der das Klavier mit einer kontrastreichen Dynamik fast verzweifelt den Ausweg sucht; das ganz unerwartet eintretende Hauptthema wirkt wie eine Erlösung. Ähnliche romantische Rückgänge finden sich übrigens auch an den entsprechenden Stellen der andern Werke dieser Gruppe. Auch jetzt wird die Reprise in steigerndem Sinne variiert. Die Rondoform des Finales steht weit ab von dem Rondo Ph. E. Bachs, der wie im Sonatensatz, so auch hier aus einem Hauptthema allmählich den ganzen Ausdrucksgehalt herausholt; tritt dieses doch bei Mozart stets, im Gegensatz zu Bach, in derselben, nämlich der Haupttonart auf. Auch hier handelt es sich nicht um ein Verarbeiten, sondern um ein Nebeneinanderstellen mehrgliedriger Themengruppen, deren Glieder mitunter frei vertauscht werden, so daß z.B. das zweite Glied der ersten Gruppe der zweiten oder dritten angehängt wird usw. So mündet z.B. die Mollepisode statt in das erwartete Hauptthema in die erste Episode aus, die nun aber ihrerseits nicht regelrecht fortgesetzt wird, sondern in das zweite Glied der Hauptgruppe übergeht. Die Virtuosität des Klaviers in den Übergangspartien wird gesteigert, vor dem Schluß erscheint sogar eine regelrechte Konzertkadenz, von sämtlichen Instrumenten ausgeführt. Die Bläser führen[154] ein aus der älteren Musik bekanntes, in diesem Satze aber neues Vorhaltsmotiv streng imitatorisch durch, während dem Klavier im wesentlichen die Rolle des Begleiters zufällt. Es ist eine der reizvollsten Kadenzen, die Mozart ausgeschrieben hat; sie kann uns einen Begriff von der geistreichen kombinatorischen Art geben, mit der er seine freien Kadenzen auszuführen pflegte. Auch das Folgende ist überraschend genug. Mozart bringt nämlich von seinem Hauptthema, auf das er uns in der Kadenz so gespannt gemacht hat, nur die ersten acht Takte, dann scheint es wie hinter Schleiern zu verschwinden. Ein Spiel mit nachschlagenden Oktaven im Klavier, zuerst in Achteln, dann in Achteltriolen und auf drei Oktaven gesteigert, dazu ein nur langsam in Gang kommender Gesang in den Bläsern, der fast wie ein gut gelauntes Buffoensemble klingt, führen mit einer auffallenden, aber echt Mozartschen Dynamik, die man nicht durch Übergangscrescendos verwischen darf, den Satz zu Ende.

Von der Beliebtheit des Werkes zeugen verschiedene Bearbeitungen, von denen aber keine einzige von Mozart selbst herrührt; sie sind zum Teil schon technisch ungeschickt gemacht, aber auch den besseren fehlt natürlich der Hauptreiz des Klanges35. Auch Beethoven ist durch das Werk unmittelbar zu seinem eigenen Klavierquintett mit Bläsern op. 16 aus dem Jahre 1797 angeregt worden. Die Tonart sowie die Zahl und Form der einzelnen Sätze (besonders die langsame Einleitung des ersten und die Rondoform des letzten Satzes) sind dieselben, auch den konzertierenden Stil im allgemeinen hat sich Beethoven zum Muster genommen. Vergleichende Werturteile sind indessen wieder einmal müßig, denn beide Werke spiegeln die Eigentümlichkeiten ihrer Schöpfer getreu wider und stehen künstlerisch durchaus auf derselben Stufe36.

Das erste der beiden Quartette für Klavier, Violine, Viola und Violoncello (K.-V. 478, 493, S. XVII. 2, 3) in g-Moll und Es-Dur vom Juli 178537 und 3. Juni 1786 nähert sich mit seinem leidenschaftlichen Ton am meisten der[155] Sphäre der Streichquartette. Schon sein erstes Thema ist mit seinem unvermittelten Gegensatz von heroischem Trotz und grüblerischem Sinnen ein echter Mozart. Es zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Länge aus, und namentlich von dem punktierten Rhythmus des Anfangs kann sich Mozart gar nicht trennen: er läßt ihn bald schmerzlich klagen, bald wild sich aufbäumen, wobei es auch vorkommt, daß die beiden Parteien thematisch ihre eigenen Wege gehen. Zu einer Lösung der Gegensätze kommt es nicht. Erst das zweite Thema schlägt ruhigere Töne an, schließt aber den ganzen Teil am Ende doch recht kleinlaut ab. Die Durchführung beginnt, gleich so vielen Werken jener Zeit, mit dem rückleitenden Motiv der vorhergehenden Schlußtakte, greift dann aber bald das Seitenthema in einer freien, vergrößerten und hauptsächlich kantabeln Umbildung auf, und auf Grund dieses Gedankens entspinnt sich nun eine von den beiden Streicheroberstimmen in Engführungen vorgetragene Partie, die, vom Klavier zweimal in gewaltsamen modulatorischen Rückungen unterbrochen, einen immer erregteren und finstreren Charakter annimmt, namentlich wie sich die jäh aufschießenden Sechzehntelskalen einmischen. Richtig stellt sich jetzt auch wieder das Hauptthema ein und führt in trotzigem Dialog mit jenem Sechzehntelmotiv schließlich die Reprise herbei. Auch sie wird gleich am Anfang zugunsten der Kampfgeister des Satzes verändert. Vor allem aber hält sie sich nach Mozarts bekannter Art38 durchaus innerhalb der Tonart g-Moll, deren trübe Stimmung jetzt auch das Seitenthema ergreift, und dieses düstere Bild wird in der Coda noch ins Wilde und Dämonische gesteigert; kaum daß der sinnende Zug des Satzes noch einmal in dem rührenden, konzertierenden Spiel von Klavier und Geige mit dem Motiv:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

zur Geltung kommt. Gleich darauf aber rast das Hauptthema in den Streichern in voller Wildheit los, begleitet von einer Klavierfiguration in gebrochenen Akkorden, die durchaus nicht etwa spielerisch gemeint ist, sondern ihren vollen Anteil an der allgemeinen Erregung hat39; am Schlusse vereinigen sich alle Instrumente zu einem Unisono von geradezu schauerlichem Ausdruck.

Ähnlich wie die ersten Allegros der Moll-Klavierkonzerte biegt also dieser Satz aus dem herkömmlichen Gefühlskreise aus und steht als ein Bekenntnis des dämonischen, leidenschaftlichen Mozart unter seinesgleichen ganz einzig da. Aber als hätte der Meister in dieser Umgebung schon zuviel von jener[156] Seite seines Wesens enthüllt, kehrt er in den folgenden Sätzen wieder zum alten Gesellschaftston zurück. Nur in der stillen Wehmut, die über dem Andante liegt, und in der eigentümlichen Unruhe der kaum aussetzenden Zweiunddreißigstelskalenmotive scheint ein Nachhall des vorhergehenden seelischen Aufruhrs zu liegen. Der Satz ist ebenso klar im Bau wie einheitlich in der Stimmung, er kommt immer wieder auf dieselben Motive zurück. Auch der letzte Satz hält sich bei aller Heiterkeit doch von jeder Tändelei fern: schon sein Hauptthema trägt in seinen Synkopen und seinem Aufwärtsdrängen in engen Intervallschritten einen Zug der Erregung und Spannung in sich. Für die erste Episode ist der Reichtum an Themen bezeichnend: Motive gemütvoller Schwärmerei, sinniger Grazie40 und volkstümlicher Fröhlichkeit lösen einander unmittelbar ab; das letzte (in D-Dur) ist Haydnschen Geistes, erhält aber durch die Phrasierung einen launigen, fast burschikosen Zug. In der e-Moll-Episode dagegen klingt die Kampfstimmung des ersten Satzes noch einmal nach: ein unwirsch polternder Anfang und als Antwort darauf eine kleinlaute, Hilfe suchende Partie im andern Instrumentenkörper; auch der weitere Verlauf führt in recht dunkle, ja unheimliche Gebiete, bis die Streicher mit dem Anfangsmotiv des Hauptthemas die Befreiung zu erzwingen suchen. Sie kommt auch, aber nicht mit dem erwarteten Hauptthema, sondern in sehr origineller Weise mit dem vom Klavier angestimmten ersten Seitengedanken, der die Stimmung endgültig aufklärt. Nur noch einmal, bei dem überraschenden Trugschluß auf Es, machen sich zum letztenmal die romantischen Geister des Werkes geltend.

Einen intimeren und zugleich daseinsfreudigeren Charakter trägt das Schwesterwerk in Es-Dur, dessen formaler Bau bis in Einzelheiten, wie z.B. die Gestaltung des Rondos, hinein derselbe ist. Sein erster Satz beginnt mit einem echt Mozartschen, verträumten Gesangsthema41, dem dann der schwärmerische Augenaufschlag des zweiten Themas:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

zur Seite tritt. Es ist der eigentliche Held des Satzes und beherrscht die gesamte, wieder auf Baßsequenzen aufgebaute Durchführung in den Streichern, zuerst einfach konzertierend, dann in Engführungen; es ist ein unersättliches Schwelgen in der Sphäre dieses einzigen, männlich schönen Gedankens; auch in der Coda drückt er dem Ganzen nochmals sein Siegel auf. Die Krone des Werkes ist aber das Larghetto in As-Dur, ein Satz von unbeschreiblicher Innigkeit der Empfindung. Auch ihm fehlt der verträumte[157] Zug nicht; er findet seinen Ausdruck besonders in dem von höchster Genialität eingegebenen, auf sehnsüchtig dahingleitenden Harmonien sich vollziehenden Rückgang in den Anfang und in der nicht minder zauberhaften Coda mit ihrer das leise verklingende Hauptthema zart umrankenden Figuration. Der Grundcharakter des Finales ist harmlose Fröhlichkeit, mit Beschaulichkeit gepaart; der Nebengedanke:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

mischt sich in allerhand reizvollen kontrapunktischen Verkleidungen auch während der Episoden immer wieder ein und entwickelt aus seinen drei letzten Noten sogar das erste Episodenthema, ja mittelbar auch die Mollepisode. Sie ruft diesmal trotz ihrer Länge keine ernstliche Störung hervor, sondern gleicht mehr einer virtuosen Klavierphantasie; auch sorgen immer wieder Glieder aus andern Themengruppen dafür, daß die Sache nicht zu ernst wird. Das schließliche Ergebnis ist, wie im g-Moll-Quartett, die Rückkehr nicht des Anfangs, sondern der ersten Episode.

Wie fremd diese Quartette das damalige Publikum anmuteten, lehrt ein Wiener Bericht »über die neueste Favoritmusik in großen Conzerten« aus dem Jahre 178842:


In der Liebhaberei der Damen gilt auf dem Pianoforte vor allen Kozeluch, doch fängt Pleyel an ihm den Rang abzulaufen. Allerdings ist in Pleyels Musik viel Humor und mehr neue originelle Erfindung als in Kozeluchs, obgleich auch diesem Componisten ein regelmäßiger Satz, Eleganz und ein gewisser Fluß natürlicher Gedanken nicht abzusprechen ist. – Mozart ist nun auch als kais. Kapellmeister nach Wien gegangen. Er ist ein merkwürdiger Mann für jeden philosophischen Liebhaber der Tonkunst. Er war ein äußerst frühzeitiges Genie und componirte und spielte schon in seinem neunten Jahr (ja noch früher) als wahrer Virtuos zu jedermanns Verwunderung. Was aber sehr selten ist, er war nicht nur ungewöhnlich früh ein geschickter Musikus, sondern reifte auch glücklich fort und zeigte sich in bleibender Gedeihlichkeit als Mann. Man kennt die vorüberblitzenden schnellen Genien aus leidiger Erfahrung! Wo sind die Früchte zu rechter Zeit? und Dauer in Solidität? Nicht so bei Mozart! Jetzt nur ein paar Worte über ein bizarres Phänomen, das er (oder seine Berühmtheit) veranlaßt. Es kam vor einiger Zeit ein einzelnes Quadro (für Clavier, Violine, Viola und Violoncell) gestochen heraus, welches sehr künstlich gesetzt ist, im Vortrage die äußerste Präcision aller vier Stimmen erfordert, aber auch bei glücklicher Ausführung doch nur, wie es scheint, Kenner der Tonkunst in einer »musica di camera« vergnügen kann und soll. Der Ruf: Mozart hat ein neues, gar besonderes Quadro gesetzt, und die und die Fürstin besitzt es und spielt es! verbreitete sich bald, reizte die Neugierde[158] und veranlaßte die Unbesonnenheit, diese originelle Composition in großen lärmenden Concerten zu produciren und sich damit invita Minerva zum Prunk hören zu lassen. Manches andere Stück soutenirt sich auch noch bei einem mittelmäßigen Vortrag; dieses Mozartsche Produkt aber ist wirklich kaum anzuhören, wenn es unter mittelmäßige Dilettantenhände fällt und vernachlässigt vorgetragen wird. Dies ist nun im vorigen Winter unzähligemal geschehen; beinahe wo ich auf meiner Reise hinkam und in einige Concerte eingeführt wurde, kam ein Fräulein oder eine stolzirende bürgerliche Demoiselle oder sonst ein naseweiser Dilettant in rauschender Gesellschaft mit diesem Quadro angestochen und prätendirte, daß es goutirt werden sollte. Es konnte nicht gefallen; alles gähnte vor Langerweile über dem unverständlichen Tintamarre von vier Instrumenten, die nicht in vier Takten zusammenpaßten und bei deren widersinnigem concentu an keine Einheit der Empfindung zu denken war; aber es mußte gefallen, es mußte gelobt werden. Mit welchem Eigensinne man dies beinahe allerwärts zu erzwingen gesucht hat, kann ich Ihnen kaum beschreiben. Diese Thorheit eine ephemerische manie du jour zu schelten sagt zu wenig, weil sie fast einen ganzen Winter hindurch gewährt und sich (nach allem dem was ich noch nebenzu erzählungsweise vernommen habe) viel zu wiederholt gezeigt hat. – – Welch ein Unterschied, wenn dieses vielbemeldete Kunstwerk von vier geschickten Musikern, die es wohl studirt haben, in einem stillen Zimmer, wo auch die Suspension jeder Note dem lauschenden Ohr nicht entgeht, nur in Gegenwart von zwei oder drei aufmerksamen Personen höchst präcis vorgetragen wird! Aber freilich ist hierbei an keinen Eclat, an keinen glänzenden Modebeifall zu denken, noch conventionelles Lob zu lucriren.


Gewissermaßen ein Parergon zu den Quartetten bildet das Trio in G-Dur für Klavier, Violine und Violoncello (K.-V. 496, S. XVII. 6) vom 8. Juli 1786. Die Dreisätzigkeit, das Konzertieren und sogar Einzelheiten, wie z.B. das gavottenhafte Allegrettothema des Finales deuten darauf hin. Allerdings wird darin häufig auch auf eine andere Art konzertiert. Zwar wirkt die Nachbarschaft der Quartette sichtlich in der selbständigeren Führung des Cellos nach, indessen ist die ältere, generalbaßmäßige Art noch keineswegs überwunden. Manche Partien gemahnen an das Konzertieren innerhalb der Violinsonate, so daß also nur Geige und Klavier konzertieren, während das Cello mit dem Klavierbaß geht. In anderen ist wiederum die Wechselchörigkeit zwischen Klavier und Streichern nicht reinlich durchgeführt; so konzertieren z.B. in der Durchführung des ersten Satzes Klavierbaß und Cello, dann die Geige und die Oberstimme des Klaviers miteinander. Und endlich taucht auch, namentlich im Andante, der rein obligate drei- oder vierstimmige Satz statt des Konzertierens auf, – kurz, die Mannigfaltigkeit der Schreibweise ist bedeutend größer als in den Klavierquartetten und Violinsonaten. Freilich ist sie weniger das Ergebnis bewußten Strebens als einer gewissen Unsicherheit; der Stil des modernen Klaviertrios ist noch nicht erreicht. Um so geschlossener ist dagegen der Gedankenaufbau des Werkes. Mozart hat kein zweites Trio von gleich gedrungener Einheitlichkeit geschrieben. Im Mittelsatz kommt gegen den Hauptgedanken überhaupt kein anderer auf. Er ist zugleich ein guter Beleg für einen anderen Stilunterschied[159] gegenüber den Klavierquartetten: das weit häufigere Auftreten des Kontrapunktes. Hierin gemahnt das Trio weit eher an die Streichquartette; es liebt es auch, gleich diesen aus an und für sich ganz unbedeutenden Neben- und Übergangsmotiven höchst reizvolle kontrapunktische Gespinste hervorzulocken (vgl. den Schluß des Andantes). Der Grundton des Ganzen, der schon im ersten Thema unmißverständlich angeschlagen wird, ist Energie und Entschlossenheit, die in den Variationen des Finales mit ihrem echten Rokokothema den Charakter frohen Kraftgefühls annehmen. Nur einmal stockt der frohe Zug, in der 4. Variation in g-Moll, einem der ergreifendsten Stimmungsbilder, die Mozart geschaffen hat. Wie an einer fixen Idee bleibt die Violine hier an dem kleinen Motiv:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

haften und senkt sich dann bis zum g herab; darunter ergeht sich das Cello in resignierten Viertelgängen, und vollends das Klavier windet sich in verzweifelter Ziellosigkeit in Achteln darüber hinweg und kommt in seiner Oberstimme gleichfalls von dem flehenden Motiv


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

nicht los. Wie banges, schweres Seufzen und Fragen klingt's aus der Mittelpartie, dann gleiten wir in die alte Trostlosigkeit zurück. Sätze wie dieser sind besonders geeignet, das kindische Geschwätz mancher Modernen von dem »unentwickelten Seelenleben« der älteren Meister Lügen zu strafen. Und wie schön und ergreifend wirkt dann die Befreiung in der schwärmenden Adagiovariation! Aber jenes hoffnungslose Bild hat sich in Mozarts Seele doch so tief eingenistet, daß er es nach dem Festglanz der letzten Variation noch einmal heraufbeschwört: trotz allem Widerstreben werden wir wieder in das trübe g-Moll hineingezogen, und kaum gelingt in dem etwas krampfhaft abgerissenen Schlusse der Ausweg ins Freie.

Zur konzertierenden Kammermusik zählt endlich auch das Quintett für Horn, Violine, zwei Bratschen und Baß in Es-Dur (K.-V. 407, S. XIII. 3), das sicher zwischen 1782 und 1784 für Leutgeb43 geschrieben ist. Ein Quintett in strengem Sinne ist es nicht, weit eher könnte man es eine Hornsonate nach Analogie der Violinsonaten nennen, nur daß der Klavierpart von Streichinstrumenten ausgeführt wird. Es konzertieren darin fast ausschließlich nur Horn und erste Geige, die Unterstimmen beschränken sich darauf, zu begleiten. Die Form ist wiederum dreisätzig; dem Charakter nach[160] scheint das Stück auf das Wesen des gutmütigen Leutgeb berechnet zu sein: nicht eben tief und bedeutend, aber voll gesunden und ursprünglichen Musikantentums; an einzelnen Stellen, besonders des Finales, bricht außerdem ein kräftiger Humor hindurch. Alles das läßt das Quintett den äußerlich weit anspruchsvolleren Hornkonzerten entschieden überlegen erscheinen.

Die beiden Violinsonaten in B- und Es-Dur (K.-V. 454, 481) verraten in ihren Dimensionen, ihrer Art des Konzertierens, ihrer Virtuosität, der Melismatik ihrer Mittelsätze und in manchen Einzelheiten die Nachbarschaft der Konzerte. Charakteristisch ist für sie der große Reichtum an Ideen, vor allem kantabler Natur, auch an Stellen, wo Mozart sonst figurative Themen bevorzugt, wie z.B. in den Schlußgruppen, und die Lust, mit der Form zu experimentieren. So holt K.-V. 454 nach einer im Geiste einer freien Phantasie gehaltenen Durchführungspartie44 die eigentliche Durchführung am Beginn der Reprise nach und gestaltet dabei das Hauptthema ganz um, auch das Seitenthema wird jetzt durch eine ganz neue Übergangsgruppe eindringlich vorbereitet. In K.-V. 481 wird in der Durchführung Mozarts altes Lieblingsthema aus der F-Dur-Messe45 neu eingeführt und in Schobertschen Harmoniebogen durchgeführt; es erscheint dann in der Coda wieder, wobei es mit dem eigentlichen Schlußthema und dem bei der Reprise unterdrückten zweiten Teil des Hauptthemas kombiniert wird. Dergleichen, sowie die bunte Fülle und der Wechsel der Gedanken verleiht diesen Werken etwas Improvisatorisches, dessen man sich klar bewußt wird, wenn man z.B. die c-Moll-Sonate für Klavier allein (K.-V. 457) daneben hält. In K.-V. 454 hat Mozart sogar auf eine langsame Einleitung zurückgegriffen, zugleich ein vollendetes Beispiel für die Art des Konzertierens, die die von dem einen Instrument gebrachte Phrase alsbald mit echt Mozartscher Melismatik von dem anderen wiederholen läßt46. Das Allegro befolgt dagegen die andere Art, dasselbe Thema entweder auf beide Instrumente zu verteilen oder der Violine selbständige oder imitatorische Gegenmelodien zu geben. Der Schwerpunkt beider Werke beruht aber auf ihren langsamen Sätzen. Edler und tiefer empfundene Elegien hat Mozart kaum geschrieben. Stellen wie die zu Beginn des zweiten Teiles von K.-V. 454 mit ihrer verhaltenen Glut oder die auf beide Instrumente verteilte Wiederholung des Hauptthemas mit ihrem verschlungenen Übergangsgesang vergißt man nicht so leicht wieder. Dabei erscheinen, besonders vor der Rückkehr ins Hauptthema, Partien von unerhörter harmonischer Kühnheit, die vor allem die Enharmonik in originellster Weise ausnützen, Träumereien von echt Mozartscher Romantik. Die Krone bildet das Adagio in As-Dur von K.-V. 481 in Rondoform, dessen bei jeder Wiederholung neu variiertes[161] Thema für Mozarts Art zu variieren typisch ist. Die beiden von der Geige vorgetragenen Seitensätze in f-Moll47 und Des-Dur aber sind wahre Perlen edlen Gesanges; der zweite führt außerdem in seiner Schwärmerei weit hinweg von der Haupttonart und zaubert schließlich das Bild des Hauptthemas in A-Dur vor, ganz nach der Art der Rondos von Ph. E. Bach – es ist zugleich das einzige Mal, daß die Violine damit bedacht wird; allerdings kehrt es gleich darauf in As-Dur wieder. Dasselbe Spiel entwickelt sich in der Coda nochmals, wird aber durch die enharmonische Verwechslung von E-Dur (Fes-Dur) und die darauf folgende, hier zweifellos etwas frostig wirkende Arienkadenz, abgebrochen. Von den Schlußsätzen ist der von K.-V. 454 ein Rondo mit gleichfalls sehr gesangsmäßigen Seitensätzen und sehr ausführlichen und geistvollen Rückleitungen ins Hauptthema48, der von K.-V. 481 einer der in den Violinsonaten überhaupt beliebten Variationensätze, über ein wienerisch-französisches Thema; die zweite und vierte Variation ragen besonders hervor, jene durch ihre feine chromatische Melismatik im Klavier, diese durch ihre Selbständigkeit dem Thema gegenüber; sie ist ein fein durchgearbeitetes Charakterstück für sich. Die beiden letzten sind Doppelvariationen; eine entzückende motivische Coda beschließt den Satz.

Das äußerlich glänzendste Instrumentalwerk dieser Zeit ist die Sinfonie in C-Dur (K.-V. 425, S. VIII. 36), am 3. November zu Linz vollendet (s.o.S. 34). Sie trägt noch stärker als ihre Vorgängerin in D-Dur die Züge J. Haydns49. Das lehren gleich die langsame Einleitung mit ihrem Übergang von spannendem Pathos zu träumerischem Sinnen und die rauschende Forte-Wiederholung des im übrigen echt Mozartschen Allegrothemas; auch die Bewegung der Bässe unter dem folgenden strammen Marschthema ist haydnsch. Aber alle diese bisweilen geradezu demonstrativen Äußerungen der Kraft münden regelmäßig in Partien von merkwürdig versonnenem Gepräge aus, das durch eine ganz eigentümliche Führung der Bläser noch gesteigert wird; man beachte z.B. den leisen Nachhall, den die Bläser dem hier die Stelle des Seitenthemas vertretenden Fortegedanken in e-Moll nachsenden. So hängt Mozart auch der diesmal breit ausgeführten Schlußgruppe noch ein von den ersten Geigen allein vorgetragenes Thema an, das von Hause aus, wie so oft in den Werken dieser Periode, als Rückgang gedacht ist, aber in der Durchführung sehr bald zur Hauptperson wird und dabei erst seinen eigentlichen, sehnsuchtsvoll drängenden Charakter offenbart; auch in der Coda, die hier ebenfalls ziemlich lang ausgesponnen ist,[162] kommt Mozart wieder darauf zurück, ein Beweis dafür, wie wichtig ihm der Gegensatz der Stimmungen in diesem Werke war. Auch im Andante geht es nicht ohne scharfe dynamische Akzente und bedeutungsvolle Bläserwirkungen ab, man denke nur an das barsche g, das die Bläser im Seitengedanken den Streichern immer wieder entgegenhalten, und an den Beginn der Durchführung; auch hier schwingt sich übrigens ein ursprüngliches Übergangsmotiv allmählich zum eigentlichen Helden auf. Die Haydnschen Züge sind in diesem Satze ebensowenig zu verkennen wie im Menuett: gleich die Verdoppelung des ersten Themas durch die untere Oktave gehört dazu. Das Trio bringt, wie gelegentlich auch in den Streichquartetten, keinen Wechsel der Tonart, aber trotzdem einen sehr gemütvollen Kontrast zum Hauptsatz. Das Finale beginnt mit seinen dynamischen Gegensätzen wiederum haydnsch, auch sein Seitenthema knüpft an einen bekannten Gedanken Haydns an, setzt ihn aber alsbald mit der Synkope sozusagen unter einen erhöhten seelischen Druck, und vollends seine Fortsetzung mit dem auf Vorhalten durch alle Stimmen dahinwandernden Motiv von drei Achteln, das die Stimmung mehr und mehr ins Schmerzliche und Gedrückte hineintreibt, trägt den unverkennbaren Stempel Mozarts. Erst allmählich kehrt der alte festliche Frohsinn zurück. Die abermals auf einem früheren Nebengedanken aufgebaute Durchführung atmet durchaus Haydnschen Geist. Sie läßt jenes Motiv eine staunenswerte Skala von Empfindungen durchlaufen, von stillem Träumen bis zu anmutigem Scherz und zu trotziger Kraft, und zwar in einem deutlich fühlbaren An- und Abschwellen des Affekts50; recht nachdenklich, mit einem chromatischen Lieblingsmotiv Mozarts, wird schließlich die Reprise wieder erreicht. Die ganze Sinfonie kann sich an Bedeutung zwar mit ihren großen Nachfolgerinnen nicht messen, trägt aber doch in den Gefühlskreis der Gesellschaftssinfonie spezifisch Mozartsche Seiten hinein: männliches Feuer und sinnige Nachdenklichkeit in ihrem charakteristischen Wechsel.

Eine der eigentümlichsten Orchesterschöpfungen Mozarts ist dagegen die Maurerische Trauermusik (K.-V. 477). Schon der äußere Klang trägt Ausnahmecharakter (s.o.S. 64), noch mehr aber die musikalische Gestaltung. Sie ist von straffer Geschlossenheit, insofern der Anfang am Schlusse wiederkehrt; das Kernstück bildet ein zuerst von Oboen und Klarinetten, dann von den gesamten Blasinstrumenten vorgetragener liturgischer Cantus firmus51:


Kammer- und Orchesterwerke zwischen Entführung und Figaro

[163] Wir finden Mozart also hier wieder auf dem Gebiete der Choralbearbeitung, und in dieser Hinsicht ist unser Stück ein unverkennbarer Vorläufer der entsprechenden Sätze der »Zauberflöte« und des Requiems. Höchst genial ist aber die ans Dramatische streifende Art, wie diese Weise eingeführt und fortgesetzt wird. Vier schwere Seufzer in den Bläsern beginnen; sie beschwören, während der letzte in den Oboen verklingt, eine unstät suchende Achtelfigur in den Geigen herauf, die schon im dritten Takte in ein gewaltsames Forte ausmündet. Von jetzt an gehen Bläser und Streicher ihre eigenen Wege, jene mit getragenen, immer wieder von Forteausbrüchen geschüttelten Motiven der Trauer, diese mit abgerissenen rhapsodischen Zwischenrufen, die in leidenschaftlichem Schmerz gegen die düstere Stimmung anzukämpfen scheinen. Marschmotive mischen sich ein, und zwei Bläserstöße kündigen das Nahen des eigentlichen Trauerzuges an, der mit dem Cantus firmus die Szene betritt. In der ersten Zeile erscheint die Weise noch keineswegs als die Trägerin der finsteren, unerbittlichen Majestät des Todes, sondern eher im antiken Sinne in milder, freundlicher Verklärung; auch der Eindruck, den sie in den Geigen hervorruft, ist zwar Erregung, aber ohne scharfe Schmerzensausbrüche – ein äußerst feiner psychologischer Zug. Erst wenn der ganze Bläserchor einsetzt und der Zug in voller Nähe angelangt ist, da bricht auch das Leid fessellos hervor. Zu den dröhnenden Marschrhythmen, die jetzt im Basse einherschreiten, ertönt jenes rhapsodische Motiv, nunmehr in ununterbrochener, seltsam zerklüfteter Melodik, gleich einzelnen gewaltsamen Stößen, die das geängstete Herz erschüttern. Was schließlich übrig bleibt, sind eine ratlos hin und her irrende Synkopenfigur in den Geigen und einige abgerissene Seufzer in den Bläsern. Nochmals erhebt sich die schneidende Klage, dann erscheinen die Motive des Anfangs wieder, in ebenso knapper als drangvoller Steigerung nach c-Moll zurückkehrend. Schon bei dem Quartsextakkord tritt aber piano ein. Die Coda, die noch folgt, ist unverfälschter Mozart: tiefe Wehmut in dem chromatischen Gang der Bläser, dazu ein stilles Schluchzen in den Geigen. Pianissimoakkorde beschließen das Stück mit dem unerwarteten, fromm verklärten C-Dur-Akkord. Es ist Mozarts musikalisches Bekenntnis vom Tode: kein titanisches Ringen mit einem unentrinnbaren Feind – der Tod als solcher hat keine Schrecken für ihn; was er fühlt, ist nur der Schmerz der Trennung, und ihm gibt er sich rückhaltlos hin, ohne sich ganz von ihm niederbeugen zu lassen.

Die Tänze aus dieser Zeit (1784; K.-V. 461–463, S. XI. 16–18) weisen den früheren gegenüber einen bedeutenden Fortschritt auf. Die Menuette sind[164] zwar der Form nach sehr knapp (je acht Takte Hauptsatz und Trio), auch verlassen manche niemals den Boden der Haupttonart, aber trotzdem sind sie voll launiger und geistreicher Einfälle, ohne den straffen Tanzcharakter zu überschreiten. Das Trio bildet meist einen gefühlvollen Gegensatz zum Hauptteil; hier finden sich auch besondere Instrumentaleffekte, wie das beliebte Zusammengehen von erster Geige und Fagott in Oktaven. Weit anspruchsloser sind die Kontretänze, eine Gattung, die sich überall, wo französischer Einfluß herrschte, besonderer Beliebtheit erfreute. Sie bestehen aus zwei oder mehreren flotten Sätzchen im 2/4-Takt, gelegentlich auch einem »Mineur«, mit Wiederholung des Anfanges. In K.-V. 463 hat Mozart Menuett und Contredanse verbunden, und zwar so, daß acht gesangsmäßige Menuettakte in langsamem Tempo (Nr. 2 schreibt sogar Adagio vor) einen vollständigen Kontretanz einrahmen, eine offenbar damals in Wien ebenfalls sehr beliebte Kombination. Für die Orchestration ist die bei allen derartigen Tänzen übliche Dreistimmigkeit des Saitenorchesters, zwei Violinen und Baß, charakteristisch.

Fußnoten

1 So WSF II 410 ff.


2 Die Entstehungsdaten sind: 31. Dez. 1782 (K.-V. 387), Juni 1783 (K.-V. 421 und wohl auch 428), 9. Nov. 1784 (K.-V. 458), 10. Jan. 1785 (K.-V. 464), 14. Jan. 1785 (K.-V. 465).


3 I 327 ff.


4 Pohl, Haydn II 189, 293 ff.


5 Vgl. M. Schneider, AfM I 205 ff. und H. Mersmann, ebenda II 99 ff.


6 A. Sandberger, Z. Gesch. des Haydnschen Streichquartetts, Altbayr. Monatsschrift 1900, S. 60 ff.


7 Pohl, Haydn I 334 ff.


8 Vgl. die Trios op. 1 von Johann und die Quartette op. 1 von Karl Stamitz, die sowohl für solistische als für Orchesterbesetzung bestimmt sind.


9 S.o.S. 73.


10 I 327 ff.


11 Selbstbiogr. S. 176 f. Auch L. Mozart liebte den Vergleich seines Sohnes mit Klopstock, vgl. Nissen, Nachtrag S. 62.


12 Cramer, Magazin II S. 1273 f.


13 Gyrowetz, Selbstbiographie (Einstein) S. 14. Jahrb. d. Tonk. 1796, S. 77 f. AMZ I 855 (nach einem Bericht Konstanzes).


14 S.o.S. 43.


15 S.o.S. 101.


16 In Haydns Russischen Quartetten ist das Verhältnis 4:2.


17 Ausdruck H. Riemanns.


18 Das von K.-V. 421 gehört bis in den äußeren Klang hinein demselben Typus an wie der Hauptsatz des ersten Menuetts im Divertimento K.-V. 334 (I 670).


19 S.o.S. 47 f.


20 Die Literatur gibt J II 205 f.


21 Das vorletzte der russischen Quartette bringt gleichfalls Variationen über ein Sicilianothema.


22 Es ist mit der letzten Variation der F-Dur-Violinsonate (K.-V. 377) verwandt, vgl. I 745.


23 Es klingt an die damals beliebten Jagdthemen (chasses) an.


24 Es ist die gedrängte Fassung eines alten Volksliedes, das Mozart schon im Finale des Divertimentos K.-V. 252 hatte anklingen lassen. Sehr witzig wirkt die Dehnung seiner beiden ersten Noten von Vierteln auf halbe in der Durchführung.


25 Man beachte dabei schon die Behandlung des Themenauftaktes, der bald in seiner ursprünglichen, bald in der vereinfachten Gestalt von zwei Achteln erscheint; der ursprüngliche Rhythmus treibt in der fünften Variation ganz neue Gebilde hervor.


26 Beethoven hat sich den Satz in Partitur abgeschrieben.


27 Sein chromatischer Zug, zuerst im Baß, dann in der Oberstimme, verbindet es ideell mit dem Hauptthema.


28 Man beachte dabei die chromatische Stufe und die Verkürzung des zweiten Taktes.


29 II4 214.


30 In seiner Urgestalt zeigt es eine entschiedene Verwandtschaft mit dem Andante der ja auch sonst an Mozartreminiszenzen reichen D-Dur-Sinfonie von J. Haydn (Breitkopf & Härtel Nr. 2).


31 Vgl. den Mittelsatz der Violinsonate in F-Dur (K.-V. 376). Der melodischen Linie nach steckt der alte schwäbische Volksliedgedanke des Variationenthemas der Klaviersonate K.-V. 331 dahinter, vgl. I 72, 610 f. Über dieses schwäbische Gut bei Mozart vgl. jetzt H. Abert, Der Schwäb. Bund, Stuttgart, Strecker & Schröder, Jan. 1920, S. 433 ff.


32 I 832. Mozart führte es selbst Paisiello vor, vgl. I 826.


33 Derartige imitatorische Kadenzen sind Absenker der früheren Praxis des Improvisierens, vgl. H. Mersmann, Beiträge zur Aufführungspraxis usw. AfM II 118. Schon in der »Sinfonia concertante« (I 666 f.) beobachten wir Ähnliches.


34 Es gehört einem italienischen Typus an, s. I 791.


35 Als Quartett für Klavier und Streichinstrumente kam es schon zu Mozarts Lebzeiten hinter seinem Rücken heraus (I 838). In Augsburg erschien es bei Gombart & C. als »Concertante pour Violon principale, Hautbois, Clarinette, Cor, Basson, Violoncelle, Alte et Basse par W.A. Mozart« im Druck. Die Blasinstrumente sind unverändert geblieben, der Klavierpart ist dagegen auf die Streichinstrumente verteilt, und zwar auf eine so ungeschickte und dilettantische Art, daß jede Mitarbeit Mozarts ausgeschlossen ist.


36 Vgl. Thayer-Riemann, Beethoven II2 S. 21, 46 ff. Die deutlichen Anklänge an Mozart, allerdings nicht an das Quintett, sondern an »Don Giovanni« und »Zauberflöte«, namentlich im Mittelsatz, sind sicher nicht beabsichtigt, sondern vielen Werken aus Beethovens damaliger Periode gemeinsam. Im übrigen scheint Mozart selbst, wie er zwei Klavierquartette mit Streichern schrieb, auch noch ein zweites Bläserquintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Bassetthorn und Fagott beabsichtigt zu haben, das aber nicht vollendet wurde (K.-V. Anh. 54; Nissen, Anh. S. 12, Nr. 10).


37 Seine genaue Datierung stößt auf Schwierigkeiten. Sein Anfang steht in einem Briefe an Seb. Winter vom 8. Aug. 1786 (B II 268 ff.) auf der Liste der »neuesten Geburten«, die freilich auch weit ältere Werke enthält; das thematische Verzeichnis notiert es mit der maurerischen Trauermusik zusammen unter dem Monat Juli. Dagegen trägt das Autograph von Mozarts eigener Hand das Datum des 16. Oktober, und eine Briefstelle L. Mozarts (B IV 309) stimmt damit überein. Das Werk ist also zum mindesten im Juli begonnen worden; vielleicht handelt es sich um eine später für den Druck vorgenommene Überarbeitung.


38 I 741.


39 Man beachte dabei auch die in der Oberstimme versteckte, schwer ringende Melodie.


40 Dieses Thema hat Mozart im folgenden Jahre seinem D-Dur-Rondo für Klavier (K.-V. 485) zugrundegelegt.


41 Das Urbild dieses Typus liegt bei Schobert in dessen Klavierquartetten, DT XXXIX S. 94 ff., 83 ff.


42 Journal des Luxus und der Moden 1788, S. 230 f. Auch noch Rochlitz AMZ III 27 findet, daß »der Geist des Künstlers in seltener, fremdartiger Weise, groß und erhaben einhergehe, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt« (1800).


43 S.o.S. 41.


44 Die spannende Kadenzierung nach der parallelen Molltonart g-Moll liebt Mozart an dieser Stelle nach älteren Vorbildern besonders, auch ist sehr charakteristisch das rasche Umbiegen nach B-Dur.


45 I 310.


46 Das spannende Klaviermotiv mit den drei Sechzehnteln findet sich auch in der Serenade K.-V. 361, vgl. I 668.


47 Der Beginn kehrt im 1. Finale der Zauberflöte (»Mir klingt der Muttername süße«) in Dur wieder.


48 Man beachte besonders die Rückführung nach der zweiten Episode, wo wiederum die Dominante von g-Moll eine große Rolle spielt.


49 I 742 f. Sie weist im Keim bereits den Bau der späteren Introduktionen auf, die zwischen das spannende Pathos des Anfangs und das modulatorische, auf Grund eines kurzen Motivs sich vollziehende Hingleiten nach der Dominante noch eine gesangsmäßige Partie einschieben (vgl. K.-V. 504).


50 Auch an dieser Partie nehmen die Bläser einen höchst bedeutungsvollen Anteil.


51 Mozart hat die Melodie auf einem Beiblatt besonders notiert, um sich bei der Ausführung nicht zu irren. Sie hatte offenbar ihre besondere Bedeutung. Nach J II4 118 geben die ersten 5 Takte den ersten Psalmton mit der ersten Differenz (nach dem Kölner Antiphonar) wieder, das Folgende scheint eine lokale Kompilation mehrerer Psalmtöne für den bei Begräbnissen üblichen Bußpsalm »Miserere mei Deus«. Die Melodie des ersten Gliedes findet sich unter den römischen Differenzen vom Anfang des sechsten Psalmtones, die Melodie des zweiten kommt im siebenten Ton vor.

Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 165.
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