Die solenne Messe aus [422] C dur.

Ich bin sehr geneigt zu glauben, Mozart habe vergessen, dieses Meisterstück frohen Kirchenstils in seinem Verzeichnisse anzuführen, da in ihr ganz der klassische Genius seiner neuern Komposizionen[422] herrscht. Ich möchte sie mit Idomeneo und der Entführung aus dem Serail in gleiches Zeitalter setzen; wenigsten kann sie nicht viel früher als 1778 oder 1779 komponirt seyn. Ein feuriger Geist durchbraußt sie, wie der Orkan des heiligen Geistes am Pfingsttag das Haus der Apostel, als er sie alle Sprachen lehrte. Sie trägt einen bestimmten Karakter erhabener Freude, eine solche regelmäßige Einheit, und schreitet schnell daher mit wahrhaft allmächtiger Kraft. Welches Leben! welche ewige gedrängte Fülle in allen Parthien! Alles singt mit vollem Athem! Gewiß ist diese die Messe aller Messen! Der Gesang ist so erhaben, die Begleitung so reich, die Chöre mit sehr kurzen Solosätzen wechselnd, beständig zusammen, voller Würde und schnellen und starken Eindrucks. In dieser ganzen Messe ist kein eiziger Fugensatz. – Die Besetzung[423] besteht aus sechszehn Stimmen: der Orgel, 4 Singstimmen, 2 Violinen, Bratsche, Baß, zwei Hoboen, zwei Hörnern, Trompeten und Pauken. Sie versirt beständig in ihrer Tonart C dur, nur das rührende Agnus Dei mit der obligaten Hoboe, vom pizzicato der Violinen begleitet, geht aus F dur. So viel Sanftheit, so viel schwärmerischer Andachtsgeist, so viel himmlisches Entzücken beseelt kein Agnus Dei irgend eines andern Komponisten. Das gloria in excelsis ist ohnstreitig der fröhlichste Jubelgesang, der sich bis an die äußersten Grenzen des Kirchenstils verläuft, ohne sie zu überschreiten. Das Credo ist, sowohl im Plane, als in der Ausführung, vortreflich. Die Violinen akkompagniren im Unisono mit rauschenden Sechszehntheilfiguren; Hoboen und Baß steigen in Achtelnoten die halbe Skala aufwärts, und die Singstimmen bleiben im[424] Unisono liegen. Dieser Cantus Firmus mahlt die Beständigkeit, der Unisono aller Sänger die Einigkeit, und das feurige Akkompagnement den lebendigen emporstrebenden Geist des Glaubens. Das überraschende Abbrechen des ersten Satzes mit einem Male in das rezitativmäßig behandelte Sängerchor(Adagio) blos mit Geigenpassagen begleitet, bei den Worten: »et incarnatus est« ist von frappanter Wirkung, und mit erneuerter Herrlichkeit hebt sich der wiederholende Vodersatz (Allegro) bei den Worten:»Et resurrexit« bedeutungsvoll mit erneuter Kraft empor. Die Wirkung dieser solennen Messe bei feierlichen Hochämtern, der Geist der Andacht und innigen Freude, womit sie beseelt, geht über alle Beschreibung. Sie ist ein klassisches Muster feierlicher Kirchenkomposizionen.[425]

Eine andere Messe aus G dur, so wie eine aus Es dur, gehören in das frühere Zeitalter Mozarts, und sind ganz im alten Zuschnitt gewöhnlicher Messen geschrieben – Beim »Benedictus« und: »et incarnatus est« figurirt noch eine flauto solo. – Sie gleichen seinen spätern Werken und der Messe aus C dur, auch nicht einmal entfernt – Die dritte Klasse seiner Arbeiten begreifen die:

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 422-426.
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