Einleitung

Es ist bekannt, daß eine Waare, die verfälscht werden kann, selten noch ächt ist, wenn sie durch verschiedene Hände gegangen ist; dieser Grundsatz ist noch allgemeiner, wenn er aus Nachrichten angewendet wird, welche vielleicht nirgend rein sind, als an der Quelle.

Die Musik ist mein ganzes Leben durch der Lieblings Gegenstand meiner Bemühungen gewesen, nicht allein in Betracht ihrer Ausübung, als eine Profession, sondern auch in Betracht ihrer Geschichte, als Kunst. Und damit mein Wissen von solchen Falschheiten und Irrthümern[1] frey seyn möchte, wie den simplesten alltäglichsten Thatsachen durch succesive Erzählungen anzukleiben pflegen, habe ich eine zwote Reise nach dem festen Lande vorgenommen, auf welcher ich mich in Nichts auf Hörensagen verlassen, worüber ich bessere Zeugnisse zu finden wußte, und über die vergangnen Zeiten die glaubwürdigsten Schriften zu Rathe gezogen habe; und wie ich im ersten Bande meines Tagebuchs gesucht, den ihnes benden Musikern in Frankreich und Italien, in Ansehung ihrer Talente und Gelehrsamkeit, Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen: so werde ich itzt dasselbige in Ansehung der Deutschen thun. Ich hoffe, das Zeugniß eines Schriftstellers, der das, was er erzählt, selbst gesehen und gehöret hat, wird ein Gewicht haben, welches die grösseste Aufrichtigkeit einer Erzählung nach Hörensagen nicht geben kann, und daß das Gemüth des Lesers nach eben dem Verhältniß mehr Vergnügen empfinden wird, als es sich auf die Wahrheit des Geschriebenen verlassen kann. Denn wenn, nach der berühmten Inschrift der[2] Alexandrinischen Bibliothek, die Wissenschaften eine Arzney der Seele1 sind: so scheint es, muß es uns eben so sehr darum zu thun seyn, solche ächt zu erhalten, als für unverfälschte Arzney für den Körper zu sorgen.

Die Schriftsteller des Alterthums hatten es mehr zur Gewohnheit, Reisen anzustellen, um sich von dem Zustande der Sachen in entfernten Ländern zu unterrichten, als die Schriftsteller der spätern Zeiten, welche es bequemer gefunden haben, daheime bey ihrem Pulte aus Büchern zusammen zu tragen, die schon selbst zusammen getragen waren, als über Seen, Gebirge und durch Wüsten in fernen Ländern zu reisen, um neue und zuverlässige Materialien zu suchen. Allein Homer, Herodot, Plato, Plutarch und Pausanias, welche grosse Reisen thaten, lebten entweder in solchen Zeiten, worin sie wenige Bücher zu Rathe ziehen konnten, oder, wofern sie mehr Reichthümer befassen, als neuere Schriftsteller, müssen mehr als in neueren Zeiten gewöhnliche[3] Gastfreyheit angetroffen haben; lange Reisen, so nöthig sie auch seyn mochten, würden sonst schwerlich möglich gewesen seyn.

Wenn man von mir, der ich ohne diese Vortheile gereiset bin, und keinen Anspruch mache, ein Weiser zu seyn, sagen sollte, daß der Gegenstand meiner Untersuchungen, keinesweges mit meiner Mühe und meinen Kosten in Verhältniß stünde; so kann ich weiter nichts antworten, als: so ungerne ich zugeben kann, daß man die Kenntniß einer Wissenschaft, die in einem so weiten Umfange so viel untadelhaftes Vergnügen verbreitet, für geringfügig halte: so aufrichtig hätte ich gewünscht, daß ich sie hätte mit weniger Aufwande erhalten, und, nach der haushälterischen Weise eines Asclepiades, weit entlegne Länder besuchen können, welcher, wie Tertullian berichtet, mit seiner Kuh die Welt durchreisete, auf ihrem Rücken ritt, und von ihrer Milch lebte.

So viel ist indessen gewiß, alles was zur Rechtfertigung oder Entschuldigung meiner Reise durch Frankreich und Italien, nach der Materia[4] musica angeführt werden kann, wird eben so gültig für meine Reise nach Deutschland seyn. Denn obgleich Italien die Vokal-Musik zu einer in allen andern Ländern unbekannten Vollkommenheit gebracht hat; so hat man doch einen grossen Theil der gegenwärtigen Vortreflichkeit der Instrumental-Musik gebohrnen Deutschen zu verdanken, weil vielleicht zu keinen Zeiten und in keinem Lande die Blas- und Clavierinstrumente zu einem höhern Grade der Verfeinerung gebracht worden, als durch die neuern Deutschen, sowohl in Ansehung ihres Baues als des Gebrauchs.

Die Aufmerksamkeit und den Beystand, womit mich verschiedene Personen vom Stande auf dem festen Lande beehrt haben, kommen in dem Laufe der Erzählung vor; um aber in meinem Buche öftre Wiederholungen zu vermeiden, und einem Triebe der Dankbarkeit, der vielleicht nicht ohne alle Beymischung von Eitelkeit ist, Raum zu geben, muß ich hier bezeugen, baß ich sowohl diese, als viele andre Vortheile, die meine Reise[5] veranlasset hat, hauptsächlich der Patronage des Grafen von Sandwich zu verdanken habe. Dieser Herr, um mir zu helfen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Geschichte seiner Lieblingskunst zu ziehen, und das Gedächtniß der Talente ihrer berühmtesten Professoren in entlegenen Ländern, aufzubewahren, war so gütig, mich mit eigenhändigen Empfehlungsschreiben an alle die engländischen Herrn zu beehren, welche in den verschiedenen Städten, wodurch ich reisete, unter öffentlichem Charakter residirten. Der Einfluß derselben war so wichtig, mir zu denjenigen einen leichten Zutritt zu verschaffen, welche nicht allein die fähigsten waren, sondern die ich auch glücklicher Weise sehr geneigt fand, mein Unternehmen zu befördern.

1

Φυχῇς ἰατρείον.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 1-6,311-312.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772