Der Schauspieldirektor.

Komisches Singspiel in einem Akte.

[398] Dieses kleine Singspiel ist ein bloßes Gelegenheitsstück für den kaiserlichen Hof zu Schönbrunn. Es ist für Joseph II. 1786. komponirt, enthält nebst der Ouverture (C dur) nur drei Arien und ein Final. Die allbekannte Arie: »Bester Jüngling! mit Entzücken.« und »Da schlägt die Abschiedsstunde« gehören zu dieser Oper.

Zum Schlusse dieses Abschnittes erlaube man mir eine kurze Bemerkung über[399] die Oper überhaupt, als Resultate aus dem Vorhergehenden, zur Beherzigung junger Opernkomponisten und Dichter.

Nach dem, was Algarotti1, Rousseau2, Sulzer3, Reichardt4, Heusinger5 und der Herr von Dittersdorf6 so vortreflich und nachdrücklich gesagt haben, läßt sich schwerlich etwas neues und gutes mehr über dieses zusammengesetzte Kunstwerk sagen.[400]

Eine eigne Schwierigkeit ist es bei einer Abhandlung über die Oper, daß man nicht darüber schreiben kann, ohne einen Begriff von derselben festzusetzen, der sich beinahe mit gar keinem der vorhandenen Stücke belegen läßt, weil Dichter, Komponist, Schauspieler und Publikum sich vereinigt zu haben scheinen, die Oper nie in das Kunstwerk umzuschaffen, das es seyn könnte, sondern ihre Vollkommenheit immer nach Regeln zu beurtheilen, welche sie von den vorhandenen fehlerhaften Stücken abziehen. Heusinger7 setzt das Unterscheidungsmerkmal der Oper von dem Melodram darein, daß letzteres ein lyrisches Stück ist, und demnach ein Gefühl schildert, um den Zuschauer in dasselbe zu versetzen. Der Zuschauer wird daher im Melodrama mehr als Zuhörer, denn [401] als Zuschauer betrachtet. Durch Töne wirkt man auf sein Gefühl, und die Begebenheit, Akzion und Deklamazion ist gleichsam nur der Leitfaden, welcher den Zuschauer desto sicherer dahin bringt, wohin ihn der Künstler haben will.

Die Oper hingegen muß nicht schlechterdings als ein lyrisches Kunstwerk betrachtet werden. Sie ist Drama – stellt eine Begebenheit vor sich gehend, versinnlicht, dar. Diese Begebenheit recht anschaulich darzustellen, ist die Absicht des dramatischen Dichters und der theatralischen Ausführung.

Entstehen also Gefühle, vielleicht sehr starke Gefühle in dem Zuschauer, so darf man doch um deßwillen die Oper kein lyrisches Stück nennen, weil diese Gefühle nicht durch Schilderung [402] von Gefühlen, sondern durch Vorstellung einer Begebenheit hervorgebracht worden sind.

Hat demnach die Musik an der Vorstellung der Begebenheit in der Oper keinen wesentlichen Antheil, so besteht auch die Kunst des Opernkomponisten nicht ausschließend darin, daß er die Darstellung der Gefühle und Affeckte der handelnden Personen verstärke, sondern, daß er das Gefühl stärker ansprechen lasse, welches das Anschauen dieser Begebenheit, und die Theilnahme an dem Schicksale der Hauptpersonen im Zuschauer erwecke.

Mit Vorbedacht sagt die Regel, daß verstärkte Darstellung der Affekte der handelnden Personen, nicht ausschließend Absicht des Tonkünstlers sey; denn es ist allerdings möglich – ob zwar nur zufällig[403] – daß die Musik, die während einer Szene, auf den Gemüthszustand des Zuschauers berechnet ist, dadurch ihre Wirkung am besten thut, daß sie den Gemüthszustand der handelnden Person schildert. Allein dieses ist nur ein willkommenes Zusammentreffen, nicht aber eine wesentliche Bedingung.

Wie sehr Mozart in die Geheimnisse dieser Theorie eingeweiht war, davon giebt jedes seiner Stücke, vorzüglich die Finals, Quartetten, Quintteten – jedes zusammengesetztere Stück – die einfallendsten Beweise. Nur eines zum Beleg meines Satzes. Ich habe das große Quartett aus dem ersten Akte des Don Juan aus. (B dur. No. 8) »Non ti fidar o misera.«

Die Gelegenheit dazu macht sich so: Don Oktavio, noch nicht bekannt mit der[404] unglücklichen Veranlassung des Todes des Vaters seiner Geliebten, führt sie zur Zerstreuung spatziren. Ohnversehens begegnet ihnen Don Juan; Anna erkennt ihn plötzlich und erschrikt; er erkennt sie ebenfalls, und hat Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen, behülft sich mit Komplimenten. Oktavio kann sich das wechselseitige Erstaunen nicht erklären. Jetzt erscheint Elvire, entlarvt den Betrüger und warnt Oktavio und Anna vor ihm. Don Juan weiß, warum Elvire ihm entgegen tritt; Oktavio und Anna, unbekannt mit der Geschichte der Unglücklichen, können sich ihr Betragen nicht erklären. Don Juan sucht sie zu begütigen, und Donna Anna und Oktavio zu überreden, sie sey verrückt. Aber Elvire straft ihn Lügen und überstimmt ihn. – Hier vereinigt sich nun ein fünffaches Gefühl zum Quartette.[405]

Don Juan äußerste Verlegenheit, Elviren zu beruhigen, jene wieder sie einzunehmen. Elvirens, Verzweiflung, sich von diesem Bösewichte gemißhandelt zu sehen. Anna's Erschrecken, indem sie mit jedem Blicke in Don Juan den Mörder ihres Vaters wieder erkennt; Oktavios Erstaunen, dem die ganze Verhandlung ein. Räthsel ist und – die Spannung des Zuschauers. Wie wird sich dieser geschürzte Knoten lösen? Wie wird das Quartett schließen? Diese Spannung dauert bis ans Ende fort.

Welches Gefühl sollte nun der Künstler mahlen? eines nur von den fünfen konnte er wählen. Nach den letzten Worten des Dialogs, wo Elvire sagt: Ah ti ritrovo ancor? perfido mostro? (Ha! du noch hier? treuloser Bösewicht!) würde man ein rasendes Allegro zu erwarten haben, und ich wette, hundert Komponisten[406] an Mozarts Stelle hätten sich durch das angeführte Sprichwort aufs Quartett verleiten lassen, Elvirens verzweiflungsvolle Wuth zu mahlen. Die Geigen hätten in Sechszehntheilen geraffelt; die Bässe hätten getobt, und alles wäre durch einander gefahren. Man kennt schon dergleichen rasende Musik mit Murkibässen aus italienischen Opern früherer Zeiten, wie ich meine.

Mozart fand vermöge seines richtigen Gefühlt die Regel. Er wählte das Gefühl des – Zuschauers, das bis zum Schlusse in der spannenden Frage besteht: Wir soll das enden?

Jede Singparthie hat ihr eignes Gefühl und drückt es aus, aber die Musik steht ganz abgesondert, die Empfindung des Zuschauers begleitend. Elvire erscheint: [407] Ah ti ritrovo ancor? perfido mostro! Ihr Erscheinen erregt allgemeine Aufmerksamkeit alles ist still und voller Erwartung. Dieses mahlt sich augenfällig in den vier ersten Takten des Quartetts. Kein Instrument greift vor, kein Ritornall; alles hat den ersten Takt Pause und steht in stummer Erwartung, was Elvire vorbringen werde. Ganz piano fallen die Geigen in einzelnen, abgebrochenen Viertelsnoten ein, mehr, die Sängerin im Tanz zu erhalten, als zu mahlen. In dieser Stille hört alles den ersten Satz ihrer Rede an:Non fidar misera di quel ribaldo (Fliehe des Schmeichlers glattes Wort, eh er dein Herz bestrikt!) Die Kühnheit dieser Rede mehrt das Erstaunen, welches einen höhern Grad erreicht, die Bewegung wird stärker und – Klarinetten, Fagotts und Hörner treten in fortfliegenden Noten ein: die Notenfiguren[408] der Geigen (Achtel mit der Vorstechpause zu jeder halben Taktfigur, wo der Baß vorschlägt) werden lebendiger. Die abgebrochen punktirten Noten, die ein Instrument dem andern Taktweise abnimmt, begleiten das Gefühl der Verwunderung, welches mit dem zwölften Takte in innige Theilnahme verschmelzt. Hier findet sich zugleich ein glücklicher Vereinigungspunkt der Gefühle des Zuschauers mit jenen der Donna Anna und des Oktavio.


Cieli! che aspetto nobile

Che dolce maesta!

Il suo dolor, le lagrime

M'empiono di pieta.


Lieber! was für ein hoher Geist

Dies schöne Weib umweht!

Wie mir ihr halbverhaltner Schmerz

Tief in die Seele geht!
[409]

Jetzt sucht Don Juan die beihen zu überreden, Elvire sei verwirrt; diese strebt sie vom Gegentheile zu überführen. Neue Erwartung, neue Unruh für den Zuhörer! Zu welcher Parthei werden sich Anna und Oktavio schlagen? Wessen Ueberredungskunft wird siegen? Die Unruhe steigt in dem Verhältnisse unsers Interesse für die Unglückliche. Und in den Blaßinstrumenten entstehen Bewegungen herauf und herabwärtsschwankend: »Wem trauet man nun hier?« Es wird immer gewisser daß Elvire der unschuldig gekränkte Theil ist; allgemeines Mitleidsgefühl bemeistert sich Oktavio's, Anna's und der Zuschauer. Ein ganz neuer Rhytmus tritt ein. Die Geigen erschüttern in stark angreifenden Unisonotriolen; die erste in der höchsten, die zweite in der tiefen Oktave mit mächtigem Crescendo; Flöten, Klarinetten, Hörner und Fagotte treten in anschwellenden Noten[410] ein. Dann wieder Pause; Elvire spricht allein, und neues Erstaunen ergreift die Anwesenden. Die eben beschriebene Triolenfigur wiederholt sich. Jetzt erklärt sich alles für Elviren, da der Bösewicht sich auf ihre heftigsten Vorwürfe nicht verantworten kann. Mit Abscheu wenden wir uns von dem Lügner, der, je länger, desto heftiger, untern Unwillen reizt – von der Stelle, mit der Modulazion ins F. Incomincio a dubitar (Ich gesteh, ich zweifle sehr) – welcher noch den zwei folgenden Takten Modulazion aus F in den Grundton B: zitto, zitto che la gente (»Sachte, fachte daß die Leute sich nicht um uns her versammeln« oder nach Rochliz: »Traut ihr meinem Wort nicht weiter«) sich in der wechselnden Bewegung der Geigen und dem stark und anhaltend einsetzenden Blasinstrumente, lauter und lauter äußert, je heftiger Elvire auf Don Juan[411] eindringt. – Die Tutti-Stelle mit den Instrumenten: »Non sperar o scelerato.« (Immer mag ich mich verberben): jede frische Bewegung der Geigen mit dem halben Takte, während Elvire pausirt, begleitet den Ausruf unsers Gefühls: Pfui des Nichtswürdigen! O! du Ehrvergeßner, möchten wir ausrufen; was Mozart ganz den Empfindungen der Zuschauer abgeschrieben zu haben scheint. Gegen das Ende schleicht der Niederträchtige beschimpft ab, Elvire ihm nach, und der Zuschauer ist unzufrieden, daß er so entkam. – Die Musik schließt mit einem unbefriedigenden Pizzikato. Die Instrumente sterben nach und nach ab.

Betrachtet man Mozarts sämmtliche dramatische Arbeiten aus diesem Gesichtspunkte, so wird man mit Erstaunen wahrnehmen, wie richtig er jedesmal seinen Standpunkt zu wählen verstand, von welchem[412] er am sichersten auf sein Auditorium wirken konnte. –

So wird die Musik der Sprecher des Herzens, und eine reiche Quelle des Genusses für den Zuschauer, wenn er mit eben der Klarheit, als er die Begebenheit vor seinen Augen vorgehen sieht, gleichsam eine Teilnahme an den Gefühlen von außen gewahr wird, welche mit seiner Theilnahme an der Handlung in ihm entstehen. Es sind nun nicht mehr zwei Künste – dramatische und Tonkunst – welche ihm einen und denselben Gegenstand gleichsam zum Geschenk darbieten, sondern er dankt der erstern die Vorstellung der Begebenheit, als ein angenehmes Geschenk; der zweiten aber ist er verbunden, weil er sie gleichsam zur Theilnehmerin seiner Freude machen, und so in Gemeinschaft diese doppelt genießen kann.

Fußnoten

1 Abhandlung über die Oper. Aus dem Italienischen übersetzt von Raspe. Kassel 1769. 8.


2 In seinem musikalischen Wörterbuche. Art. Oper.


3 Sulzers allgemeine Theorie. Art Oper, und noch in andern musikalischen Artickeln.


4 In seinem vortreflichen musikalischen Kunstmagazin 1r Bd. S. 161.


5 In seinem Handbuche der Aesthetik. 1r Th. S. 201. Gotha bei Perthes 1979 gr. 8.


6 In einzelnen Briefen über die Komposizion einer Oper in die Leipziger musikalische Zeitung eingerückt. Sie betreffen mehr die mechanische Behandlung dieses Kunstwerks.


7 In der angeführten Stelle.


Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 413.
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