I.

Kurze Biografie Mozarts.

Wolfgang Amadeus (Gottlieb) Mozart, ist 1756 den 27sten Januar zu Salzburg geboren.

Er hatte noch eine ältere Schwester, Namens Maria Anna. Sein Vater, Leopold Mozart, war der Sohn eines Buchbinders zu Augsburg, studirte zu Salzburg und kam 1743 als Hofmusikus in die fürstliche Kapelle. Sein Künstlertalent, verbunden mit seinem edeln Karakter, verschaften ihm 1762 die Stelle eines zweiten Kapellmeisters. Verheirathet mit Anna Bertlinn, galten die beiden wegen ihrer vortheilhaften Körperbildung, für das schönste Ehepaar in Salzburg. Sie zeugten sieben Kinder, von denen aber nur zwei am Leben blieben; Maria Anna und unser Wolfgang.

Leopold Mozart, wenn ihn der Hofdienst nicht zu Verrichtungen seines Amtes rief, beschäftigte sich mit Komposition und Unterricht auf der Violine. Seine Geschicklichkeit auf diesem Instrumente beweist seine allgemein bekannte Violinschule, die er 1766 herausgab, und welche 1770 eine neue Auflage erlebte.

An beiden Kindern, und vorzüglich am Sohne nahm er viel Talent zur Musik[2] wahr. Von dieser Zeit an gab er alle Arbeiten und Lektionen auf, und widmete jeden Augenblick, den er nicht im Dienste des Hofes zubringen muste, der Entwickelung und Ausbildung ihres Talents.

Dieser vortreflichen Leitung verdankt Mozarts Genius den hohen Grad der Kultur, zu dem er sich aufschwang. Die ersten Eindrücke, die sein Ohr auffaßte, waren Harmonien und Gesang; Musik die ersten Begriffe, die sich in seine Seele ergossen. So mußte der schlummernde Götterfunke früh erwachen. Ueberall kamen die gründlichen Kenntnisse des Vaters dem aufkeimenden Talente entgegen. So wuchs er auf, der Musen und Grazien liebliches Kind, so reifte er der Vollkommenheit schnell entgegen!

Er war drei Jahr alt, als seine siebenjährige Schwester den ersten Unterricht[3] auf dem Klaviere bekam. Hier äußerte sich sein Genie zuerst. Stundenlang konnte er sich ungeheißen am Klavier mit Zusammenstimmung der Terzen beschäftigen, die er dann, wenn er sie gefunden hatte, wiederholt anschlug, und dabei die lebhafteste Freude äußerte. Der Vater brachte ihm leichte Stückchen bei, und fand, daß sein dreijähriger Schüler alle Erwartung übertraf, indem er gewöhnlich in einer halben Stunde eine Menuet, oder ein Liedchen lernte und mit dem angemessensten Ausdrucke vortrug.

Mit dem lebhaftesten Temperamente vereinigt sich in dem jungen Mozart ein weiches inniges Zartgefühl. Seinen kindischen Spielen ergab er sich mit einer Innigkeit, die ihn alles übrige vergessen ließ. Liebe für alle Personen, die um ihn waren, oder sich mit ihm abgaben,[4] war sein vorwaltender Hang. Jeden, der mit ihm umgieng, fragte er: ob er ihn lieb habe? und konnte Thränen vergießen, wenn man es scherzweise verneinte. Allen Dingen und Personen, woran sein Geist einiges Interesse fand, ergab er sich mit der ganzen warmen und lebhaften Innigkeit, der ein so zart organisirter Mensch fähig ist. Auch am Manne äußerte sich dieser Hauptzug seines Karakters deutlich, und nur zu oft zu seinem größten Nachtheile.

Mit dem sechsten Jahre komponirte er kleine Stückchen auf dem Klaviere, nach dem Gehör, die sein Vater in Noten setzen muste. Von diesem Zeitpunkte an erhielt sein Tonsinn die Oberherrschaft, die ihm jede andere Spielerei gleichgültig machte, welche sonst Kinder entzückt.[5]

Seine schnellen Fortschritte in der Musik setzten selbst den Vater, der doch beständig um ihn war, ihn stündlich beobachtete, in Erstaunen; es waren nicht die Fortschritte eines gewöhnlichen schnellfassenden Lehrlings: es waren Riesenschritte eines Genies, dessen Größe selbst sein Vater und Erzieher nicht ahnen konnte, da seine Entwickelung und Aeußerung jedesmal, auch den größten Erwartungen, vorschritt. Ohne Bedenken konnte jetzt der Vater auch das Ausland zum Zeugen der außerordentlichen Talente seines Sohnes aufrufen. Im Jahre 1762 unternahm er, mit ihm und seiner Schwester, die erste Reise nach München, wo er ein Klavierkonzert vor dem Kurfürsten spielte und mit seiner Schwester die größte Bewunderung erndete.

Im Herbste desselben Jahres, auf der zweiten Reise, wurde das kleine Virtuosenpaar[6] dem Kaiserlichen Hofe zu Wien vorgestellt; auch hier waren die beiden der Gegenstand des allgemeinen Erstaunens. Der verewigte Kaiser Franz I. unterhielt sich viel mit ihm, und nannte ihn nur scherzend den kleinen Hexenmeister. Unter andern hatte dieser Kaiser zu ihm gesagt: es sey keine so außerordentliche Kunst zu spielen, wenn man auf die Tasten sehen könne; aber mit verdeckter Klaviatur – das wäre etwas! – Mozart, darüber keinen Augenblick verlegen, lies die Tasten bedecken, und spielte wie vorher. Auch dieses ist noch nichts für Mozarts Geist, fuhr der Kaiser fort, aber mit einem einzigen Finger spielen, möchte eher etwas heißen. Auch bei dieser Zumuthung blieb er sich gleich und spielte, zur größten Verwunderung, mehrere Stücke auf diese Art.[7]

Damals schon äußerte er einen Karakterzug, der ihm in der Folge geblieben ist: Verachtung alles Lobes der Großen und Vornehmen, und einen entschiedenen Widerwillen, vor ihnen zu spielen, wenn sie nicht Kenner waren. Er spielte dann gewöhnlich nichts als Tanzmelodien und unbedeutende Tändeleien. Aber in Gegenwart der Kenner war er ganz versammelt, voll Feuer und pierischen Tranks. Dieser eigenthümliche Karakterzug verließ ihn auch bis an sein Ende nicht, und war die Ursache vieler Unannehmlichkeiten.

Als er sich zum Klavier setzte und Kaiser Franz neben ihm stand, fragte Mozart: »Ist Herr Wagenseil nicht hier? der versteht es.« Wagenseil kam und der kleine Virtuose sagte: »Ich spiele ein Konzert von Ihnen, Sie müssen mir umwenden.«[8]

Die außerordentliche Fertigkeit, die er auf dem Klaviere besaß, und die tiefe Einsicht in die Kunst, in einem Alter, wo Kinder sonst gewöhnlich noch keinen Kunsttrieb äußern, war erstaunend, überschritt alle Vorstellung. Was man ihn lehren wollte, davon schien sein Geist dunkle Ahnungen gehabt zu haben, die zur völligen Deutlichkeit nur einer Erinnerung bedurften.

Bis jetzt hatte Mozart kein andres Instrument, als das Klavier, behandelt; aber ehe es sein Vater merkte, konnte er auch geigen, ohne Anweisung von jemand erhalten zu haben. Aus Wien hatte er eine kleine Geige mitgebracht, die ihm dort geschenkt worden war. Kurz nach der Rückkehr der Familie nach Salzburg, kam Wenzl, ein geschickter Geiger und Anfänger der Komposition, zum Vater[9] Mozart, und bat sich dessen Erinnerungen über sechs Trios aus, die er während der Abwesenheit der Mozartschen Familie gesetzt hatte.

Schachtner, ein Hoftrompeter in Salzburg, den der kleine Mozart besonders liebte, war eben gegenwärtig. Der Vater – so erzählt dieser glaubwürdige Augenzeuge – spielte auf der Bratsche den Baß, Wenzl die erste Violine, und ich sollte die Zweite spielen. Der kleine Mozart bat, daß doch er die Zweite spielen dürfe. Der Vater verwieß ihm seine kindische Bitte, weil er noch keine ordentliche Anweisung auf der Violine gehabt hätte, und daher ohnmöglich etwas gutes herausbringen könnte. Der Kleine erwiederte, daß, um die zweite Violine zu spielen, man es ja wohl nicht erst erlernt zu haben brauche. Halb unwillig hieß ihn[10] der Vater davon gehen, und ihn nicht weiter stören. Der Kleine fieng an bitterlich zu weinen, und lief mit seiner kleinen Geige davon. Ich bat, man möchte ihn doch mit mir spielen lassen; endlich willigte der Vater ein, und sagte zu ihm: Nun so geige nur mit Herrn Schachtner, jedoch so stille, daß man dich nicht höre, sonst mußt du gleich fort. Wir spielten, und der kleine Mozart geigte mit mir; doch bald merkte ich, daß ich da ganz überflüssig sey. Ich legte meine Geige weg und sah den Vater an, dem bei die ser Szene die Thränen gerührter Vaterzärtlichkeit über die Wangen rollten. So spielte Wolfgang alle sechs Trios durch. Nach deren Endigung wurde er durch unsern Beifall so kühn, daß er behauptete, auch die erste Violine spielen zu können. Wir machten zum Scherz einen Versuch, und mußten herzlich lachen, als er auch diese,[11] wiewohl mit lauter unrechten und regellosen Applikaturen, doch aber so spielte, daß er nie völlig stecken blieb.1

Mit welcher bewundernswürdigen Genauigkeit sein Ohr auch den feinsten Unterschied der Töne maß, wie unglaublich sicher sein Gedächtniß Töne behielt, mag ein gleichzeitiger Vorfall belegen. Schachtner, der erwähnte Freund des mozartschen Hauses, und der Liebling des kleinen Wolfgangs, besaß eine Violine, die dieser ihres sanften Tones wegen vorzüglich liebte, und die Buttergeige nannte. Er spielte eines Tages darauf. In einigen Tagen kam Schachtner wieder und traf Wolfgang auf seiner eignen kleinen Geige fantasirend an.

»Was macht Ihre Buttergeige?« fragte Wolfgang, und fuhr in seiner Fantasie[12] fort. Nach einer kleinen Pause, in der er sich auf etwas zu besinnen schien, sagte er weiter: »Wenn Sie aber nur Ihre Geige immer in gleicher Stimmung ließen; sie war das letzte Mal, als ich auf ihr spielte, um einen Viertelston tiefer, als meine da.« Man lächelte über diese dreiste Behauptung, in einer Sache, wo das geübteste Kennerohr kaum einen Unterschied zu bemerken im Stande ist. Aber der Vater, schon öfter durch ähnliche Aeußerungen des großen Tonsinns seines Sohnes überrascht, hielt es der Mühe werth, die Angabe zu prüfen. Die Geige wurde gebracht, und zum allgemeinen Erstaunen traf die Angabe mathematisch richtig ein.

Nächst diesen Fertigkeiten und dem außerordentlichen Kunstsinn besaß der kleine Mozart einen Fleiß, der für seinen zarten[13] Körperbau vielleicht zu groß war. Man mußte ihn vom Klavier wegrufen, oft mit Ernst wegjagen, sollte ihn nicht die aufgehende Sonne dabei überraschen.

Diese Vergessenheit seiner selbst, wenn er sich mit Musik beschäftigte, blieb ihm bis an sein Ende eigen. Täglich saß er am Fortepiano, spielte, übte, fantasirte. Ein sicheres Kennzeichen des Genies, welches seinen Gegenstand immer mit ganzer Seele allmächtig umfaßt.

Nicht desto weniger begriff er auch andre Wissenschaften leicht, und der mit dem Ton- und Farbensinn so innig verwande Zahlensinn machte ihn in der Folge zu einem der geübtesten Rechenmeister. Während er Arithmetik studirte, bemalte er Tische und Fußboden mit Ziffern, sprach von nichts, als arithmetischen Aufgaben[14] und widmete sich dieser Wissenschaft mit demselben allumfassenden Eifer, wie der Tonkunst.

Gegen seine Eltern war er gehorsam, nachgiebig, sanft, daß man sich nie sinnlichen Strafen bedienen mußte. Nicht einmal Eßwaare oder sonstige Näschereien nahm und verzehrte er ohne Erlaubniß der Eltern.

Mit der Verbreitung seines Talentes verbreitete sich auch sein Ruhm. Fremde wollten das Wunderkind hören, und oft muste sich Mozart ganze Tage vor Fremden hören lassen. Er lies sich immer willig finden. Freundlich und wohlmeinend war er gegen seine Gespielen. In seinen kindischen Unterhaltungen sogar, zeigte sich der Geist der Musik, von der immer etwas dabei seyn mußte.[15]

1763, im siebenten Jahre, machte der Vater die erste bedeutende Reise mit seinen Kindern durch Deutschland. Auf ihr verbreitete sich der Ruhm des jungen Meisters allgemein. Vorzüglich zeigte er seine Fertigkeit im Klavierspielen. Vor dem Kurfürsten in München spielte er ein Violinkonzert, wozu er zwischen den Kadenzen aus dem Kopfe präludirte; dann zu Augsburg, Mannheim, Mainz, Frankfurt, Koblenz, Kölln, Achen und Brüssel.

Von der giengen sie nach Frankreich, (im November) wo sich die Familie ein und zwanzig Wochen aufhielt. Zu Versailles ließ sich der kleine achtjährige Mozart in der königlichen Kapelle vor dem Könige und dem ganzen Hofe auf der Orgel hören. Damals schätzte man sein Orgelspiel noch höher als sein Klavierspiel.[16]

In Paris gaben sie zwei Akademien fürs Publikum, worauf der Vater mit seinen Kindern in Kupfer gestochen erschien und überhaupt viel Bewunderung und Lobeserhebungen genoß. Hier gab Wolfgang seine ersten Komposizionen, in Kupfer gestochen, heraus. Es sind Sonaten fürs Klavier, welche er theils der zweiten Tochter des Königs, Madame Viktoire, theils der Gräfin Tessa dedizirte.

Von hier wendete sich die Familie nach England – den 10ten April 1764 – wo sie sich noch in demselben Monate vor dem Könige hören ließen. Im folgenden ließ sich Mozart auf der Orgel des Königs hören. Dann gaben sie ein großes Konzert zu ihrem Besten; ein andres zum Nutzen des Hospitals der Wöchnerinnen. In beiden waren alle Simphonien von der Komposizion des Sohnes. Noch einmal[17] ließen sie sich vor dem Könige und dem vornehmsten Adel hören.

Die allgemeine Bewunderung beseelte ihn immer mit neuem Muthe zu größerer Ausbildung. Er sang auch Arien mit vielem Ausdrucke. Ein liebes Schauspiel, das kleine Virtuosenpaar auf zwei Klavieren konzertiren, oder im Gesange wetteifern zu hören! Wolfgangs Fertigkeit war schon so groß, daß sie die schwersten Sachen beim ersten Anblick bezwang. Man legte ihm in Paris und London Stücke von Händel und Bach vor, die er mit erstaunender Fertigkeit vom Blatte spielte.

Beim Könige in England spielte er auf der Stelle eine vortrefliche Melodie zu vorgelegten Baßnoten.

Hier schrieb er sechs Klaviersonaten, welche er in London stechen ließ und der Königin widmete.[18]

1765 im Sommer bereisten sie Flandern, Brabant und Holland. Hier warfen die Kinderpocken beide junge Virtuosen aufs Krankenlager. Auch diese Krankheit war unvermögend, den immer aufwärtsstrebenden Genius zu unterdrücken. Da er das Bette nicht verlassen konnte, mußte man ihm ein Bret über die Decke einrichten, auf dem er schreiben konnte, und selbst dann, als die mit Pocken bedeckten Finger der Feder den Dienst aufkündigten, ließ er sich kaum vom Schreiben und Spielen abhalten. Er schrieb hier sechs Klaviersonaten, die er bei seiner Genesung stechen ließ, und der Prinzessin von Nassau Weilburg widmete. Zum Installazionsfeste des Prinzen von Oranien – im Anfange des Jahrs 1766 – setzte er einige Simphonien, Arien und Variazionen.

Die Familie wendete sich wieder nach Paris, als Mozart noch einige Male bei[19] dem Erbstatthalter gespielt hatte, reiste sodann über Lyon und die Schweiz nach Schwaben, wo sie einige Zeit in Donaueschingen beim Fürsten von Fürstenberg zubrachten.

1766, mit Ausgange des Jahres, kamen sie nach dreijähriger Abwesenheit nach Salzburg zurück.

Während einer Ruhe von beinahe einem Jahre, studirte Mozart unter Anleitung seines Vaters die höhere Komposizion. Emanuel Bach, Hasse und Händel waren seine Klassiker, ihre Werke sein unablässiges Studium. Auch italienische Meister aus den frühern Zeiten, welche an Gründlichkeit die gegenwärtigen weit übertreffen, studirte er unablässig.

1768 spielte Mozart vor dem Kaiser Joseph II. in Wien. Er war damals zwölf[20] Jahre alt; der Kaiser übertrug ihm die Komposizion einer opera buffa. Sie hieß La finta semplice, erhielt den Beifall des Kapellmeister Hasse und des Dichter Metastasio's, kam aber nicht aufs Theater.

Während seines Aufenthalts zu Wien war letzterer, der ihn sehr liebte, der Kapellmeister Hasse und der Fürst Kauniz seine beständigen Gesellschafter. Oft gab man ihm hier die erste beste italienische Arie, zu welcher er auf der Stelle in Gegenwart aller die Musik mit voller Instrumentalbegleitung schuf.

Zur Einweihung der Waisenhauskirche setzte der zwölfjährige Komponist eine Messe, und dirigirte ihre Aufführung in Gegenwart des ganzen Kaiserlichen Hofes.

1769. Dieses Jahr wurde in, Salzburg dem Studium der italienischen Sprache[21] und der Fortsetzung des tiefern Eindringens in die Tiefen der Komposizion, gewidmet. In demselben wurde er zum Konzertmeister am Salzburger Hofe ernannt.

Von den Ufern der Donau bis zur Themse und Seine hatte sich sein Ruhm verbreitet. Die Tiber sollte nun sein Lob verkündigen, das Diplom seines Verdienstes besiegeln. Er wollte die Blüthe der Harmonie – die Melodie – auf ihrem mütterlichen Boden beobachten, und die vielen großen Männer, die Welschland damals aufzuweisen hatte, kennen lernen und sich von ihnen unterrichten lassen.

1769 im December verließ er Salzburg abermals. Inspruck war sein erster Aufenthalt; mit vieler Leichtigkeit spielte er hier in einer Akademie beim Grafen[22] Künigl ein Konzert prima vista. Von da gieng die Reise nach Milano.

Verehrte und bewunderte Frankreich und England sein großes Genie, so nahm ihn Italien mit feurigem Enthusiasmus auf, erhob ihn zur Unsterblichkeit! Das Mutterland der Musik drückte ihren Sohn ans warme Herz. Selbst der sonst unbezwingbare Nationalstolz und das Vourtheil der Ultramontaner machte, besiegt, dem verdienten Ruhme des zwölfjährigen Genius Plaz, der dem Olymp entsand schien, Anthusa's Mauern mit Amphions Leier zu beleben!

Man übertrug ihm nach einigen öffentlichen Proben die Komposizion der opera seria für den künftigten Karneval 1771 – opera Mithridate.[23]

Von hier nahm er seinen Weg nach Bologna. – im März 1770 – Eine Stadt, die sich damals der größten Tonkünstler und besten Konservatorien rühmen konnte.

Hier ward der berühmte Kontrapunktist und Musikschriftsteller Italiens, der Kapellmeister Abbate Martini, hingerissen durch die außerordentlichen Talente des Knaben, sein größter Bewunderer und eifrigster Herold. Sein Erstaunen erreichte den höchsten Grad, als Mozart über jedes von ihm hingeschriebene Fugenthema die gehörige Eintheilung und Anordnung nach der ganzen Strenge des Kontrapunktes angab und die Fuge augenblicklich auf dem Klavier ausführte.

In Florenz fand man alles, was der Ruf von seinen Talenten verbreitet hatte,[24] zu gering, als Mozart bei dem Markese Ligneville – einem gleich großen Kontrapunktisten – jedes angegebene Thema auf der Stelle vortreflich ausführte, jede vorgelegte Fuge mit einer Leichtigkeit und Pünktlichkeit vom Blatte wegspielte, als hätte er selbst sie komponirt.

Die Bekanntschaft, die er hier mit einem jungen Engländer, Thomas Linley, einem Knaben von vierzehn Jahren machte, giebt ein liebliches Bild des Erkennens und Wiederfindens verwander Geister. Dieser war der Schüler des berühmten Violinspielers Nardini, schon selbst Virtuose seines Instruments. Die beiden Knaben wurden bald innige vertraute Freunde; ihre Freundschaft aber war nicht Knabenanhänglichkeit, war Zärtlichkeit zweier tieffühlenden, übereinstimmenden Seelen; sie achteten sich als Künstler,[25] und benahmen sich wie Männer. Bitter war ihnen der Tag der Trennung. Noch vor der Abreise brachte Linley Mozarten ein Gedicht, das er von der Dichterin Corilla auf ihn hatte verfertigen lassen, schied unter vielen Umarmungen und Thränen von ihm, und begleitete seinen Wagen unter beständigen Aeußerungen der zärtlichsten Betrübniß bis vors Thor.

Mozarts Weg führte nun nach Rom. Mit der Charwoche kam er mit seinem Vater dortan, und hatte Gelegenheit, die vielen Meisterstücke der erhabensten Kirchenmusik, die in dieser Zeit aufgeführt werden, zu hören. Den ersten Rang darunter verdient ohnstreitig Allegri's berühmtes Miserere, welches am Mitwoch und Freitag dieser Woche, in der sixtinischen Kapelle, blos von Vokalstimmen aufgeführt wird und das Meisterstück des erhabenen,[26] feierlichen Kirchengesanges, die höchste Tendenz der Kunst seyn soll; so zwar, daß es dem päpstlichen Musikern bei Strafe der Exkomunikation verboten ward, Kopien davon zu machen.

Dies brachte Mozarten auf die Idee, bei Anhörung desselben recht aufmerksam zu seyn, und es dann zu Hause aus dem Gedächtnisse aufzuschreiben. Es gelang ihm über alle Erwartung. Am Freytage nahm er den Aufsatz zur Wiederholung desselben mit, um das Mangelhafte zu ergänzen.

Der Ruf hiervon verbreitete sich in Rom, und erregte allgemeines Aufsehen und Erstaunen, vorzüglich, da er es in einer Akademie sang, wobei der Kastrat Kristofor zugegen war, der es in der Kapelle mitgesungen hatte und durch sein Erstaunen Mozarts Triumph erhöhte.[27] Man darf nur bedenken, was es für Anstrengung kostet, eine einfache Melodie zu behalten, um über diese Thatsache in zweifelndes Erstaunen zu versinken; dieses lange, kritische Choralstück, voller Imitationen und Reperkussionen, ewig wechselnd im Einsetzen und Verbinden der Stimmen untereinander, welche Kenntniß des reinen Satzes, des Kontrapunkts, welch umfassendes Gedächtniß, welch ein Ohr, welchen allempfänglichen Tonsinn erforderte dieser in seiner Art einzige musikalische Diebstahl!

Auch das lustige Neapel versagte Mozarten den gebührenden Beifall nicht. Riß Mozart als Mann mit dem allmächtigen Zauber seines Genius jedes empfängliche Herz hin, wie mußte der als Knabe schon vollendete Künstler auf die warmsinnigen Italiener wirken! Man hielt ihn[28] für einen Zauberer, und behauptete, seine Macht bestehe in der Talismanie eines Ringes, den er am Finger trug. Wie erstaunte man erst, als er, auf Verlangen, den Ring von sich legte, und dennoch eben so zauberisch spielte!

Bei seiner Rückkehr von Neapel nach Rom, aufmerksam gemacht durch den Ruf, der ihm, als seltenen Künstler voranging, wollte ihn der heilige Vater, Pius der sechste, sehen. Dieser große Beförderer der Wissenschaften und nachmalige Märtyrer des französischen Fanatismus ließ sich den jungen Kapellmeister vorstellen und ertheilte ihm das Kreuz und Breve als Eque militiae auratae (Ritter vom goldnen Sporn.) –

In Bologna, wo er sich auf seiner Rückkehr von Rom nach Milano, kurze[29] Zeit aufhielte, ward er einstimmig als Mitglied und Maestro der filarmonischen Akademie aufgenommen. Zur Prüfung bekam er eine vierstimmige Fuge im Kirchenstil zu bearbeiten. Man schloß ihn in ein Zimmer. In einer halben Stunde war er mit seiner Arbeit fertig und erhielt das Diplom.

Allenthalben wurden ihm Opern: Akkorde für den Karneval angetragen; da er aber bereits für Milano versagt war, mußte er sie alle ausschlagen. Sein Mithridate kam noch vor Ende 1770 den 6. Dezemb. aufs Theater, erhielt allgemeinen Beifall, ward zwanzigmal nach einander aufgeführt und verschafte ihm sogleich den schriftlichen Akkord auf die Opera seria für den Karneval 1773. Lucio Sulla erhielt noch größern Beifall als [30] Mithridate, und wurde ununterbrochen sechs und zwanzigmal aufgeführt.

1771 auf seiner Rückreise aus Italien, besuchte er Venedig und Verona, wo man ihm das Diplom als Mitglied der filarmonischen Gesellschaft überreichte.

Nach einem sechszechnmonatlichen genußreichen ehrenvollen Aufenthalte in Italien, mit einem ungeheuern Schatze neuer Kenntnisse und Ideen, geläutertem Geschmacke, begleitet mit der Bewunderung einer Nation, die von der Natur zur Nichterin der Tonkunst berufen scheint, kam er nach Salzburg zurück, wo er einen Brief vom Grafen Firmian aus Milano fand, worin ihm dieser im Namen der Kaiserin, Maria Theresia, die Komposizion einer großen theatralischen Serenate zur Vermählung des Erzherzogs Ferdinand, auftrug.[31] Hasse, der älteste Kapellmeister, schrieb die Oper und Mozart, der jüngste unter ihnen, die Serenate. (Ascanio in Alba) Absichtlich schien die Monarchin dieses so geordnet zu haben. Während der Feierlichkeit ward mit Oper und Serenate immer abgewechselt.

1772 zur Wahl des neuen Erzbischoffs verfertigte er zu Salzburg die Serenate, Lo sogno di Scipione.

1773 und 1774 gaben ihm einige Reisen nach Wien und München Gelegenheit zu mehrern Meisterwerken. Hieher gehört die komische Oper La finta giardiniera, und mehrere Messen für die Münchner Kapelle.

1775 componirte er die Serenate il Ropastore zu Salzburz. Sie hat außerordentlichen[32] Beifall erworben, und ihren Werth auch unter den nachfolgenden Werken erhalten, da Mozart in ihr schon jenen hohen Geist ahnen läßt, der seine spätern Kunstwerke belebte. Sie scheint der Uebergang aus seiner Schülerperiode in die seiner Vollendung, welche mit seinem zwanzigsten Lebensjahre beginnt.

In diese Meisterperiode gehören alle seine klassischen Werke, die ihm die Krone der Unsterblichkeit errangen.

Gegründet war sein Ruhm als Tonsetzer und Virtuos auf dem Klaviere.

1777 machte er seine letzte Reise nach Paris. Am angemessensten wäre wohl diese große Stadt für seine Talente gewesen; allein sein gerader Sinn war nicht für die Schlangenwindungen, die auf diesem[33] Tummelplatze menschlicher Thorheiten auch Künste und Wissenschaften umstricken. Die französische Musik gefiel ihm nicht, und das traurige Andenken an seine Mutter, die er dort begraben ließ, verleideten ihm den Aufenthalt in dieser Stadt gänzlich. Mit dem Schlusse des Jahres 1778 war er schon wieder in Salzburg.

1781 componirte er: Idomeneo Re di Creta, oder:Ilia ed Idamante, opera seria für den Fasching zu München.

Den Aufenthalt in dieser Stadt zählte Mozart unter die schönsten Tage seines Lebens, die ihm der Umgang mit so vielen verdienstvollen Männern bereitet hatte.

Von hier rief ihn ein Auftrag des Bischoffs in Salzburg, nach Wien. Von dieser Zeit an – seinem 25. Lebensjahre[34] – lebte er in dieser Kaiserstadt, die durch den entschiedenen Hang des Publikums zur Musik, als durch die Menge vortreflicher Tonkünstler, die sie in ihren Mauern versammelt, gleich berühmt ist, und für Mozarts Geist außerordentlich wichtig seyn mußte.

Gewiß kann man behaupten, daß Mozarts Manier sich hier zu dem Grade der Gefälligkeit ausbildete, der sie nachmals ihren Zugang zu allen Herzen verdankte. Alle seine frühern Werke haben eine gewisse Steifheit, einen Mangel an Politur und Vertreibung der Farben, der sie im Vergleich gegen die neuern ungenießbar macht. Seine Schreibart hatte alle mögliche Anlagen zum düstern verworrenen Kontrapunktisten und hätten ihn Wiens tändelnde, gefällige Musen nicht zeitig mit ihren Rosengewinden umflochten, er wäre[35] ganz in die Manier Emanuel Bachs gerathen. Seine Messen, zumal die kleinern aus D und B dur, und besonders sein Requiem, zeigen dieses auffallend. Auch im Idomeneo zeigen sich hin und wieder deutliche Spuren. Doch in der Folge mehr hierüber.

Von Wien aus verbreiteten sich seine Komposizionen zunächst nach Böhmen, von da nach Baiern und späterhin ins niedere Deutschland, und gaben dem Geschmacke in der Musik einen großen neuen Schwung, eine originelle Wendung, die aber seine bisherigen Nachahmer sehr verzerren und verderben. Auch hiervon bei näherer Auseinandersetzung seiner Manier deutlicher.

In Wien fand sein Spiel auf dem Pianoforte am schnellsten Bewunderer und Liebhaber. Wenn schon diese Stadt[36] eine Menge großer Meister auf diesem Lieblingsinstrumente zählte, so kam doch keiner von ihnen unserm Mozart gleich. Eine bewundernswürdige Geschwindigkeit, die, vorzüglich in Rücksicht auf die linke Hand, einzig genannt zu werden verdient, Feinheit und Präzision, der schönste, redendste Ausdruck und ein Hauch der Empfindung, mit dem nur ein Mozart seine Töne beleben konnte, waren die hervortretendsten Karakterzüge seines Spiels, welche, gepaart mit seiner Gedankenfülle, mit der Weiche der Komposizion jeden Hörer bezaubern und Mozart zu dem größten Klavierspieler seiner Zeit erheben mußten.

Seine Klavierkomposizionen aller Art, Sonaten, Variazionen, Konzerte, wurden bald allgemein bekannt und beliebt. Jedes neue Werk überraschte durch seine[37] Neuheit des Stiels und der Gedanken. Man staunte über die Höhe, zu der sich die Musik durch seine Werke so schnell emporschwang.

Mozart fand in Wien einen Tonkünstler, dessen Genie dem seinigen am ähnlichsten war, den Ritter Gluck, den unvergeßlichen Schöpfer des Ifigenie, Alzeste etc. Der Umgang mit ihm und das unablässige Studium seiner erhabenen Werke gab Mozarten viel Nahrung und hatte Einfluß auf seine Opernkomposizionen. Dieses Studium der Gluckischen Werk verräth sich dem Kenner vorzüglich in der Clemenza di Tito. – Man vergleiche die Chöre der Ifigenie auf Tauris mit dem Finalchore »o Nacht voll« und im Idomeneo das Schlußchor des zweiten Finals D mol sechsviertel Takt: Corriam fuggiamo etc. In Arien – worin Mozart[38] einen ganz neuen Weg einschlug – war Gluck sein Muster nicht und konnte es nicht seyn. Aber die Chöre athmen ganz den Geist dieses großen Mannes. Auch wurde Mozart bald der innigste Verehrer des großen Vater Haydns, der schon damals der Stolz der Tonkunst war, und nun, nach Mozarts Uebergang der einzige Liebling – der Komponist der deutschen Nazion ist. – Mozart nannte ihn oft seinen Lehrer und gab ihm viele seiner Werke vor der Publikazion zur Durchsicht. Man erzählt, daß er die erste Ouverture zu seinem Don Giovanni zurückgenommen und umgearbeitet habe, weil Haydn einiges daran auszusetzen gefunden.

Nicht lange nachdem Mozart seinen Aufenthalt in Wien aufgeschlagen, faßte der unvergeßliche Kaiser Joseph II. die glückliche Idee, den Geschmack an italienischen[39] Opern, durch kräftige Unterstützung deutscher Singspiele zu verdrängen, und den Nazionalgeschmack zu heben. Er versammelte die besten Sänger und Sängerinnen und ließ von Mozart eine Oper setzen. Für diese Virtuosen schuf Mozart die liebevolle Musik zu Brezners Entführung aus dem Serail 1782. Er war damals Bräutigam mit Konstanze Weber, einer Sängerin.

Sie erregte allgemeines Aussehen und allgemeinen – Neid der giftigen Italiener, die wohl einsahen, daß ein solcher Kopf für ihr welsches Geklingel bald gefährlich werden dürfe. Der Kaiser, so sehr er von der neuen, tiefeindringenden Musik entzückt war, sagte doch zum Verfasser, höchst wahrscheinlich gestimmt durch andere: »Zu schön für unsre Ohren, und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!« »Gerade[40] so viel, Ew. Majestät, als nöthig ist« war des Künstlers freimüthige Antwort, der es zu deutlich merkte, daß es nicht eignes, sondern nachgebetetes Urtheil war.

Der Beifall dieser Oper begründete vorzüglich seinen Ruf. Von nun an war die Vorliebe, zumal der Böhmen, für seine Werke entschieden.

Ohngeachtet seines großen Ruhms, lebte Mozart bis jetzt ohne Anstellung und folglich – ohne bestimmte Einkünfte, wobei sich in einer Stadt, wie Wien, gewiß nichts ersparen ließ.

In dieser Periode schrieb er die schönsten Sachen für das Klavier, Sonaten mit und ohne Begleitung, und Konzerte, die nun in jedermanns Händen sind.[41]

1785 gab er sechs meisterhafte Quartetten heraus, seinem Freunde Joseph Haydn gewidmet. Ein schöner Zug seines Hochachtungsgefühls! Nicht leicht hätte Mozart mit einem Werke einen Joseph Haydn besser ehren können, als mit diesen Quartetten, einem Schatze der schönsten Gedanken, und Muster einer vollendeten Quadrokomposizion. In den Augen des Kenners ist dies Werk eben so viel werth, als jede Operkomposizion Mozarts. Alles darin oft – wie in allen seinen neuern klassischen Werken – durchdacht und vollendet. Man sieht es den Quartetten an, daß sie um den Beifall eines Joseph Haydn buhlen.

In dieselbe Periode fällt die Komposizion seinerNozze di Figaro. Mit unglaublichem Enthusiasm wurde dieses Kunstwerk aufgenommen. Der Graf von Thun,[42] ein großer Kenner und Verehrer der Tonkunst, der selbst eine vortrefliche Kapelle unterhielt, lud Mozart nach Prag ein, wo er ihm Wohnung, Kost, und alle Bequemlichkeiten in seinem Hause anbot. Erfreut über die Wirkung seiner Musik auf die Böhmen, und begierig, eine Nation von solch einem Tonsinn kennen zu lernen, nahm er die Einladung mit Freuden an. Im Februar 1787 kam er nach Prag. Der Tag seiner Ankunft wurde mit der Aufführung des Figaro gefeiert. Mozart erschien darin. Plötzlich verbreitete sich der Ruf von seiner Anwesenheit im Parterre, und so wie die Ouverture schloß, klatschte ihm das gesamte Publikum Beifall und Willkommen zu.

Er ließ sich dann auf allgemeines Verlangen in einer großen musikalischen Akademie im Operntheater auf dem Pianoforte[43] hören. Nie hatte man das Parterre mehr mit Menschen gefüllt gesehn, als bei dieser Gelegenheit; nie ein mächtigeres, allgemeineres Entzücken empfunden, als damals sein göttliches Spiel erweckte. In der That man wußte nicht was man mehr bewundern sollte, die ausserordentliche Komposizion, oder das ausserordentliche Spiel. Die Vereinigung von beiden bewirkte einen Totaleindruck auf alle Hörer, der einen süßen Bezauberung glich. Aber dieser Zustand löste sich dann, als Mozart zu Ende der Akademie allein auf dem Pianoforte fantasirte, und das Entzücken auf den höchsten Grad gespannt hatte, in laute überströmende Beifallsäußerung auf. Und gewiß übertraf dieses Fantasiren alles, was man sich vom Klavierspiele vorstellen konnte, da der höchste Grad der Komposizion mit der vollkommensten Fertigkeit im Spiele vereinigt[44] war. So wie diese Akademie für die Prager die einzige ihrer Art war, so zählte Mozart diesen Tag zu den schönsten seines Lebens.

Die Simphonien, die er für diese Gelegenheit setzte, sind wahre Meisterstücke des reinen Satzes, voll überraschender Uebergänge, und haben einen emporstrebenden, feurigen Gang, setzen die Seele in Erwartung und befriedigen sie vortreflich. Dies gilt besonders von der großen Simphonie in D dur, die, wenn schon hundertmal gehört, dennoch stets die Lieblingssimphonie des Prager Publikums ist.

1787 bereiste Mozart Prag abermals und komponirte für das Theater des Herrn Bondini seinen Don Giovanni, esia il Dissoluto punito, nach der Poesie des Abbate di Porte.[45]

1789 komponirte er das komische Singspiel, cosi fan tutte, oder die Mädchen sind von Flandern.

Im Frühjahre desselben Jahres machte er seine Reise über Leipzig und Dresden nach Berlin. Der große Ruf seines Namens gieng ihm voran und nirgends fand man sich in der Erwartung von ihm getäuscht. Der König von Preußen ward ganz für ihn eingenommen, und gab ihm vorzügliche Beweise seiner Achtung, deren Dauer die Großmuth, mit der er in der Folge seine Wittwe unterstützte, bewies.

Noch immer war Mozart ohne Anstellung, ohne sichere Einkünfte. So bekannt auch sein Talent war, so sehr man seine Komposizionen suchte, so wenig dachte man daran, ihn zu belohnen und zu unterstützen. Zwar hatte er oft beträchtliche Einnahmen, aber bei der Unsicherheit[46] und Unordnung der Einkünfte, bei den häufigen Kindbetten, den langwierigen Krankheiten seiner Gattin, in einer Stadt, wie Wien, mußte Mozart im eigentlichen Verstande dennoch darben. Er beschloß daher, diese Stadt zu verlassen, wo sich keine Stelle für einen Kopf, wie Mozart, fand. Sein Plan war nach England zu gehen, wo er um so mehr ein besseres Schicksal erwarten konnte, da man ihn schon öfters von dort aus mit lockenden Versprechungen eingeladen hatte.

Schon war alles zur Abreise fertig, als der Kaiser ihm den Titel eines kaiserlichen Kammerkomponisten mit einem Jahrgehalt von 800 Gulden und der Zusicherung ertheilte, daß man auf ihn in Zukunft Bedacht nehmen werde. Er nahm es willig an, und blieb. Das Anstellungsdekret ist am 7. Dez. 1787 ausgestellt.[47]

Ob es recht, ob es billig war, einen Mann von solchen Talenten so lange schmachten zu lassen, diese Frage wird jedem auffallen. Allein sie wird sich eben so bald lösen, wenn er bedenkt, daß Mozart zu edel war, um zu kriechen, zu offen, um zu schmeicheln, zu stolz, um al italiano zu – betteln; und dann war er ja auch nur ein – Deutscher.

Wie ist hier bestätigt, was der brave Gleim singt:


Warum war Winkelmann Schulmeister?

Lessing Schreiber?

Buchhalter Mendelsohn?

Der Deutsche macht kein Glück durch Weiber,

Und kriecht um keinen Thron.


Suchten auch elende Menschen, Neider und grämische Tadler seine Vorzüge[48] zu verdunkeln und herabzuwürdigen, so war er doch jedem wahren Kenner der Tonkunst ehrwürdig, und jeder Musikfreund huldigte seinem Genie.

Der Baron von Swieten, als Staatsmann und Gelehrter gleich ehrwürdig, ein wahrer Kenner der Tonkunst, voll Gefühl für den Gesang des erhabenen Händels, ließ oft die Werke dieses berühmten Tonkünstlers in Privatkonzerten aufführen. Er bediente sich hierzu der Talente unsers Mozarts, der die großen Ideen Händels mit der Wärme seiner Empfindung zu beleben und durch den Zauber seines Instrumentalsatzes für unser Zeitalter genießbar zu machen verstand. Mozart bearbeitete für ihn Händels Messias, Acis und Galathea, Cecilia, und das Fest Alexanders in den Jahren 1788, 89, 90.2[49]

Der Türkenkrieg und der dadurch veranlaßte Tod des Kaisers Joseph, raubte auch Mozarten eine große Stütze seiner Hoffnungen; er blieb Kapellmeister mit 800 Kaisergulden und ohne Wirkungskreis.

1791, Mozarts Todesjahr, ist durch die Schöpfung seiner schönsten Werke vorzüglich merkwürdig; recht als wollte er noch vor seinem Ende die Fülle seines Geistes mit vollen Händen in die Nachwelt säen, arbeitete er unablässig zum großen Ziele, an dem er sein schönstes vollendetstes,[50] allen Foderungen der Aesthetik Genüge leistendes Werk – die Zauberflöte, schuf. Die Komposizion der Clemenza di Tito, und des furchtbar erhabenen Requiem fällt ebenfalls in dieses Jahr. Gewiß haben diese drei Werke ihm den ersten Platz unter den Tonkünstlern aller Zeiten und den Kranz der Unsterblichkeit errungen, und jedem Kenner der Tonkunst dringt sich bey Anhörung dieser Werke der Gedanke auf: Wie viel würde der Mann noch geleistet, welche Harmonien würde er noch geschaffen haben!

Er schrieb innerhalb der 4 letzten Monate seines Lebens, wo er schon kränkelte, und zwei Reisen machte:


1) Eine Klavierkantate. »Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt«[51]

2) Die Zauberflöte.

3) La Clemenza di Tito.

4) Ein Klavier-Konzert.

5) Eine Freimaurer-Kantate, fürs ganze Orchester, und

6) das Requiem.


Die Zauberflöte setzte er für das Theater des allbekannten Schikaneder-, nach dessen Texte. Die Musik zur Clementia di Tito war von den böhmischen Ständen zur Krönung des Kaisers Leopold bestellt, nach dem Texte des Metastasio, aber abgekürzt. Diese letztere begann er in seinem Reisewagen auf dem Wege von Wien, und vollendete sie in dem kurzen Zeitraume von 18 Tagen in Prag.

Gleich merkwürdig und geheimnißvoll ist die Geschichte seines letzten Werkes, der Seelenmesse.[52]

Kurz vor der Krönung des Kaisers Leopold, und ehe Mozart den Auftrag erhielt, nach Prag zu reisen, brachte ihm ein unbekannter Bothe einen Brief ohne Unterschrift, der nebst mehrern schmeichelhaften Aeußerungen die Anfrage enthielt: ob Mozart die Komposizion eines Requiem übernehmen wolle? und um welchen Preiß und binnen welcher Zeit er sie liefern könne?

Mozart, der ohne Mitwissen seiner Frau nicht den geringsten Schritt zu thun pflegte, erzählte ihr den sonderbaren Auftrag, und äußerte dabei seinen Wunsch, sich in dieser Gattung auch einmal zu versuchen, um so mehr, da der höhere pathetische Stil der Kirchenmusik immer sein Lieblingsstudium war. Sie rieth ihm zur Annahme des Auftrags. Demnach schrieb er dem unbekannten Besteller zurück,[53] er werde das Requiem für eine gewisse Belohnung verfertigen. Die Zeit der Vollendung konne er nicht genau bestimmen, doch wünsche er den Ort zu wissen, wohin er das vollendete Werk abzuliefern habe. Nach einiger Zeit erschien derselbe Bothe wieder, brachte nicht nur die bedungene Belohnung mit, sondern auch das Versprechen einer beträchtlichen Zulage bei Uebergabe der Partitur, da er mit seiner Forderung so billig gewesen sey. Uebrigens solle er ganz nach der Laune seines Geistes arbeiten. Doch solle er sich gar seine Mühe geben, den Besteller zu erfahren, indem er gewiß umsonst seyn werde.

Während dem erhielt Mozart den ehrenvollen und vortheilhaften Antrag, für die Prager bei der Krönung des Kaisers Leopold die opera seria zu komponiren.[54]

Eben als er mit seiner Frau in den Reisewagen stieg, stand der Bothe, gleich einem Geiste, wieder da, zupfte die Frau am Rocke und fragte: »Wie wird es nun mit dem Requiem aussehen?«

Mozart entschuldigte sich mit der Nothwendigkeit der Reise und der Ohnmöglichkeit seinem unbekannten Herrn Nachricht davon geben zu können; übrigens werde es bei seiner Zurückkunft seine erste Arbeit seyn; es käme nur auf den Unbekannten an, ob er so lange warten wolle. Damit war der Bothe gänzlich befriedigt.

Schon in Prag kränkelte und medizinirte Mozart unaufhörlich. Seine Farbe war blaß. Sein Blick matt und traurig, obschon sich seine frohe Laune im Zirkel vertrauter Freunde nicht verläugnete.[55]

Nach seiner Zurückkunft in Wien nahm er sogleich seine Seelenmesse vor, und arbeitete mit außerordentlicher Anstrengung und einem lebhaften Interesse daran. Seine Unpäßlichkeit nahm in demselben Verhältnisse zu und stimmte ihn zur düstern Schwermuth. Mit inniger Betrübniß sah seine Gattin seine Gesundheit immer mehr hinschwinden. Als sie an einem schönen Herbsttage mit ihm in den Prater fuhr, ihm Zerstreuung zu verschaffen, und sie beide einsam saßen, fieng Mozart an, vom Tode zu sprechen, und behauptete, daß er das Requiem für sich setze. Thränen standen ihm dabei in den Augen, und als sie ihm den schwarzen Gedanken auszureden suchte, sagte er: »Nein, nein, ich fühle mich zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiß, man hat mir Gift gegeben. Vergebens suche ich mich von diesem Gedanken loszuwinden.«[56]

Seiner Frau fiel diese Rede mit all ihrer vernichtenden Gewalt auf die Seele. Sie war kaum vermögend, ihn zu trösten, und das Grundlose seiner schwermüthigen Vorstellung zu beweisen. In der Meinung, daß vielleicht die Arbeit des Requiem seine Nerven zu sehr angreife, und den Grund zu einer Krankheit legen könne, berief sie den Arzt, und nahm ihm die Partitur der Requiemskomposizion weg.

Sein Zustand besserte sich etwas, und er war fähig, eine kleine Kantate für ein gesellschaftliches Fest zu verfertigen. Ihre gute Ausführung, und der Beifall, mit dem sie aufgenommen ward, gab seinem Geiste neue Schnellkraft. Er ward munterer und verlangte wiederholt, sein Requiem fortzusetzen und zu vollenden. Seine Frau fand nun keinen Anstand, ihm seine Noten wieder zu geben.[57]

Doch dieses Wiederaufleben war die letzte gesammelte Kraft des verlöschenden Lichtes. In wenigen Tagen verfiel er in seine narige Schwermuth, ward immer matter und schwächer, bis er endlich ganz aufs Krankenlager sank, von dem er nicht wieder aufstand.

Den 5 Dezember Nachts 1791 erfolgte sein Tod. Noch Tags vorher lies er sich die Partitur an sein Bette bringen. »Hab' ich es nicht gesagt, daß ich dies Requiem für mich schreibe?« sagte er, als er noch einmal dem Ganzen einen Abschiedsblick widmete. Die Aerzte waren in Bestimmung seiner Krankheit nicht einig.

Gleich nach seinem Tode erschien der geheimnißvolle Bothe, mit einem Billet, worin Mozart ersucht ward, das Requiem zu senden, und eine Summe zu bestimmen,[58] um welche er jährlich eine gewisse Anzahl Quartetten machen könnte. Die Wittwe lieferte es an den Bothen ab, und sah ihn von dem Augenblicke an nicht wieder, erfuhr nicht das Mindeste von der Seelenmesse noch von dem Besteller, so sehr man sich auch bemühte, den räthselhaften Bothen auszuforschen.

Warum hat der unbekannte Verehrer der Talente Mozarts – so nannte sich der Briefsteller – für gut befunden, verborgen zu bleiben? Was ist mit dem Requiem geschehen? Man erfuhr nie, daß es irgendwo aufgeführt worden wäre.

Ich erzähle diese sonderbar scheinende Begebenheit Mozarts ersten Biografen, Herrn Professor Franz Niemtschek, von dem ich überhaupt diese ganze Biografie entlehnt habe, so noch, wie er sie erzählt,[59] und, nach seiner Versicherung, aus dem Munde der Wittwe gehört hat. Viele haben die Begebenheit in Zweifel gezogen, weil sie etwas sonderbar klingt; allein man gebe auf alle Umstände genau acht, und der Gang der Geschichte wird all sein Sonderbares verlieren – ja zum Alltäglichen zurückkehren.

Mozarts Geist entwickelte sich früh – sehr früh, und erreichte in den Jahren schon einen großen Grad von Vollkommenheit, wo bei andern gewöhnlichen Menschen sich kaum der Funke des Talents zeigt. Er blühte früh, trug frühzeitig Früchte, und – welkte früh.

Betrachten wir sein Leben, sein außerordentlich thätiges Leben, die Menge seiner Komposizionen, die für den kurzen Zeitraum unglaubliche Menge von Komposizionen:[60] welches Anstrengen der Einbildungskraft, welches ewige Reiben seines Geistes, welche Exaltation seiner Gehirnfasern! Welch ein ununterbrochenes Aufreiben seiner Lebenskraft! Mit einem Worte: sein ganzes Leben war – Lebenskonsumzion. Die Gelehrten-Geschichte zeigt uns eine Menge großer Geister, die sich – selbst aufzehrten. –

Es giebt eine Menge Komponisten, die bei einer Menge Komposizionen sehr alt werden und gesund bleiben; Haydn, der Greis Piccini, Paisello; – aber ihre spätern Komposizionen sind immer nur Nachahmungen ihrer Jugendwerke, längst verbrauchte Gedanken, die einander immer gleichen; so verläugnet sich Haydn und Paisello bei keinem seiner Stücke. Man hört immer seine Lieblingsgänge, die Schöpfung in seinen Messen, und seine Messen in der[61] Schöpfung; aber Mozart, wie originell, wie ewig neu ist er! Kein Werk gleicht dem andern, man überblicke sie alle. Jedes trägt das Gepräge einer neuen Originalität! Die Entführung aus dem Serail ist etwas ganz anders, als die Clemenza di Tito, die Zauberflöte etwas anders als der Don Juan, die Messe (C dur) hat mit dem Requiem nicht die entfernteste Aehnlichkeit, und seine ältern Werke überhaupt halten gar keine Vergleichung mit den neuern aus, scheinen von einem ganz andern Meister verfertigt. Jedes feiner Werke trägt ein edles Gepräge im Allgemeinen, aber es karakterisirt sich wieder vor allen übrigen, als hätte es einen eignen Verfasser. Bei diesem beständigen Haschen und Ringen nach ewig neuen Ideen, bei diesem Sinnen und Rechnen, bei dieser übermenschlichen Anspannung[62] der Einbildungskraft3, war etwas anders denkbar, als frühe Zerstörung seiner organischen Thätigkeit? Man höre die erstaunliche Zauberflöte, dieClemenza di Tito, und das Requiem – und sage sich: diese Menge Musik schuf er in vier Monaten und machte noch zwei Reisen dazu! – Man lege die dicken Partituren über einander – welch Volumen! – Man durchblättre sie – welche ungeheure Menge Noten! Wie war es möglich, daß sie der Mann in dieser kurzen Zeit nur schreiben konnte! Und gleichwohl[63] ist jede dieser Myriaden von Noten überdacht, überrechnet, genau überrechnet, seinem gehörigen Instrumente zugetheilt, in seinen Schlüssel gesetzt, ihr Effekt bestimmt – ach und was alles noch mehr! – Studirt die Werke ihr jungen Tonkünstler und erstaunt! – Man weiß, daß die schauderlich schöne Ouverture des Don Juan ein Werk von – vier Stunden ist! –

Das beständige Sitzen, das Arbeiten in die späte Nacht4, die Geistesanstrengung abgerechnet, mußte seinem Körper schon innerlich schaden, mußte Verhärtungen im Unterleibe, Verdickungen in den zusammengepreßten[64] kleinen Gedärmen – Hypochonderie und Schwindsucht, ihre gewöhnliche Gefährtin, erzeugen.

Dabei war er Ehemann, zeugte vier Kinder, pflegte der Liebe treulich und auch ausser der Ehe gab es manche Galanterie mit artigen Schauspielerinnen, und sonstigen feinen Mädchen und Weibern, was ihm seine gute Frau gern übersah. –

Noch mehr – er sprang von einem Extrem ins andre. Er hatte keine fixe Besoldung und war, wie das bei Dichtern und Virtuosen der Fall ist – der Verfasser schreibt hier aus Erfahrung – kein guter Wirth, wußte das Geld nicht auf Wochen und Monathe einzutheilen, kannte seinen Werth gar nicht. Oft mußte er bei anhaltender Arbeit mit Frau und Kindern darben, war der Impertinenz[65] mahnender Gläubiger ausgesetzt. Nun kamen einige Rollen Louisd'or. Schnell änderte sich die Szene. Jetzt giengs in Freuden. Mozart betrank sich in Champagner und Tokair, lebte locker, und war mit seinem Gelde in wenig Tagen so weit, wie vorher.

Man weis, wie er oft in seine Gesundheit stürmte, wie manchen Morgen er mit Schikaneder verchampagnerte, wie manche Nacht er verpunschte, und nach Mitternacht gleich wieder an die Arbeit gieng, ohne die mindeste Erholung seinem Körper zu gönnen.

Ich frage hier jeden Arzt, was die Folgen einer solchen Lebensart sind. Man braucht hier kein Gift, keinen geheimnißvollen Bothen, keinen feinen Staub im Briefe, kein Requiem –; seine Kräfte[66] waren aufgerieben, die organische Thätigkeit zerstört, langsam Schwindsucht, (consumtio dorsalis) Vertrocknung mußte erfolgen.

Daß das Requiem viel dazu beigetragen habe, seine geschwächten Kräfte durch äusserste Anspannung vollends zu erschöpfen, seine Einbildung bis zum schwermüthigen Wahnsinn, der Geister sieht, von allem überzeugt ist, was ihm scheint, zu überspannen, ist bei einem so fein besaiteten Organismus wie der Mozartische, gar keinem Zweifel unterworfen, und man braucht da keine vergifteten Briefe, einen solchen unglücklichen Geist aus seiner Hülse zu jagen. Wahrlich wenn man erst einmal so weit zur Schwermuth herabgestimmt ist, bedarfs nur noch eines kleinen Hebels.[67]

Die Krankheitsgeschichte Mozarts beweist nichts für eine Vergiftung.

Sollte er durch Gift geopfert werden, so mußte es auf zwey Wegen geschehen; schnell oder langsam.

Schnell ist es nicht geschehen; und langsam vergiftet, hätte er – wir wollen aqua toffana nehmen – ganz andere Zufälle haben müssen. Sein Geist wäre vertrocknet, er wäre dumm geworden. Aber wir wissen, daß Mozart während seiner ganzen Krankheit bei vollkommenem Bewußtseyn, bei heiterer Vernunft, bis zum letzten Augenblicke seines Lebens blieb, daß er gelassen, aber freilich ungern starb. Jedermann wird dieses begreiflich finden, wenn er bedenkt, daß Mozart eben damals das Anstellungsdekret als Kapellmeister in der Sankt Stephanskirche mit[68] allen Vortheilen und Rechten, die von Alters her damit verbunden waren, bekam, und nun erst die frohe Aussicht hatte, bei hinlänglichen Einkünften ruhig, und ohne Nahrungssorgen leben zu können. Auch erhielt er fast zu gleicher Zeit aus Ungarn und Amsterdam ansehnliche Bestellungen und Akkorde auf periodische Lieferungen gewisser Komposizionen. Dieses sonderbare Zusammentreffen so glücklicher Verbothen eines bessern Schicksals, seine gegenwärtigen traurigen Vermögensumstände, der Anblick einer trostlosen Gattin, der Gedanke an zwei unmündige Kinder, alles dieses war nicht geeigenschaftet, einen bewunderten Künstler, der nichts weniger war, als Stoiker, in seinem fünf und dreißigsten Jahre den Tod zu versüßen. »Eben jetzt soll ich fort, da ich ruhig leben würde« klagte er beständig in seiner Krankheit, »jetzt soll ich[69] meine Kunst verlassen, da ich nicht mehr als Sklav der Mode, nicht mehr von Spekulanten gefesselt, den Regungen meiner Empfindung folgen, frei und unabhängig schreiben könnte, was mein Herz mir eingiebt? Ich soll fort von meiner Familie, von meinen armen Kindern in dem Augenblicke, da ich im Stande gewesen wäre, besser für ihr Wohl zu sorgen?«

Mozart hatte freilich – wie jeder große Künstler – eine Menge Feinde, zumal unter den italienischen Operisten, die freilich sehen mußten, daß mit Mozarts Emporkeimen, ihr welscher Singsang zu Grabe gehen mußte. Man weis, welche Mühe sie sich gaben, den Figaro zu verhunzen, daß sie auf Mozarts Bitten, beim Kaiser, durch dessen ausdrücklichen Befehl zwischen dem ersten und zweiten Akte angehalten werden mußten, bei[70] Ungnade, den Gesang gehörig vorzutragen. Allein, wollten sie Mozarten aus dem Wege räumen, so durften sie nicht so lange warten, bis er mit seinen übrigen Geistesproduckten ihrem Charivari den letzten Gnadenstoß gegeben hatte; sie mußten rascher zu Werke schreiten.

1786 schrieb er Figaro, wo seine Neider am wüthendsten waren, und sie hätten ihm den Raum von fünf Jahren – 1786 – 1791 – gelassen, seinen Ruhm zu vermehren? – Dies ist schon wegen der Jähzornigkeit der Italiener als ihres eigenen Interesse unwahrscheinlich. Und wollte man ihn ja vergiften, wozu der geheimnißvolle Bothe? wozu vergiftete Briefe, und eine ansehnliche Belohnung für eine Komposizion, die aus demselben Grunde, wie ihr Verfasser, zur Vernichtung bestimmt war? Man konnte leichter[71] an Mozart kommen. Sein offener, redlicher Charakter machte, daß er jedem traute, sich oft seinem ärgsten Feinde hingab. Wozu also die Umstände? –

Noch mehr. Er kränkelte schon in Prag, ehe er an dem Requiem arbeitete, nahm Medizin, und sah blaß und traurig. Seine bevorstehende Auflösung war damals schon in seinem Körper vorbereitet; – die Anstrengung über dem Requiem hat sie nur befördert.

Der Gedanke der Vergiftung war gewiß ein bloßes Spiel seiner Einbildung.

Wer weiß, welcher unglücklich Liebende – vielleicht ein Großer, dem man nicht gestattete, seiner Neigung nach, sich mit der Geliebten seines Herzens zu vereinen, die ihm durch den Tod entrissen[72] wurde, – das Andenken seiner Theuern durch Mozarts Musik feiern und ihn zugleich thätig unterstützen wollte? – Wie viele Gelegenheitsgedichte werden nicht bestellt, ohne daß der Dichter erfährt, für wen und von wem? – Der Bothe hatte gemessene Ordre, sich nicht ausfragen zu lassen. Daß nun die Komposizion Mozart so sehr angriff, seinen Tod beförderte, war wohl mehr Zufall als Plan. Daß sich auch in der Folge der Besteller nicht genannt hat, lag vielleicht eben in dem Geschrei einer geargwohnten Vergiftung durch jenen Bothen, oder hatte sonst seinen vielleicht ganz unschuldigen Grund. –

Ja sogar sein Todesjahr (das fünf und dreißigste) zeigt mehr für Schwindsucht. Im 4, 5, und sechs und dreißigsten Jahre sterben die mehresten jungen Leute an der Schwindsucht.[73]

Wenn die Aerzte über seine Todesart nicht einig waren, so folgt noch immer nicht daraus, daß er an Vergiftung starb, die Schwindsuchten selbst sind so verschieden, und ihre Symptome oft einander widersprechend. Mozart ist nicht der erste der an den Folgen außerordentlicher Anstrengung starb.

Sein Tod erfüllte die Herzen aller, die ihn kannten, mit inniger Wehmuth. Unzählige Thränen flossen dem Schöpfer himmlischer Harmonien. Jeder Kenner, jeder Freund der Tonkunst hielt seinen Verlust für unersetzlich, und in der Thät bis jetzt hat man nicht Ursache, diese trostlose Meinung zurückzunehmen. Es schien unglaublich, daß ein Mann, wie Mozart, der allmächtige Schöpfer der erhabensten Harmonien ins alte Nichts zurückgekehrt seyn sollte![74]

Mit Würde feierte man in Wien sein Andenken. Mehr noch zeichnete sich Prag durch die wärmste Theilnahme aus. Allgemein, ungeheuchelt war die Trauer um den zu früh entschlafnen Liebling der Musen. Zuerst veranstaltete der würdige Musikdirektor Strohbach, ein inniger Freund des Verstorbenen, in seiner Pfarrkirche bei St. Niklas den 14. Dezember desselben Jahres ein feierliches Seelenamt für Mozart. Nie gab es eine so rührende und erhabene Todenfeier. Ein Chor von 120 Personen aus den besten Künstlern Prags, die alle mit wehmüthigem Eifer sich dazu angebothen hatten, unter Direktion des braven Strohbachs führte das meisterhafte Requiem des berühmten Rosetti – eigentlich Rösler – mit schwermuthsvollem Ausdrucke auf, so daß es auf die versammelte Menge den tiefsten Eindruck machen mußte. Mehr als dreitausend Menschen[75] – so viel der Raum der Kirche faßte – waren zu einem wehmüthigen Zwecke versammelt, alle gerührt, alle voll Wehmuth über den frühen Tod des entrissenen Künstlers. Etwas später, den 28. Dezember 1791 unternahm eine Gesellschaft wahrer Verehrer Mozarts zur Unterstützung der hinterlassenen Wittwe und Waisen ein öffentliches Konzert im Nazionaltheater. Man führte einige der besten, weniger bekannten Stücke Mozarts, auf. Aus allen Kräften ward so eine edle Todenfeier vom Prager Publikum unterstützt. Das Theater war voll, die Einnahme beträchtlich.

In Wien wurde die Wittwe auf eine eben so großmüthige Art unterstützt. Mozart hinterließ seiner Familie nichts, als den Ruhm seines Namens. Alle Hülfsmittel ihrer Erhaltung beruhten auf der[76] Großmuth eines dankbaren Publikums, dem Mozart so viele Stunden des reinsten Vergnügens, der edelsten Unterhaltung durch sein unerschöpfliches Talent geschaffen hatte. Die Wittwe ließ in einem öffentlichen Konzert zu ihrem Besten die merkwürdige Seelenmesse aufführen. Der große Ruf dieses Meisterstücks und der Wunsch, die Waisen zu unterstützen, zog ein zahlreiches Publikum an. Aber die Großmuth des verewigten Kaisers Leopold, dieses menschenfreundlichen, Künsten und Wissenschaften so früh entrißenen Monarchen, übertraf alles, was bisher der Wittwe zum Besten geschah. Mozarts Feinde und Verläumder wurden besonders gegen sein Ende, und nach seinem Tode so boshaft, so laut, daß bis zum Ohr des Monarchen manche nachtheilige Sage von Mozart gedrungen war. Diese Ausstreuungen und Lügen waren so unverschämt,[77] so empörend, daß der Monarch, von Niemand des Gegentheils belehrt, sehr entrüstet war. Nebst einer schändlichen Erdichtung und Vergrößerung von Ausschweifungen, denen Mozart, wie sie sagten, ergeben gewesen, behauptete man, daß er nicht weniger, als 30000 Kaisergulden Schulden hinterlassen habe. Eine Summe, worüber der Monarch erschrack. Die Wittwe war eben gesonnen, den Monarchen um Pension zu bitten. Eine edeldenkende Freundin und vortreffliche Schülerin Mozarts unterrichtete sie von den Verläumdungen ihres Mannes bei Hofe, und gab ihr den Rath, den gütigen Monarchen bei der Audienz eines bessern zu belehren. Die Wittwe hatte bald Gelegenheit, ihren Rath auszuführen.

»Ew. Majestät,« sagte sie mit edelm Eifer bei der Audienz, »jeder Mensch hat[78] Feinde; aber heftiger und anhaltender ist noch niemand verfolgt und verläumdet worden, als mein Mann, bloß weil er ein großes Talent besaß. Man hat es gewagt, Ew. Majestät viel Unwahres über ihn zu sagen. Man hat seine hinterlassenen Schulden zehnfach vergrößert. Ich stehe mit meinem Leben dafür, daß ich mit einer Summe von ohngefähr 3000 Kaisergulden alles bezahlen könnte, was er schuldig ist. Und diese Schuld ist nicht muthwillig gemacht worden. Wir hatten keine sichern Einkünfte; häufige Kindbetten, eine schwere und kostspielige Krankheit von anderthalb Jahren, die ich auszustehen hatte, werden bei dem menschenfreundlichen Herzen meines Monarchen zur Entschuldigung dienen.«

Wenn es so ist, sagte der Kaiser, da ist wohl noch Rath zu schaffen. Geben[79] Sie ein Konzert von seinen hinterlassenen Werken, und ich will es unterstützen. Er nahm ihr die Bittschrift gnädig ab; und in kurzer Zeit ward ihr eine Pension von 260 Kaisergulden angewiesen, die zwar an sich gering ist, aber da Mozart erst drei Jahre angestellt, folglich die Wittwe noch nicht Pensionsfähig war, so bleibt es immer eine Gnade. Die Akademie ward unternommen und der Monarch erfüllte so großmüthig sein Versprechen, daß die Wittwe dadurch in den Stand gesetzt wurde, die Schulden ihres Mannes zu tilgen.

Mozart hinterließ von mehrern Kindern nur 2 Söhne, wovon der jüngere etwa vier Monate alt war, als der Vater starb. Er heist Wolfgang, und zeigt vorzügliches Talent für Musik. Es wäre sonderbar, wenn die scherzhafte Behauptung seines Vaters einträfe, daß dieser[80] wieder ein Mozart werde, weil er einst im Weinen in den Ton einstimmte, aus dem Mozart eben spielte. Doch fehlt ihm die zärtlich bildende Vaterhand, die seinem Erzeuger freundlich entgegen kam.

Im nördlichen Deutschland wurde Mozarts Ruhm erst bei der Erscheinung der Zauberflöte allgemein verbreitet; seit dieser Periode, die erst nach seinem Tode eintraf, ist man da auch auf seine übrigen Werke recht aufmerksam geworden. Mozart hatte also die außerordentliche Wirkung, die seine Kunstwerke überall hervorbrachten, diese schöne Blüthenzeit seines Ruhmes nicht erlebt. Aber seine Wittwe erndete die Früchte dieses edeln Enthusiasmus auf ihrer Reise, welche sie 1796 durch Norddeutschland machte. Ueberall erfuhr sie zu ihrer innigsten Wonne, wie gern die Deutschen wahres Verdienst[81] erkennen und ehren; und wie tief Mozarts Gesänge auf ihre Herzen gewirkt haben. Nie denkt sie ohne Rührung an den Aufenthalt in Leipzig, Halle, Hamburg und Berlin. Bei ihrem Aufenthalte in letztgedachter Stadt – im Februar 1796 – gab König Friedrich Wilhelm II. und der ganze königliche Hof ausgezeichnete Beweise seiner Liebe und Achtung für Mozarts Genie. Durch ein gnädiges Handbillet ward ihr, bloß aus Rücksicht auf die Talente ihres Mannes, das Königliche Theater und die Kapelle zum Gebrauche für ihr Konzert überlassen; und ihre Unternehmung wurde nicht nur von dem Monarchen, sondern auch vom ganzen Publikum aufs großmüthigste unterstützt. Ueber alle Beschreibung groß und rührend war die Wirkung, welche die Aufführung der Singstücke aus der Oper: Clemenza di Tito, bei dem Konzerte auf den[82] König, und das so ungewöhnlich zahlreich versammelte Publikum machte. Alles war gleich begeistert, die großen Sänger, das vortreffliche Orchester und die Zuhörer. Der Geist des verewigten Künstlers schien über der Versammlung zu schweben, als der Anfang der Ouverture aus der Zauberflöte, von dem Orchester so meisterhaft vorgetragen, eine feierliche einweihende Stille hervorbrachte.

Die Körperbildung Mozarts hatte nichts auszeichnendes. Er war klein; sein Gesicht, wenn man das große feurige Auge ausnimmt, kündigte die Größe seines Geistes nicht an.

Sein Blick schien unstät und zerstreut, außer wenn er beim Klavier saß. Sein ganzes Antlitz veränderte sich dann.[83] Ernst und versammelt ruhte sein Auge; auf jeder Muskelbewegung drückte sich die Empfindung aus, welche er durch sein Spiel vortrug und in dem Zuhörer so mächtig wieder zu erwecken vermogte.

Er hatte kleine schöne Hände. Beim Klavierspielen wußte er sie sanft und natürlich zu bewegen. Zu bewundern ist es, wie er damit so vieles, besonders im Basse, greifen konnte. Diese Fertigkeit muß man der vortrefflichen Applikatur zuschreiben, die er nach seinem eigenen Geständnisse dem fleißigen Studium der Bachischen Werke zu danken hatte.

Das Unansehnliche in seinem Aeußern, der kleine Wuchs seines Körpers, war Folge seiner frühen Geistesanstrengung, und des Mangels an freier Bewegung in der Zeit seiner Kindheit. Zwar, von[84] schönen Eltern gezeugt, soll er auch ein schönes Kind gewesen seyn. Aber von seinem sechsten Lebensjahre an war er an eine sitzende Lebensweise gebunden. Um diese Zeit fieng er schon an zu schreiben. Und wie viel hat der Mann, besonders in seinem letzten Jahre, geschrieben! Da Mozart bekanntlich in der Nacht am liebsten spielte und komponirte und die Arbeit oft dringend war, so kann man sich vorstellen, wie sehr ein so fein organisirter Körper darunter leiden mußte. Sein früher Tod, ohne künstlich befördert zu werden, rührt vorzüglich von diesen Ursachen her.

Sein Gehör war so fein, faßte die Verschiedenheit der Töne so gewiß und richtig auf, daß er den geringsten Fehler oder Mißton, selbst bei dem stärksten Orchester, hörte, und dasjenige Subjekt oder[85] Instrument, welches ihn begieng, genau anzugeben wußte. Als er einst nach Berlin kam, und beim Absteigen im Gasthofe den Komödienzettel, auf dem seine Entführung aus dem Serail angekündigt war, las, begab er sich ins Schauspielhaus und hörte im Parterre seiner Oper zu. In der ersten Arie des zweiten Akts war aus Versehen des Ausschreibens in der zweiten Violinstimme ein Kurze Biografie Mozarts statt eines Kurze Biografie Mozarts geschrieben. »Wollt ihr Fis greifen! wollt ihr Fis greifen!« rief Mozart zu wiederholten Malen und zog dadurch die Aufmerksamkeit eines seiner Nachbarn auf sich, der, unwillig, in seinem Ohrenschmauße unterbrochen zu werden, fragte, was er wolle? er mögte sich still verhalten. Ei was, erwiederte Mozart, ich habe Fis komponirt und die zweite Geige greift immer F.[86]

Wie er das wissen könne?

Ei das muß ich wissen, ich habe ja die Oper gesetzt; ich bin Mozart. –

Nichts brachte ihn so sehr auf, als Unruh, Getöse oder Geschwätz bei der Musik. Da gerieth der sonst so sanfte, muntre Mann in den größten Unwillen, und äußerte ihn sehr lebhaft. Es ist von ihm bekannt, daß er einst mitten im Spiele aufstand, und die unachtsamen Zuhörer verließ. Man nahm ihm dieses vielfältig, wiewohl mit Unrecht, übel. Tief empfand er alles, was er vortrug. Sein ganzes Wesen war dann Gefühl und Aufmerksamkeit: wie konnte ihn also kalte Fühllosigkeit, Unachtsamkeit, oder gar störendes Geschwätz in der Laune und Fassung erhalten? Als Künstler vergaß er da alle andre Rücksichten.[87]

Seine Reizbarkeit war so groß, daß er bei Aufführung einer guten Musik zu Thränen gerührt wurde, vorzüglich durch Haydns Werke. Aber nicht allein Musik, jeder andre rührende Gegenstand ergriff sein ganzes Gefühl und erschütterte ihn. Seine Einbildungskraft war in ununterbrochener Thätigkeit, immer mit Musik beschäftigt; daher schien er oft zerstreut und gedankenlos.

Tonkunst war seine Haupt- und Lieblingsbeschäftigung, um sie bewegte sich sein ganzes Denken und Empfinden. Alle Bildung seiner Kräfte gieng von da aus, und bezog sich darauf. Ist es ein Wunder, wenn er den übrigen Gegenständen um sich weniger Aufmerksamkeit widmete? Er war Künstler, war es ganz und in einer bewundernswürdigen Größe. Doch folgt hieraus noch nicht, daß in[88] ihm nicht die Fähigkeiten zu andern Wissenschaften gelegen hätten. Wer mag die Grenzlinien seiner Geisteskräfte so genau ziehen, um behaupten zu können, Mozart habe außer seiner Kunst, zu nichts sonst Anlage oder Fähigkeit gehabt? Man setzt freilich das Wesen des Künstlertalents in eine überwiegende Stärke der ästhetischen Seelenkräfte, aber man weiß auch, daß die Künste, besonders die Musik, einen scharfen Ueberblick, Beurtheilung und Einsicht in die Lage der Dinge erfordern, welches bei Mozart um so gewisser vorauszusetzen ist, da er kein gemeiner mechanischer Virtuos eines Instrumentes war, sondern das ganze weite Gebieth der Tonkunst mit seiner Kraft und Geschicklichkeit umfaßte.

Mozart hatte schon in seiner Jugend zu allen Kenntnissen, die man ihm beizubringen[89] für nöthig fand, eine große Anlage gezeigt, in allen schnelle Fortschritte gemacht; von der Arithmetik und seinem Zahlensinne habe ich schon gesprochen. Auch in seinen spätern Jahren liebte er diese Kenntnisse sehr, und war wirklich ein ungemein geschickter Rechenmeister. Eben so groß war sein Talent zu Sprachen. Er verstand Französisch, Englisch, Italienisch und Deutsch. Die lateinische Sprache lernte er erst in spätern Jahren und zwar so weit, als zum Verstehen des Kirchentextes, den er etwa in Musik zu setzen hätte, erfordert ward. In allen übrigen Sprachen hatte er die guten Schriftsteller gelesen und verstanden. Oft machte er selbst Verse, meistens aber nur bei scherzhaften Gelegenheiten. Zum Beispiel die Grabschrift auf den Tod eines geliebten Staars, den er in seinem gemietheten Garten begrub und ihm ein Grabmal[90] mit einer Inschrift geziert errichtete. Und wer erinnert sich nicht an sein »Mandel! wo ists Bandel?«

In den übrigen Fächern hatte er wenigstens so viel historische Kenntniß, als es für einen Mann von Bildung nöthig war.

Der moralische Karakter Mozarts war gut und liebenswürdig. Unbefangene Herzensgüte und eine seltne Empfänglichkeit für alle Eindrücke des Wohlwollens und der Freundschaft waren seine Grundzüge. Er überließ sich diesen liebenswürdigen Regungen ganz, und wurde oftmals das Opfer seines gutmüthigen Zutrauens', beherbergte und pflegte seine ärgsten Feinde und Verderber bei sich.

Er hatte zwar oft mit einem schnellen Blicke auch versteckte Charaktere aus[91] dem Innersten ausgeholt. Aber im Ganzen genommen, hatte er doch zu viel Gutmüthigkeit, um Menschenkenntniß zu erlangen. Selbst die Art seiner Erziehung, die unstäte Lebensart auf Reisen, wo er nur für seine Kunst lebte, machte eine wahre Kenntniß des menschlichen Herzens unmöglich und ließ ihn in seinem Leben manche Unklugheit begehen.

Für die süßen Freuden der Geselligkeit hatte er einen offnen, empfänglichen Sinn. Unter Freunden war er vertraulich wie ein Kind, voll muntrer Laune, die sich gewöhnlich in die drolligsten Einfälle ergoß.

Nie verrieth er einen gewissen Kunst-Air, Kaprizen, oder Pedanterie, die manchen Gelehrten und Künstler für den geselligen Umgang so ungenießbar machen.[92] Er sprach selten und wenig von seiner Kunst, und immer mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit. Hochschätzung des wahren Verdienstes und Achtung für die Person leiteten seine Urtheile in Kunstsachen. Es war rührend, wenn er von Haydn oder andern großen Meistern sprach; man glaubte nicht den allgewaltigen Mozart, sondern einen ihrer begeisterten Schüler zu hören.

Mit dieser edeln Bescheidenheit verband er aber auch ein eben so wohlanständiges Bewußtseyn seiner Künstlerwürde, eine edle Selbstschätzung. Nie jagte er nach dem Beifalle der Menge; selbst als Kind rührte ihn nur das Lob des Kenners, und alles, was bloß aus Neugier, ihn anzugaffen, kam, war ihm gleichgültig. Oft gieng dieses Betragen vielleicht zu weit. Bisweilen war er, auch[93] in Gegenwart großer Herren vom höchsten Range, nicht zum Spielen zu bewegen, oder er spielte nichts als Tändeleien, wenn er merkte, daß er keine Kenner vor sich hatte. Aber er war der gefälligste Mann von der Welt, wenn er sah, daß man Sinn für seine Kunst besitze. Oft spielte er Stunden lang dem geringsten, ihm vielleicht unbekannten Menschen vor. Mit ermunternder Aufmerksamkeit hörte er die Versuche junger Künstler an und weckte durch liebevolle Beifallsäußerungen das schlummernde Selbstbewußtseyn.

Verstellung und Schmeichelei war seinem arglosen Herzen gleich fremd, jeder Zwang, den er seinem Geiste anthun mußte, unausstehlich. Freimüthig und, offen in seinen Aeußerungen und Antworten, beleidigte er nicht selten die Empfindlichkeit[94] und Eigenliebe, und zog sich manchen Feind zu.

Diese besaß er überhaupt wegen seines außerordentlichen Talents in großer Anzahl, deren Unversöhnlichkeit ihn auch nach seinem Tode verfolgte. Dieses ist die stygische Quelle, woraus so viel häßliche Erzählungen von seinem Leichtsinne, von seinen Ausschweifungen geflossen sind. Mozart war Mensch, folglich Menschlichkeiten unterworfen. Dieselben Eigenschaften, die das Wesen seiner großen Talente bildeten, waren auch zugleich der Reiz zu manchem Fehltritte, brachten Neigungen hervor, die freilich beim Alltagsmenschen nicht angetroffen werden.

Seine Erziehung und Lebensart bis zu dem Zeitpunkte, da er sich in Wien niederließ, war auch nicht geeignet, ihm[95] Menschenkenntniß und Welterfahrung zu geben. Denke man sich einen so zart organischen Jüngling, einen Tonkünstler von seiner Empfindung, in einer Stadt wie Wien, sich selbst überlassen – braucht es mehr, seine kleinen Ausschweifungen verzeihlich zu finden? – Auch muß man gegen diese Erzählungen überhaupt mißtrauisch seyn, da gewiß der größte Theilbaare Unwahrheiten und Schmähungen scheelsüchtigen Neides sind. Warum man jenen Erzählungen so leicht Glauben beimißt, ist sehr begreiflich, wenn man sich erinnert, daß ehedem der Begriff eines Virtuosen und der eines Wüstlings innig mit einander verbunden war. Aber zahlreiche Beispiele achtungswerther Künstler haben uns diese heterogenen Begriffe sichten gelehrt.

Doch das finstre namenlose Heer seiner Feinde wurde durch Freunde verdunkelt,[96] deren Namen der Glanz seines Zeitalters sind.

Die berühmtesten Tonkünstler erkannten die Größe seines Genies, und bewunderten seine Werke. Joseph Haydn, dieses Schoskind der Musen und Grazien, dieser Anakreon, den in seinem Alter noch nicht der Jugend Kraft und hippokrenische Fülle verlassen hat, mag als befugter Richter an die Spitze treten.

Sein Urtheil ist unpartheiisch, weil er als ein redlicher Mann allgemein bekannt ist, und Mozarts Ruhm dem seinigen nachtheilig scheinen konnte. Schon 1785 als Mozarts Vater noch lebte, sagte Joseph Haydn bei einer Zusammenkunft in Wien: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten [97] Komponisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört habe. Er hat Geschmack und besitzt die gründlichste Kenntniß in der Kunst der Komposizion.« –

1787 im Dezember schrieb eben dieser große Mann an einen Freund in Prag, der mit ihm seit langer Zeit in Briefwechsel stand, und ein Singspiel von seiner Komposizion für Prag verlangte, folgenden merkwürdigen Brief:

»Sie verlangen eine Opera Buffa von mir; recht herzlich gern, wenn Sie Lust haben, von meiner Singkomposizion etwas für sich allein zu besitzen. Aber um sie auf dem Theater zu Prag aufzuführen, kann ich Ihnen diesfalls nicht dienen, weil alle meine Opern zu viel an unser Personal (zu Esterhaz in Ungarn)[98] gebunden sind, und außerdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Lokalität berechnet habe. Ganz etwas anders wäre es, wenn ich das unschätzbare Glück hätte, ein ganz neues Buch für das dasige Theater zu komponiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemand anders zur Seite haben kann. Denn, könnte ich jedem Musikfreund, besonders aber den Großen die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nazionen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann fest halten – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genies traurig, und giebt der[99] Nachwelt wenig Aufmunterung zum fernern Bestreben, weswegen leider! so viele hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich erzürnt es, daß dieser einzi ge Mozart noch nicht bei einem Kaiserlichen oder Königlichen Hofe engagirt ist. Verzeihen Sie, wenn ich aus dem Geleise komme; ich habe den Mann zu lieb.«

Wenn ein Haydn so urtheilt, so begeistert spricht, ein Mann, der allein unter allen Tonkünstlern über seinen Verlust zu trösten im Stande wäre; was will dann das Gekreische einiger kleinen neidischen Geister sagen, die an Mozarts Ruhme zu Rittern werden wollen?

Der – nunmehr auch ins Land der Harmonien entschlummerte – Chursächsische Kapellmeister Naumann bezeigte bei seinem Aufenthalte in Prag auf eine[100] schöne Art seine Hochachtung und Bewunderung für Mozarts Talente und Werke in einer rührenden Anrede an seinen Sohn, als ihm derselbe von seiner Freundin vorgestellt wurde.

Der Ritter Gluck, der Dichter Metastasio, der Freiherr von Swieten waren seine innigsten Freunde und wärmsten Verehrer.

Endlich verdient die zahlreiche Klasse gründlicher Tonkünstler in Prag unter den Richtern über Mozarts hohen Werth einen ansehnlichen Plaz. Die meisten von ihnen sprechen mit einer Achtung von seinen Werken, die ein rühmlicher Beweis ihrer Kenntnisse und der Unbefangenheit ihres Herzens ist.

Bei dieser Gelegenheit erwähne ich der Wohlthat eines Wiener Bürgers gegen[101] Mozart. Dieser brave Mann – ein Fleischhauer von Profession – ohne Mozart persönlich zu kennen, bloß von Bewunderung für seine Kunst hingerissen, verschafte seiner kranken Gemahlin, die nach Verordnung der Aerzte, wegen einer Lahmung am Fuße, Bäder von gekochtem Magengekröße brauchen mußte, Gelegenheit, in seinem eigenen Hause eine geraume Zeit die Kur mit vieler Bequemlichkeit brauchen zu können. Er lieferte ihr nicht nur das nöthige Rindergekröße unentgeltlich und ersparte Mozart eine Auslage von mehrern hundert Gulden, sondern verlangte auch für Logis und Kost gar nichts. Aehnliche Beispiele von Enthusiasm für Mozarts erhabene Kunst sind sehr häufig.

In seiner Ehe mit Konstanze Weber lebte Mozart vergnügt. Er fand an ihr eine gute liebevolle Gattin, die[102] sich an seine Gemüthsart vortrefflich anzuschmiegen wußte, und dadurch sein ganzes Zutrauen und seine Gewalt über ihn gewann, welche sie nur anwendete, ihn von Uebereilungen abzuhalten. Er liebte sie wahrhaft, vertraute ihr alles, selbst seine kleinen Sünden – und sie vergalt es ihm mit Zärtlichkeit und treuer Sorgfalt. Wien war Zeuge dieser wechselseitigen Liebe und die Wittwe denkt nie ohne Rührung an die Tage ihrer Ehe.

Musik – die Kunst, in der er webte und lebte – war seine liebste Unterhaltung. Wollte ihn seine Frau an einem Familienfeste recht angenehm überraschen, so veranstaltete sie in Geheim die Aufführung einer neuen Kirchenkomposizion von Joseph oder Michael Haydn.

Das Billardspiel liebte er leidenschaftlich; wahrscheinlich weil es mit körperlicher[103] Bewegung verbunden ist. Er hatte ein eigenes zu Hause, bei dem er sich täglich mit seiner Frau unterhielt.

Die Schönheit der Natur im Sommer war für sein tieffühlendes Herz ein entzückender Genuß. Wenn er konnte, so verschaffte er sich ihn, und miethete fast alle Sommer ein Gärtchen in der Vorstadt.

Thiere, und Vögel besonders, liebte er sehr.

Ueber seine Komposizionen führte er ein eignes Tagebuch, worein er jedesmal das Thema eines jeden Werkes nebst dem Tage seiner Vollendung eintrug. Es fängt mit dem Jahre 1784 an. Außer dem Requiem ist keine Messe darin verzeichnet. Ein Beweis, daß die Messen, die wir von ihm kennen, in frühere Zeiten fallen.[104]

Es ist zu bedauern, daß er nicht über seine Kunst schrieb. Aus einem Briefe, welchen er an eine seiner Schülerinnen über den Vortrag der für sie gesetzten Klavierfantasie, geschrieben, kann man sehen, daß er gleich starker Theoretiker als Praktiker war.

Als er starb, hatte sein Ruhm bereits eine Größe erreicht, wie sie nur selten auch der glücklichste Künstler hoffen darf. Seine Bahn war kurz, aber ruhmvoll. Noch hatte er nicht das fünf und dreißigste Jahr vollendet, als er am Ziele unter seinen Lorbeern ruhte. Was hätte sein unerschöpflicher Genius der Welt noch liefern können! Sein Genie war eine seltne Naturerscheinung; aber noch seltener der hohe Grad seines damit verbundenen Fleißes und Geschmacks. Viel gab ihm die Natur, doch[105] mehr wußte sich sein Fleiß, seine unermüdete Beherrlichkeit zu erwerben.


Ich habe in dieser kurzen Biographie nur das Merkwürdigste, was die deutlichsten Umrisse seines Karakters giebt und in die Biographie eines Künstlers gehört, erzählt, doch alles einer strengen Prüfung unterworfen und alles daraus verbannt, was nicht unumgänglich zur Geschichte seiner Künstlerlaufbahn gehört. Bei Bearbeitung der gegenwärtigen lieferte mit außer Schlichtegrolls Nekrolog, die Lebensbeschreibung des Herrn Profeßor Franz Niemtschek zu Prag die Data, die ich, nach meiner Ueberzeugung, besser geordnet und anschaulicher dargestellt habe.

Fußnoten

1 Wörtlich nach Schlichtegrolls Nekrolog.


2 Die Breitkopf- und Härtelsche Musikhandlung, in jeder Rücksicht gewiß die erste in Deutschland, ja man kann es behaupten, die erste in der litterarischen Welt, die sich mit der so korrekten als splendiden Herausgabe von Mozarts Werken ein ewiges Verdienst und bleibendes Denkmal ihres Ruhms erworben hat, so rat auch bereits dafür, daß diese Werke nach Mozarts Bearbeitung den Liebhabern der Tonkunst zu Theil werden können, und verdient gewiß wegen dieses so edeln als kostspieligen Unternehmens den größten Dank aller Verehrer Händels und Mozarts.


3 Mozart schrieb alles mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit, die wohl beim ersten Anblicke Flüchtigkeit oder Uebereilung scheinen konnte, er kam während des Schreibens nie zum Klavier. Seine Einbildungskraft stellte ihm das ganze Werk mit seinem Effekt deutlich, lebhaft dar. Er hörte klingen, schmettern, pauken, während er schrieb. Selten trift man in seinen Manuscripten ausgestrichene oder verbesserte Stellen an. Seine Konzepte sind ausserordentlich rein.


4 Noch als Ehemann brachte er halbe Nächte am Klavier zu, und seine mehresten Komposizionen sind in der Nacht gearbeitet, wo die Sinne durch keine äußern Eindrücke zerstreut werden, die Einbildung thätiger wirkt.


Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 106.
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